Velbert. . Der frühere Steuerberater und DRK-Schatzmeister in Velbert soll mehr als eine halbe Million Euro veruntreut haben. Seine Machenschaften hätten auffliegen können, nein: müssen. Ein Urteil gibt es womöglich schon am Montag. Das Interesse an den Verhandlungen ist groß.
Für gewöhnlich ist die Zahl der Zuhörer bei einem Gerichtsprozess überschaubar, zumeist sind es nur wenige Verwandte von Angeklagten oder Zeugen, die im Saal Platz nehmen. Bei der Verhandlung gegen Jürgen L. ist das anders. Wie schon bei den vorangegangenen drei Sitzungstagen dürften sich auch am Montag wieder vergleichsweise viele Velberter Bürger, nicht bloß Geschädigte, im Landgericht Wuppertal einfinden. Das Interesse an der Verhandlung gegen den früheren Steuerberater und ehemaligen Schatzmeister des DRK-Ortsverbandes, der in 51 Fällen mehr als eine halbe Million Euro veruntreut haben soll, ist groß, sie darf getrost als Stadtgesprächsthema bezeichnet werden. Was sich vor allem viele fragen: Wie konnte L. so lange und vor allem unentdeckt seinen Machenschaften nachgehen?
Indes ist nicht ausgeschlossen, dass der 63 Jahre alte Jürgen L. am Montag schon zum letzten Mal auf der Anklagebank Platz nehmen muss. Am vergangenen Montag zeigte er sich weitgehend geständig; es ist unwahrscheinlich, dass es noch zu einer Zeugenvernehmung kommt. Schadenswiedergutmachung ist nahezu ausgeschlossen: L. gibt an, privat wie wirtschaftlich insolvent zu sein. Für viele wäre es daher eine gefühlte Gerechtigkeit, L. ginge ins Gefängnis – das Geständnis und die Strafmilderung, die er bekommt, weil das Verfahren sich „rechtsstaatswidrig verzögert“ hat, sprechen aber dagegen. „Ich fürchte, er kommt mit einer Bewährungsstrafe davon“, sagt ein Prozessbeobachter, der ungenannt bleiben möchte, „was da verhandelt wird, macht gar nicht sichtbar, was Jürgen L. angerichtet hat.“
DRK-Buchhaltung in der Kanzlei
Da ist zum einen der DRK-Ortsverband, der nicht nur durch die veruntreuten Gelder an den Rand der Zahlungsfähigkeit gebracht wurde. Wie die WAZ erfuhr, soll Jürgen L. Verträge geschlossen haben, die alles andere als vorteilhaft für das DRK waren. Überweisungen, bei denen Gelder auf L.s Konto flossen, liefen durch die Buchhaltung, die L. praktischerweise in seiner Kanzlei untergebracht hatte; für die notwendigen Unterschriften sorgte er, so dass alles in bester Ordnung zu sein schien.
Die andere große Geschädigte ist eine Stiftung, von deren Gründung L. einen seiner Mandanten überzeugt haben soll, als dessen Frau starb. Die Stiftung hatte am Ende mehrere Hunderttausend Euro Verbindlichkeiten, stand praktisch vor der Insolvenz. Auf Nachfrage der WAZ bei der Stiftung hätten diese Unregelmäßigkeiten rechtzeitig auffallen können – wenn denn die vorgeschriebenen Berichte an die Stiftungsaufsicht der Bezirksregierung erstattet worden wären oder Jürgen L. als Alleinvorstand der Stiftung veranlasst hätte, dass der Stifter noch vor seinem Tod eine Kuratoriumssitzung einberufen hätte. Als Alleinvorstand konnte L. über das Vermögen des Stiftungsgründers verfügen – gleich wo und wie es auch immer angelegt war. Ein Erbe, das von Jürgen L. verwaltet wurde und in die Stiftung fließen sollte, erwies sich als überschuldet, und die Stiftung hat alle Hände voll zu tun, nicht durch ein Erbe auch noch mit Schulden belastet zu werden.
Vor Gericht war die Rede von gefälschten Testamentsunterschriften, viel Geld ist nach L.s Geständnis unrechtmäßig auf seine Konten gegangen. Ob es dazu jeder Menge krimineller Energie bedarf? „Aber ja“, sagt der anonyme Prozessbeobachter und seufzt: „Es ist schlimm, wie viele Leute er ins Unglück geritten hat.“