Düsseldorf. Die neue NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) will die Kinderbetreuung stärken und Queer-Menschen vor Diskriminierung schützen.

Josefine Paul (40) aus Münster war Fraktionschefin der Grünen im Landtag und ist jetzt Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration. Im Gespräch mit Matthias Korfmann erklärt sie, wie sie die Kitas stärken und Queer-Menschen helfen will.

Frau Ministerin Paul, Welches Ziel ist Ihnen besonders wichtig?

Paul: Mehr Fachkräfte für die Kitas gewinnen. Wir haben das Alltagshelfer-Programm verlängert, um Erzieherinnen und Erzieher weiter zu entlasten und wollen eine Fachkräfte-Offensive starten. Es gibt nicht die eine Lösung. Wir brauchen Quereinstieg, eine Verstetigung des Alltagshelfer-Programms, mehr Ausbildungsplätze und gute Arbeitsbedingungen.

Können Sie Erzieherinnen und Erzieher, die sich vor dem nächsten Corona-Herbst fürchten, beruhigen?

Paul: Es waren zweieinhalb belastende Jahre für Erzieherinnen und Erzieher, Familien und Kinder. Wir bereiten die Kitas sorgfältig auf den Herbst vor. Die Alltagshilfskräfte sind in den Einrichtungen, die Finanzierung für ausreichende Tests ist gesichert. Wir treten jetzt in engen Austausch mit den Kita-Trägern und Eltern, um gemeinsam über notwendige Schritte zu entscheiden.

Schließen Sie Kita-Schließungen aus?

Paul: Kinder, Jugendliche und Familien müssen jetzt im Mittelpunkt stehen. Wir gehen daher vorausschauend in die nächsten Monate, zusammen mit dem Gesundheits- und Schulministerium. Schließungen von Kitas können nur Ultima Ratio sein - wir streben an, dass das nicht passiert.

Geraten Jugendliche in einer alternden Gesellschaft immer mehr unter Druck?

Paul: Generationengerechtigkeit bedeutet kein Gegeneinander der Generationen, sondern alle Interessen im Blick zu haben. „Jugend“ steht nicht ohne Grund jetzt im Titel meines Ministeriums. Wir nehmen die ernst, denen die Zukunft gehört und wollen auf sie hören. Wir senken daher das Wahlalter auf 16 Jahre. Wir führen einen „Jugend-Check“ ein, mit dem alle Gesetzesvorhaben auf ihre Auswirkungen auf Jugendliche überprüft werden.

Was treibt Jugendliche um?

Paul: Ihr Hauptproblem ist, dass sie oft nicht gesehen und gehört werden. Dabei zeigen viele junge Menschen, dass sie eine Meinung und Haltung haben. Bewegungen wie Fridays for Future und Black Lives Matter werden stark von Jugendlichen und jungen Erwachsenen getragen.

NRW hat mit Ihnen erstmals eine Queer-Frau als Familienministerin. (als „Queer“ bezeichnen sich viele Lesben, Schwule und Transgender-Personen) Welchen Stellenwert hat das für Sie?

Paul: Das ist ein wichtiges Signal, aber viel wichtiger ist, dass sich in der Politik meines Ministeriums Vielfalt abbildet. Mit dem Zuschnitt des Hauses, jetzt auch inklusive Gleichstellung, zeigt sich das.

Der inzwischen weithin geächtete Ex-Kanzler Gerhard Schröder hat das Familienressort mal mit Gedöns in Zusammenhang gebracht. Wie tief sind solche Vorstellungen noch in den Köpfen?

Paul: Das wird zum Glück weniger. Es geht um die Frage, wie wir gerecht und in Vielfalt zusammenleben und allen Menschen gleiche Chancen geben können. Das ist eine harte politische Frage.

Sie setzen sich für den Schutz von LSBTIQ-Menschen (z.B. Lesben, Schwule,Transsexuelle) ein. Wie stark werden die heute noch diskriminiert?

Paul: NRW ist eine offene Gesellschaft, in der Vielfalt gelebt wird. In Münster wurde vor 50 Jahren die erste schwul-lesbische Demonstration veranstaltet. Wir haben in NRW eine gut aufgestellte LSBTIQ-Community, Jugendzentren und Meldestellen für Diskriminierung. Schwule und Lesben erleben aber nach wie vor Zurückweisung, und immer wieder werden sie auch angegriffen. Daher werden wir ein Landes-Antidiskriminierungsgesetz und eine Antidiskriminierungsstelle auf den Weg bringen.

