Neviges. Der Historiker Rainer Köster erinnert an die letzten Kriegstage in Velbert-Neviges. Was er sich künftig von der Stadt Velbert wünscht.

„Ich stand auf der Straße und habe auf den Abmarsch der deutschen Truppen und den Einmarsch der Amerikaner gewartet. In der Nacht zuvor war eine kampflose Übergabe vereinbart worden.“ Nie wird Udo Koch Mehrin (90) den Vormittag des 16. April 1945 vergessen: Kriegsende in seinem Heimatdorf Gruiten, Kriegsende in vielen niederbergischen Städten. Die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) Niederberg erinnert 79 Jahre nach der Befreiung durch amerikanische Truppen an das Ende des Zweiten Weltkrieges. In Velbert-Neviges, so der Historiker und Buchautor Rainer Köster vom VVN-Bda, habe es bis zum Schluss ein sinnloses Blutvergießen gegeben.

In Velbert-Neviges wurden 63 Wohnungen durch Bombenangriffe zerstört.
In Velbert-Neviges wurden 63 Wohnungen durch Bombenangriffe zerstört. © Stadtarchiv Velbert | Stadtarchiv Velbert

„180-prozentige Super-Nazis hatten verantwortungslos junge Menschen dazu aufgestachelt, den einrückenden Amerikanern Paroli zu bieten“, erläutert Rainer Köster, der unter anderem das Buch „Nacht über Neviges. Widerstand und Verfolgung in Neviges von 1933 bis 1945“ verfasst hat. Am Abend des 15 April habe es noch den Befehl gegeben, die heranrückenden US-Truppen, insbesondere die Panzer, anzugreifen. Die Reaktion der US-Truppen auf diese „Kriegsführung der Nazis bis zum letzten Blutstropfen“, so Köster, sei ein massiver Artilleriebeschuss in der Nacht vom 15. auf den 16. April mit 46 Toten gewesen.

Velbert-Neviges war im Krieg besonders zerstört

Nicht nur in jener Nacht litt die Bevölkerung von Neviges besonders unter den Folgen des Krieges, Neviges war nach Ratingen die am zweitstärksten zerstörte Stadt im Kreis Mettmann: Insgesamt sei zwei Drittel des Wohnraumes seien beschädigt worden, so Köster, 25 Häuser mit 63 Wohnungen seien völlig unbewohnt gewesen, 71 Wohnungen mussten mühsam wieder aufgebaut werden. Bei über 1000 Wohnungen habe es leichtere bis mittlere Schäden gegeben. Fast 300 Nevigeser verloren ihr Leben als Soldaren, 277 trugen schwerste Verwundungen davon.

Insgesamt 41 Stolpersteine

In ganz Velbert erinnern aktuell 41 Stolpersteine ab die Opfer des Nationalsozialismus.

Als Erfinder der Stolpersteine gilt der in Berlin geborene und mittlerweile in Hessen lebende Künstler Gunter Demnig.

Der pensionierte Lehrer Rainer Köster hat bisher sechs Bücher über Widerstand und Verfolgung im Dritten Reich im Kreis Mettmann geschrieben. Seine letzte Veröffentlichung heißt: „Fern von jeder Freude... Widerstand und Verfolgung in Wülfrath 1933-1945“.

Vereinigung fordert mehr Stolpersteine

Der Zweite Weltkrieg, angezettelt durch Nazi-Deutschland, habe unermessliches Leid über die Menschen gebracht. Leid, das man nie vergessen dürfe. Die Stadt Velbert, so fordert Rainer Köster, müsse auch noch weiter die Gräueltaten aufarbeiten, die an jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern verübt wurden. „216 jüdische Mitmenschen wurden von den Nazis verfolgt und ermordet. In Velbert-Mitte 144, in Neviges 45 und in Langenberg 27“, bilanziert Köster. Verbrechen, an die zu wenig erinnert werde. So gebe es im ganzen Stadtgebiet „gerade mal ein Sechstel der möglichen Stolpersteine, die an das Schicksal der jüdischen Mitmenschen erinnerten.

Letzte Erinnerungstafel vor fünf Jahren verlegt

„Das ist viel zu wenig“, so der Historiker. „In Neviges gibt es sieben Stolpersteine, in Tönisheide einen.“ Der 2019 in Tönisheide an der Neustraße 149 verlegte Stolperstein zu Gedenken an das Nazi-Oper Carl Kipper, der hier bis zu seiner Ermordung 1940 lebte, war auch der letzte in Velbert verlegte Stolperstein. Das sei immerhin fünf Jahre her, man erwarte ja nicht, dass alle fehlenden Erinnerungstafeln auf einmal kämen, „aber hier sei noch viel zu tun“, bekräftigt Köster.

Erinnerten an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 79 Jahren, vl. Rainer Köster, Ingrid Schween, Udo Koch-Mehrin und Hans-Werner Rimpel gehören vom VVN-BdA Niederberg.
Erinnerten an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 79 Jahren, vl. Rainer Köster, Ingrid Schween, Udo Koch-Mehrin und Hans-Werner Rimpel gehören vom VVN-BdA Niederberg. © FUNKE Foto Services | Ulrich Bangert

Dazu ergänzt VVN-Mitglied Hans-Werner Rimpel: „Wir wünschen uns dort auf jeden Fall eine gut sichtbare, zusätzliche Info-Tafel.“ Die Inschrift „Aus unserem Grabe wachse der Glaube an Deutschland“ habe nichts mit Völkerverständigung zu tun, hier müsse auch auf die Schrecken des Ersten und Zweiten Weltkrieges hingewiesen werden.

Forderung: Straßen nach Nazi-Gegnern benennen

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Dazu sei es „längst an der Zeit“, so fordert Rainer Köster, Plätze und Straßen in Neviges nach Widerstandskämpfern zu benennen. Dass der Vorschlag, den Kreisverkehr vor dem Panoramabad „Staufenberg-Platz“ zu nennen, im Hauptausschuss abgelehnt wurde, sei bedauerlich. Nach dem gescheiterten Hitler-Attentat wurde Claus Graf Schenk von Staufenberg gemeinsam mit anderen hochrangigen Offizieren in der Nacht auf den 21. Juli 1944 im Hof des Bendler-Blockes in Berlin erschossen. Daran, so Rainer Köster, müssten auch die Schülerinnen und Schüler der zukünftigen Gesamtschule Waldschlösschen auf ihrem Schulweg erinnert werden. Der Kreisverkehr vor dem Schwimmbad sei daher ein sinnvoller Standort.