Velbert. Die Lage spitzt sich zu: Dieses Jahr sind schon jetzt mehr Flüchtlinge und Asylbewerber nach Velbert gekommen als 2015. Plätze sind kaum noch da.

Die Kommunen stünden vor einer Situation, die schon jetzt mit jener der Jahre ab 2015 vergleichbar sei, melden deren Spitzenverbände – Deutscher Landkreistag sowie Städte- und Gemeindebund – angesichts stark steigender Zahlen von Ukraine-Flüchtlingen und Asylbewerbern. Sie schlagen Alarm, fordern einen Flüchtlingsgipfel auf Bundesebene. „Die Situation spitzt sich deutlich zu“, berichtet auch Gerno Böll, „das geht natürlich an Velbert nicht vorbei“. Spätestens im Oktober seien die Kapazitäten für die Unterbringung erschöpft, prophezeite der Fachdezernent gen Ende der letzten Ratssitzung, wo er unter dem Tagesordnungspunkt „Mitteilungen“ einen Einstieg ins Thema machte. Es wird voraussichtlich in dem Gremium an diesem Dienstag, 27. September, weiter vertieft. Und da steckt viel drin.

Zum Jahresende mehr als 1000 Menschen neu in Velbert eingetroffen

Die Sporthalle am Waldschlösschen ist bereits vorübergehend für Kriegsflüchtlinge genutzt worden. Möglicherweise kommen Turnhallen nun wieder in den Blick.
Die Sporthalle am Waldschlösschen ist bereits vorübergehend für Kriegsflüchtlinge genutzt worden. Möglicherweise kommen Turnhallen nun wieder in den Blick. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

„Wir haben noch keinen konkreten Plan, wir müssen die Köpfe zusammenstecken und überlegen, was wir machen“, kündigte Dirk Lukrafka an. Bis Februar/März werde sich die Lage absehbar verschärfen, so der Bürgermeister weiter. In 2015 seien insgesamt 833 Menschen nach Velbert gekommen, bilanzierte Böll auf Nachfrage der WAZ. Aktuell seien es schon 949, von denen 93 die Stadt mittlerweile wieder verlassen hätten, so dass vor Ort 856 verblieben: „2015 ist also schon getoppt.“ Von den 856 Menschen habe die dafür zuständige Bezirksregierung Arnsberg 346 – darunter 150 aus der Ukraine – zugewiesen. 510 ukrainische Staatsbürger seien aufgrund privater Bindungen bzw. Kontakte nach Velbert gekommen. „Ende des Jahres werden mehr als 1000 Menschen eingetroffen sein.“

Wohnungsmarkt ist dicht

Aktuell seien die Unterbringungskapazitäten „so gut wie ausgereizt“, gebe es lediglich noch knapp 50 Plätze in verschiedenen Objekten, schildert Gerno Böll die Situation. „Wir müssen aber bis zum Frühjahr mindestens mit 300 weiteren Menschen rechnen.“ Das sei schon „eine besondere Herausforderung“. Man könne nicht ausschließen, erneut Turnhallen nutzen zu müssen, prüfe laufend Optionen. Etwa Traglufthallen und andere Immobilien. Der Wohnungsmarkt sei „so wie allerorten dicht“, und der Druck auf die Stadt immens, da Velbert zudem einen „sehr hohen Zuzug“ von Menschen aus Südosteuropa verzeichne, wie es ihn sonst nur in Ruhrgebietsstädten gebe.

Zulässige Klassengrößen ausschöpfen

Hat den Eindruck, „dass das gesamte Problem in seiner Tragweite noch nicht angekommen ist“: der Erste Beigeordnete und Fachdezernent Gerno Böll.
Hat den Eindruck, „dass das gesamte Problem in seiner Tragweite noch nicht angekommen ist“: der Erste Beigeordnete und Fachdezernent Gerno Böll. © FUNKE Foto Services | Kira Alex

