Wattenscheid. Wattenscheider Praxis für missbrauchte und misshandelte Behinderte erfährt nun Unterstützung. Therapien für Erwachsene sind bislang selten.

Sie hat ihr Netz engmaschig geknüpft, sich Verstärkung geholt, aber die Beratung und Therapie in der Praxis „Fiducia“ an der Ückendorfer Straße leistet Heike Werdehausen allein. Hinter ihr steht aber inzwischen ein zehn Mitglieder starker eingetragener Verein, und die Schwellenangst kann Therapiehund „Filou“ vielen der Besucher nehmen. Ein ungewöhnlicher Schwerpunkt der Heilerziehungspflegerin ist die Beratung gegen sexuellen Missbrauch oder Gewalt für Menschen mit Behinderung, körperlich wie geistig.

Die Warteliste von drei bis vier Monaten und das Einzugsgebiet bis ins Sauerland zeigen, dass der Bedarf für therapeutische Arbeit auf jeden Fall gegeben ist. Aus Erfahrung weiß die 54-Jährige, die hauptberuflich auch Teamleiterin im „Kinderhaus“ in Altenbochum arbeitet, dass Hilfesuchende oft auf knappen Antworten stoßen, am Ende heißt es dann „keine Antworten, keine Zeit, kein Budget“, vor allem aber: „Keine Therapeuten“. „Bei Auffälligkeiten kommt der schulmedizinische Ansatz schnell an seine Grenzen“, schildern dann Betroffene.

Auf versteckte Ecken achten

Gerade die Prävention, die Vorbeugung, sollte nach Werdehausens Überzeugung in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung als Konzept verbreitet sein. „Es beginnt bei versteckten Ecken auf dem Gelände, die eine Gefahr für Übergriffe darstellen können, und auf die man achten sollte“, beschreibt sie sachlich.

Die meisten ihrer Besucher wohnen oder arbeiten in Einrichtungen für Behinderte, „wohl 95 Prozent“. Auch die Betreuer nimmt sie dann mit ins Boot, die spielen als häufig erster Ansprechpartner eine wichtige Rolle.

Zehn Sitzungen umfasst die Kurzzeit-Gesprächstherapie üblicherweise, „danach ist es aber längst nicht vorbei“. Hilfs- und Therapieangebote finden sich, hat sie festgestellt, dann auch eher für Kinder, aber kaum für Erwachsene. Was dazukommt, ist, „dass gerade bei Menschen mit geistiger Behinderung Täter und Opfer bei sexuellen Übergriffen eine Person sind“.

Heike Werdehausen hat sich mit Einrichtung der Praxis Fiducia in Wattenscheid einen lang gehegten Wunsch für ihre Arbeit erfüllt.
Heike Werdehausen hat sich mit Einrichtung der Praxis Fiducia in Wattenscheid einen lang gehegten Wunsch für ihre Arbeit erfüllt. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Reaktionen lassen sich schulen

Für Heike Werdehausen beginnt dann die Therapiearbeit damit, zu vermitteln, „was man bei einem gewissen Kribbeln denn eigentlich tun kann, dass die Menschen merken, wann ist die Ampel noch auf Grün, wann wird sie langsam schon gelb“. Die Reaktionen lassen sich vielfach schulen.

Nein-Sagen konsequent stärken

„Es ist schon ein Erfolg, wenn Betroffene sich erst einmal melden, statt sich mit diesen Problemen zu verkriechen“, erzählt die Therapeutin, „und, wie so oft, auch hier gilt es, das Nein-Sagen-Können konsequent zu stärken“.

Info und Kontakt

Fiducia (lat.) bedeutet Vertrauen oder Zuverlässigkeit, sogar ein Asteroid ist so benannt. Heike Werdehausen ist ausgebildete Heilerziehungspflegerin und arbeitet seit 20 Jahren in der Behindertenhilfe, sowohl im psychisch- als auch geistig-behinderten Bereich.

Zusatzqualifikationen hat sie als systemische Beraterin, Entspannungspädagogin, Hypnosecoach, als Präventionskraft gegen sexuellen Missbrauch bei Menschen mit Behinderung und für die Beratung von Einzelnen bei der Telefonseelsorge erworben. Außerdem gibt sie PMR-Kurse (Progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen), die auch für Fibromyalgie- und Burnout-Patienten geeignet sind und bietet Hypnose an. Nähers unter 02327 41 28 770 , https://www.werdehausen-beratung.com/

Die Einzelkämpferin meint lachend, wie so viele in der weit gefassten Branche hat wohl auch sie nach 30 Jahren in der Behindertenhilfe einen großen Posten vom Helfer-Syndrom in sich herangezogen. „Aber ich will eben nicht nur das machen, was so eben gemacht werden muss. Ich kann damit nie ganz abschließen.“

Konzepte entstehen in der Urlaubszeit

Auch für sie gilt, dass aus dem Beruf irgendwann die Berufung wird, dass sie selbst für den gerade anstehenden Urlaub schon weiß, dass sie dann ganz viel für die Arbeit in der Praxis tun wird. „Wie andere vielleicht zum Angeln gehen, schreibe ich dann Konzepte“, und lächelt wieder, „ich kann mich dann auch über jede neue Idee für die Menschen freuen, die ich entwickle.“

Ein großer Schritt war der zum eingetragenen Verein, der Corona-bedingt nur mit einiger Zeitverzögerung entstanden ist. „Jetzt können wir zum Beispiel Spendendosen in der Umgebung in den Läden aufstellen, aber auch die mussten wir ja erst einmal anschaffen“, schildert sie den Spagat. Zurzeit entsteht auch noch eine Broschüre über die Arbeit und den e.V. und wird die Internetpräsentation überholt. Dazu werden verständlicherweise auch Werbepartner gesucht. „Viele Baustellen“ kommentiert Heike Werdehausen.

Filou schafft umgehend einen Kontakt

Mit dabei ist Therapiehund Filou , der 14 Monate junge Golden Retriever-Labrador-Mix. „Ein Eisbrecher“ beschreibt Niko Werdehausen, Heikes Ehemann, der auf non-verbale Art wirkt. „Gerade bei leichten Asperger-Syndromen, der schwach ausgeprägten Autismus-Form und Kommunikationsstörung, schafft er vom ersten Moment an einen Kontakt zu den sonst verschlossenen Menschen in ihrer eigenen Welt.“

https://www.waz.de/article225939965.ece

https://www.waz.de/archiv-daten/article217475059.ece