Sie zählen als lesbische Frau selbst zu LSBTIQ und regieren zusammen mit der CDU. Haben Sie den Eindruck, die Union tut sich leichter mit solchen Themen als früher und hat ein modernes Familienbild?

Paul: Das Bekenntnis zu Offenheit und Vielfalt zieht sich durch den ganzen Koalitionsvertrag von CDU und Grünen.

Was fehlt zur vollständigen Gleichstellung von Queer-Menschen?

Paul: Das Selbstbestimmungsgesetz des Bundes, des es jedem Menschen ermöglichen soll, sein Geschlecht und seinen Vornamen selbst festzulegen, ist ein Meilenstein. Aber für lesbische Frauen fehlt etwa nach wie vor die Anpassung des Abstammungsrechtes. Wenn ein lesbisches Paar ein Kind bekommt, und es wird in diese Ehe hineingeboren, ist die nicht gebärende Mutter immer noch gezwungen, ihr eigenes Kind zu adoptieren. Bei heterosexuellen Ehen wird automatisch angenommen, dass der Ehemann der Vater ist. Diese Ungleichbehandlung darf nicht sein im Jahr 2022.

Haben Sie selbst Diskriminierung erlebt?

Paul: Zum Glück nicht so, dass mein Leben dadurch stark beeinflusst worden wäre. Ich habe aber unzählige Gespräche mit Menschen geführt, die unter Alltagsrassismus und -diskriminierung leiden.

Werden Sie die Zahl der Schutzplätze für Frauen und Männer erhöhen?

Paul: Wir brauchen mehr Schutzplätze für Frauen und Männer, denn wir sind der Istanbul-Konvention verpflichtet. Die besagt, dass jede Frau und jedes Mädchen das Recht auf Schutz vor Gewalt hat. Wir werden gerade Kinder in Frauenhäusern noch mehr in den Blick nehmen und dafür eine weitere Fachstelle in Frauenhäuser etablieren.

Ihr Amtsvorgänger Joachim Stamp hat immer gesagt, gut integrierte Zugewanderte sollten leichter ein Bleiberecht bekommen, abgelehnte Asylbewerber und Straftäter konsequent abgeschoben werden. Ist das auch die Philosophie von Josefine Paul?

Paul: Das neue „Chancen-Aufenthaltsrecht“, das der Bund vorbereitet, ist wichtig, weil es Menschen, die zum Teil seit 20 Jahren nur als „Geduldete“ hier leben, eine Bleibeperspektive gibt. Wir brauchen die Potenziale dieser Menschen, auch weil Fachkräfte fehlen. Aber zu einem rechtsstaatlichen Verfahren gehört auch, dass unter Umständen am Ende eine Ausreise steht.

Sie sind in Helmstedt an der deutsch-deutschen Grenze aufgewachsen. Inwieweit hat Sie das geprägt?

Paul: Als Kind war es für mich normal, dass direkt vor meiner Haustür eine Grenze verlief. Das macht mich sensibel dafür, was für ein Privileg es ist, in einem Europa zu leben, in dem man ungehindert reisen kann. Kinder sollten in Freiheit und nicht vor bewaffneten Grenzanlagen aufwachsen.

Sie sind seit 23 Jahren bei den Grünen. Heute koalieren Grüne mit der CDU, machen sich für Waffenlieferungen in die Ukraine stark. Erkennen Sie die eigene Partei noch wieder?

Paul: Als Grüne sind wir bereit Verantwortung zu übernehmen, auch wenn das mit schwierigen Entscheidungen einhergeht. Für eine Partei, die Wurzeln in der Friedensbewegung hat, ist es nicht leicht, Waffenlieferungen zu fordern. Aber ein Verzicht auf Waffenlieferungen bedeutet, die Menschen, die in der Ukraine für Freiheit und Demokratie kämpfen, im Stich zu lassen.

Haben Sie keine Angst, dass sie von Bewegungen wie Fridays for Future, die bisher als natürliche Verbündete der Grünen gelten, jetzt als Regierungspartei Gegenwind bekommen?

Paul: Bewegungen wie Fridays for Future sind essenziell für eine Demokratie. Die Klimakrise ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Politik immer wieder daran zu erinnern, ist wichtig.

Sie spielen seit ihrer Kindheit leidenschaftlich gern Fußball. Haben Sie jetzt noch Zeit dafür?

Paul: Das muss ich wohl aufs Zuschauen reduzieren. Ich sehe mir, wenn möglich, die Spiele der Fußball-EM der Frauen an.