Blicken wir auf die Schulen: Im Primarbereich habe man bislang alle Mädchen und Jungen aus der Ukraine unterbringen können, im Bereich der weiterführenden Schulen werde es jedoch eng. Laut Verwaltung gibt es dort schon neun Seiteneinsteiger- bzw. Willkommensklassen mit rund 170 Schülern. „Die Schulen werden jetzt volllaufen“, sagt der Erste Beigeordnete; hinsichtlich der Obergrenzen der zulässigen Klassengrößen müsse man die mögliche Bandbreite absehbar ausnutzen. „Wir überlegen, zur Unterstützung zusätzliche Schul-Sozialarbeiter einzustellen“, erzählt Markus Hackethal. „Wir hören den Hilferuf der Kollegien und können das verstehen.“ Man müsse nun sehen, fügt der Fachbereichsleiter Jugend und Familie hinzu, „wo Notwendigkeiten bestehen und was wir tun können“.

Fünf weitere Kitas erforderlich

An Obergrenzen wird’s wohl auch im Kita-Bereich gehen. „Wir haben hinsichtlich der Versorgung eigentlich ganz gute Zahlen, aber dieser Entwicklung können wir nur hinterherlaufen“, kommentiert Ingrid Treitz die Situation. „Unabhängig von den beiden künftigen KitasNordstraße und Fontanestraße, deren zusammen 166 Plätze schon komplett belegt sind“, sagt die versierte Jugendhilfeplanerin, „bräuchten wir in den kommenden Jahren fünf weitere mit jeweils vier bis fünf Gruppen.“ Das seien pro Einrichtung 70 bis 90 Kinder.

Erwartungen aus Velbert an Bund und Land

„Dieser Entwicklung können wir nur hinterherlaufen“, sagt Ingrid Treitz. Sie ist bei der Stadt Velbert für die Jugendhilfeplanung zuständig.
„Dieser Entwicklung können wir nur hinterherlaufen“, sagt Ingrid Treitz. Sie ist bei der Stadt Velbert für die Jugendhilfeplanung zuständig. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

„Man hat auf verschiedenen Ebenen den Eindruck, dass das gesamte Problem in seiner Tragweite noch nicht angekommen ist“, erklärt Gerno Böll. „Der Bund muss für eine ausgewogene Verteilung sorgen.“ Velbert unterstütze die Forderung nach einem Flüchtlingsgipfel auf Bundesebene, ähnliches sei aber auch zwischen Kommunen und Land NRW vonnöten. „Der Ansatz der Integrationsministerin Josefine Paul, die Plätze in den Notunterbringungseinrichtungen von 3400 auf 4500 aufzustocken, geht ja in die richtige Richtung. Ich würde mit persönlich allerdings ein hohes vierstelliges Plus wünschen.“

Immenser Druck infolge dreifacher Herausforderung

Velbert erwarte, von Bund und Land nicht allein gelassen zu werden, bekräftigt der Dezernent. Schließlich habe die Stadt angesichts der dreifachen Herausforderung durch ukrainische Kriegsflüchtlinge, Asylbewerber und Südosteuropa-Migranten den Druck, dafür die nötige Infrastruktur für Schul- und Kita-Plätze schaffen zu müssen. „Wir tun alles, was wir können, und stehen auf der Seite der Menschen“, versichert Böll. Eigentlich könne man aber nur noch improvisieren, fügt Hackethal hinzu, „und irgendwann wird eine menschenwürdige Unterbringung schwierig“.

Fördermittel für Sanierungsvorhaben erhofft

Die Mitglieder des Velberter Rates kommen am Dienstag, 27. September, um 17 Uhr im Historischen Bürgerhaus Langenberg (Hauptstraße 64) zusammen. Auf ihrer Tagesordnung stehen u. a. auch Anträge für eine Teilnahme am Förderprogramm „Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen, Sport, Jugend und Kultur“.

Dazu gehören beispielsweise die Sanierung der Turnhalle Kohlenstraße, des Nizzabades und der Sporthalle am Waldschlösschen. Die vollständige Tagesordnung nebst der veröffentlichten Beratungsvorlagen ist im Ratsinformationssystem auf velbert.ratsinfomanagement.net einsehbar.