Velbert. Velberter Hausärzte haben fünf Jahre lang erfolglos einen Nachfolger gesucht. Nun können rund 3500 Patientinnen und Patienten aufatmen.
Die hausärztliche Versorgung in Deutschland steht seit Jahren vor großen Herausforderungen. Eine Studie der Robert-Bosch-Stiftung zeigt: Aufgrund des demografischen Wandels und gesellschaftlicher Veränderungen werden in Deutschland bis 2035 rund 11.000 Hausarztstellen unbesetzt und damit fast 40 Prozent der Landkreise unterversorgt oder zumindest von Unterversorgung bedroht sein.
Einer der Gründe: Etwa 37 Prozent der aktiven Hausärztinnen und Hausärzte sind heute bereits älter als 60 Jahre. Das Medizin-Studium ist zwar nach wie vor beliebt – vor allem bei jungen Frauen –, allerdings lässt sich der immer stärker werdende Wunsch nach einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit den aktuellen Arbeitsbedingungen als niedergelassener – und somit in der Regel selbstständiger – Hausarzt nur schwer realisieren, so dass für viele junge Medizinerinnen und Mediziner die eigene Hausarztpraxis nicht gerade ganz oben auf der Wunschliste steht.
Vor diesem Hintergrund sind neue innovative Konzepte nötig, um die wohnortnahe hausärztliche Versorgung auch künftig gewährleisten zu können. Ein solches – deutschlandweit bisher einzigartiges – Konzept gibt es nun in Velbert. Dort hat die erste genossenschaftlich geführte Hausarztpraxis eröffnet.
Warum es für Hausärzte auch in Velbert so schwer ist, Praxen an Nachfolger zu übergeben
In den beiden Velberter Praxen bzw. Praxisgemeinschaften von Claus Leuchtenmüller, Dr. Thomas Beyer, Dr. Martina Kamler und Thomas van Suntum, die sich bislang WG-ähnlich im „Medicum“ an der Blumenstraße die Räumlichkeiten teilten, hatte man sich schon lange Gedanken über die Zukunft gemacht: „Auch wir werden ja nicht jünger“, so die Erkenntnis der Ärzte, die die Velberter zum Teil schon seit mehr als 30 Jahren hausärztlich begleiten. Allerdings gab es auch dort das Problem: Geeignete Nachfolger waren nicht in Sicht. Einige scheuten das wirtschaftliche Risiko, andere wollten sich nicht auf das „Abenteuer Selbstständigkeit“ mit vielen administrativen und versorgungsfernen Aufgaben einlassen, wieder andere waren als Investor auf Gewinnmaximierung aus.
Velberter Hausarzt-Praxis suchte fünf Jahre nach einem Nachfolger
So drohte fünf Jahre nach Beginn der Nachfolger-Suche die Schließung – rund 3500 Patientinnen und Patienten hätten sich einen anderen Hausarzt suchen müssen. „Allein in Velbert gibt es aber neun offene Hausarztsitze“, weiß Bernd Kühnemund, Geschäftsführer der Gehamed GmbH, einer Dienstleistungsgesellschaft der im vergangenen Jahr gegründeten Genossenschaft HV Plus. „Die jungen, recht fitten Patientinnen und Patienten wären vermutlich in anderen Velberter Praxen untergekommen, Patienten mit einer oder gar mehreren chronischen Erkrankungen hätten es hingegen sicher schwer gehabtt und wären vermutlich teilweise auf der Strecke geblieben.“
Betreiber-Modell ist bisher einmalig: Was sich ibn Velberter Hausarztpraxis für Patienten ändert
Statt der Schließung gibt es nun ein laut Kühnemund in Deutschland bisher einmaliges Betreibermodell: Die bis zum 31. März eigenständigen Praxen bzw. Praxisgemeinschaften wurden unter dem neuen Namen „MVZ Velbert“ zusammengeführt. Betreiber ist seit Anfang des Monats die HV-Plus-Genossenschaft. Während Dr. Thomas Beyer und Thomas van Suntum nach aktuellem Stand als nunmehr angestellte Ärzte noch drei Jahre an Bord bleiben, verabschieden sich Claus Leuchtenmüller und Dr. Cord Münstermann in den Ruhestand, wie Kühnemund ankündigt. Gespräche mit potenziellen neuen Ärztinnen und Ärzten für das MVZ Velbert würden bereits laufen.
In Velberter Praxis sind Teilzeit-Modelle für Ärztinnen und Ärzte möglich
Vorteil sei, so der Geschäftsführer weiter, dass es nun ganz neue Möglichkeiten und Modelle gebe. „Beispielsweise kann eine Hausärztin bei uns auch in Teilzeit zehn Stunden pro Woche arbeiten“, erläutert Kühnemund. „Oder die Arbeitszeiten in den frühen Abend ausdehnen, wenn das besser passt.“ So hofft die Genossenschaft mehr junge Medizinerinnen und Mediziner für den Beruf des niedergelassenen Hausarztes zu begeistern. „Derzeit arbeiten viele stattdessen in Krankenhäusern“, sagt der Geschäftsführer. „Einfach weil solche Modelle bisher bei niedergelassenen Hausärzten absolut unüblich waren.“
Weniger Bürokratie und administrative Tätigkeiten für Ärzte
Und – auch das sei ein Vorteil, so Kühnemund: Die Betreiber regeln weitgehend alles Administrative. „Die Ärzte müssen sich nicht mehr um Bewerbungsgespräche oder neue Technik kümmern, Ärztezeit ist künftig Patientenzeit“, weiß Kühnemund, dass in vielen Praxen ein Drittel der Arbeitszeit für die Administration verwendet wird.
Genossenschaft will mit Velberter Praxis keine Gewinne machen
Das ist die Genossenschaft HV Plus
Die neu gegründete HV Plus ist die erste nationale Genossenschaft der Hausärztinnen und Hausärzte.
Mitglieder sind sind selbstständige Hausärztinnen und Hausärzte.
Vorstandsvorsitzender ist Dr. Oliver Funken, selbst seit 2000 niedergelassener Hausarzt und 1. Vorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes Nordrhein.
„Wir als Genossenschaft müssen keine Gewinne machen“, sagt Kühnemund. Zweck der Genossenschaft sei es vielmehr, Versorgungssicherheit herzustellen. Und dabei soll Velbert nur das erste Projekt sein – weitere Übernahmen in anderen Städten sind bereits konkret geplant. „Nach der ersten Woche lässt sich jedenfalls festhalten“, so Kühnemund, „der Übergang hat bis auf einige Kinderkrankheiten wirklich gut funktioniert“.