Neviges. Während der allgemeine Krankenstand in Deutschland gesunken ist, haben psychische Erkrankungen in den vergangenen fünf Jahren um 60 Prozent zugenommen. Birgit Lambers, freie Psychotherapeutin und Trainerin in Betrieben, sprach mit Volontärin Julia Hildebrandt über das Burn-out-Syndrom.
Frau Lambers, was heißt eigentlich Burn-out?
Birgit Lambers: Das ist englisch für „ausbrennen”. Eigentlich kommt der Begriff aber aus dem Motorradsport. Dort nennt man den Verschleiß eines Reifens Burn-out.
Im Moment hört man ständig von dieser Krankheit. Woran liegt das?
Lambers: Burn-out ist ein Modebegriff geworden, der inflationär gebraucht wird. Oft wird Stress mit Burnout gleichgesetzt – das ist falsch. Wir sind nämlich durchaus so ausgestattet, dass wir ein hohes Stressniveau über einen ziemlich langen Zeitraum aushalten können.
Wo liegt dann der Unterschied?
Lambers: Burn-out bedeutet Dauerbelastung und Stress über einen langen Zeitraum - mindestens ein halbes Jahr lang. Das ist ein langsamer, schleichender Prozess.
Wie macht sich das Burn-out-Syndrom bemerkbar?
Lambers: Vorneweg: Nur wer mal für seinen Beruf gebrannt hat, kann auch ausbrennen. Man unterscheidet fünf Phasen. Die erste ist geprägt von Idealismus. Vor allem Berufsanfänger lassen in der neuen Aufgabe viel Kraft und wollen ihre Ideen umsetzen. Diese Phase muss irgendwann aufhören, denn sie ist auf Dauer nicht aushaltbar. In Phase zwei stehen Realismus und Pragmatismus im Vordergrund. Das ist eine gute und gesunde Phase.
Ab wann wird es kritisch?
Lambers: In Phase drei wird der Funkenflug matter. Die Betroffenen erleben eine erste herbe Enttäuschung. Das macht sich häufig sprachlich bemerkbar. Die Sprache ist distanzierter, abwertender, es fallen zynische Bemerkungen. Eine Krankenschwester spricht beispielsweise nicht mehr vom Patienten in Zimmer drei, sondern nur noch vom „Magen”. Außerdem zeigen sich erste körperliche Symptome, die häufig nicht ernst genommen werden.
Ist zu diesem Zeitpunkt schon Hilfe von außen nötig?
Lambers: Nein. Phase drei erreicht jeder mal in seinem Berufsleben, das ist unser Alltag. Kritisch ist Phase vier. Es kommt zu Rückzug und Depression, auch die Kollegen merken, dass etwas nicht stimmt. Kleine Zipperlein werden zu Krankheiten. Bis zu diesem Punkt kann der Betroffene aber noch jederzeit aus dem Prozess aussteigen.
Wann ist professionelle Hilfe vonnöten?
Lambers: In Phase fünf. Der Mensch legt sich selbst lahm, ist apathisch und verzweifelt. Das wünsche ich keinem. Wer in Phase fünf ankommt, ist selten unter drei Monaten arbeitsunfähig. Manche werden nie mehr so leistungsfähig wie früher.
Wie kann ich mich schützen?
Lambers: Man muss lernen, sich und seine Bedürfnisse ernst zu nehmen, sich fragen, wo sind die Energie-Räuber in meinem Leben. Wie kann ich auftanken.
Und wie kann ich auftanken?
Lambers: Aktiv sein: Sport, Gartenarbeit, malen, tanzen. Das, was in mir drin ist, muss raus. Viele neigen zu Bewältigungsstrategien, die nicht gut sind. Fernsehen zum Beispiel. Das ist zu passiv.
Wie können die Kollegen helfen?
Lambers: Den Betroffenen ansprechen, ihm klar machen: Sorge für dich.
Wer ist vom Burn-out betroffen?
Lambers: Meist Menschen im mittleren Alter, die einer hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt sind und gleichzeitig wenig Mitbestimmung und Anerkennung erfahren. Das zieht sich durch alle Berufsgruppen und trifft Männer ebenso wie Frauen.
Was ist der Auslöser?
Lambers: Burn-out wird fast immer durch ein privates Ereignis ausgelöst. Wenn ich eine hohe Arbeitsbelastung habe, reicht mein Krafttopf meist nicht mehr für private Probleme.