Velbert. Vier Slamer stellten sich in der Stadtbücherei dem Velberter Publikum. Letztere war absolut begeistert vom Können der Textkünstler.

Die sonst ruhige Atmosphäre der Bücherei weicht der gesprochenen Literatur sowie dem frenetischen Applaus: ein Poetry Slam in der Stadtbücherei Velbert. Ein Moderator, vier Slammer, 85 Gäste sowie Bibliothekarin Anja Bley und ihr Team. Drei Stunden hervorragende und kurzweilige Unterhaltung: mal tiefgründig und mal platt, wie der Dialekt, mal absurd und mal real ekelig wie ein dreckiges Klo, mal kritisch und mal populistisch mitreißend wie Verschwörungstheorien.

Kolja Fach beeindruckt das Velberter Publikum textlich, sprachlich und in Person.
Kolja Fach beeindruckt das Velberter Publikum textlich, sprachlich und in Person. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Eine Art Literatur-Wettbewerb in der Velberter Stadtbücherei

Poetry Slam ist eine Art Literatur-Wettbewerb mit drei Regeln, erklärt Jan Schmidt, der durch den Abend führt. Die Regeln in einem Satz: Die Künstler müssen den Text selbst geschrieben haben, der – ohne Requisiten – vorgetragen, sechs bis sieben Minuten dauern darf. Unerlässlich gehört eine Jury dazu. Sogleich melden sich fünf Freiwillige, die Noten zwischen eins und zehn geben dürfen. „Ich wollte schon immer mal Jury sein“, sagt eine Dame. Mit ihrer demokratischen Grundeinstellung bezieht sie die ganze Sitzreihe in ihre Notengebung ein und wählt den Mittelwert.

Publikum von 16 bis 86 ist begeistert

Hauptakteure, die für herzerfrischendes Lachen sorgen und unausgesprochene Gefühle verbalisieren, sind Paulina Behrend, Sandra da Vina, Kolja Fach und Jean-Philippe Kindler. Ihre weitere besondere Fähigkeit: Sie ziehen ein Publikum zwischen 16 und 86 Jahren an. In zwei Runden durften die Vier jeweils ein Stück vortragen.

Der profane Alltag des Normalbürgers

Kolja Fach brilliert mit amüsierenden Wendungen in seinen – zumeist aus dem vermeintlich profanen Alltag des Normalbürgers geholten – Texten, sei es der Tiefgang in den Bartwuchs eines Teens oder die Beschreibung eines maritim eingerichteten Badezimmers. Seine Klarheit beeindruckt textlich, sprachlich und in Person, wenngleich die rötlich wilde Lockenmähne und der umfassende Bart wenig von seinem Gesicht zu erkennen geben. Das macht nichts, denn der 24-Jährige rockt die Bühne, er wirkt stark und unerschrocken, vielleicht weil er seine erlebten Kulturschocks in humoristische Kurzgeschichten fassen kann.

Sandra da Vina ist ehemalige Siegerin des NRW-Slams und tritt nun auch als Comedian auf.
Sandra da Vina ist ehemalige Siegerin des NRW-Slams und tritt nun auch als Comedian auf. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Eine farbenfroher Kurz-Film

Ganz anders Sandra da Vina: Die Ü30-Jährige, ehemalige Siegerin vom NRW-Slam, ist mittlerweile als Comedian unterwegs. Klug und bildlich hervorragend beschrieben erzählt sie von den Dingen, die sie ausmistet. Ihr Tempo ist bedächtiger. Sie scheut nicht fiese Details zu erwähnen, sie gar auszurollen. Die Zuschauer nimmt sie gemächlich mit in ihren farbenfrohen Kurz-Film.

Jean-Philipp Kindler zeigt sich gesellschaftskritisch. Der Düsseldorfer überzeugt das Publikum am meisten und gewinnt den Velberter Poetry Slam.
Jean-Philipp Kindler zeigt sich gesellschaftskritisch. Der Düsseldorfer überzeugt das Publikum am meisten und gewinnt den Velberter Poetry Slam. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Kindler lebt seine Texte

Als offensichtlich gesellschaftskritischer und politischer Slammer tritt Jean-Philipp Kindler auf. Der Düsseldorfer Satiriker liebt Verschwörungstheorien. Dahinter stünden Menschen, die glauben, dass eine Machtelite ökonomische Interessen verfolgten und die Bevölkerung zu Marionette machten. Merkel, Scholz, Lindner: Kindle packt Politiker, Kiffer und Monopoly in einen Text mit rotem Faden und zieht rechts und links Analogien. Das Publikum gluckst, nickt und schüttelt sich vor Lachen. Der vielfache Gewinner bedeutender Preise gluckst mit, er lebt seine Texte.

Paulina Behrendt aus präsentiert Texte, tief aus Herz und Seele, die berühren.
Paulina Behrendt aus präsentiert Texte, tief aus Herz und Seele, die berühren. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Lyrische Momente mit harscher Kritik

Aus Hamburg reist Paulina Behrendt an. Ihre Texte, tief aus Seele und Herz, berühren. Weich und warm führt sie die Zuschauer in ihr Inneres, das zu sprechen anfängt. Verletzlich wirkt sie, zart und doch so stark, weil sie ausspricht, was Menschen oft unbewusst wahrnehmen, jedoch nicht offen und zeitgleich schützend in Worte hüllen können. In ihre lyrischen Momente packt sie harsche Kritik, die wie Nadelstiche wirken könnten, wären die Nadeln nicht in Watte gepackt. „Wir haben ein Recht auf Akzeptanz der Verletzung“, sagt sie. Das Publikum gibt ihr Recht.

Nach drei Stunden steht der Gewinner fest

Die Zuschauer entscheiden sich per Applaus an diesem Abend für Jean-Philipp Kindler. Er gewinnt den Velberter Poetry Slam im Stechen mit Kajo Fach. Auch die kritische Jurorin plädiert für ihn. Ein neuer Termin für den dritten Velberter Poetry Slam steht schon fest: 6. Mai 2023.

Mehr Inhalte aus Velbert