Neviges. Die Franziskaner haben nach ihrem Abschied aus Neviges einen Schatz hinterlassen. Im Klosterarchiv liegen fast 350 Jahre Wallfahrtsgeschichte.
Der braune Kasten, der über die Anwesenheit der Brüder Auskunft gab und in dem früher zahlreiche Namen zu lesen waren, hängt leer an der Wand. Die Türen sind abgesperrt. Das verwaiste Kloster, es stimmt nach dem Abschied der Franziskaner einfach nur traurig. Doch in einem Kellerraum haben die Brüder ein Vermächtnis von unschätzbarem historischen Wert hinterlassen: So tot das Gebäude wirkt, so viel lebendiges, pralles Leben findet sich in einem abgeschiedenen Raum im Seitentrakt: Im Klosterarchiv erzählen mehr als 900 Dokumente von fast 350 Jahren Wallfahrtsgeschichte. Verwaltet wird das Archiv seit 2001 von dem Historiker Gerhard Haun, ein pensionierter Studienrat und exzellenter Kenner der Stadtgeschichte.
Nachweis der ersten Wallfahrt
Nur für Wissenschaftler zugänglich
Das Klosterarchiv besteht in dieser Form seit 2001. Zuvor lagerten die Dokumente ungeordnet in mehreren Schränken des Klosters. Eine Archivarin des Historischen Archivs des Erzbistums Köln hatte das ganze Material dann mitgenommen, gesichtet und ein Findbuch angelegt.
Wer hier forschen möchte, muss einen wissenschaftlichen Auftrag nachweisen. Seit 2001 kümmert sich Gerhard Haun ehrenamtlich um die Archiv-Verwaltung. Der Historiker ist Ehrenvorsitzender des Bergischen Geschichtsvereins Velbert-Hardenberg und der Gemeinde sehr verbunden.
Das älteste und wohl wichtigste Dokument trägt im Findbuch die Nummer 504, der flache Karton lagert recht weit oben in dem grauen Archiv-Stahlschrank. Also rauf auf die Leiter und vorsichtig wieder herunter balancieren. Der Inhalt ist zwar nicht zerbrechlich, aber immens wertvoll: „Das hier ist ein Brief des Fürstbischofs Ferdinand von Fürstenberg“, erläutert Gerhard Haun und schaut sich die Schrift aufmerksam an. „Darin schreibt er an den Abt von Werden und kündigt seine Ankunft in Neviges an.“ Geschrieben am 23. Oktober 1681, zwei Tage später kam der Fürstbischof von Münster und Paderborn hier an. Zum Dank, dass er seine schwere Krankheit überstanden hatte, hatte er eine Pilgerfahrt nach Neviges unternommen, zum Marien-Gnadenbild der „Unbefleckten Empfängnis“.
Marien-Erscheinung schriftlich festgehalten
Dieser Brief, so Haun, sei der erste und wichtigste Beleg darüber, dass der Fürstbischof in Neviges weilte. Zwei Jahre später, 1683, verfasst der Abt von Werden dann das offizielle Dokument zu den Ereignissen dieser ersten Wallfahrt am 25. Oktober, auch dieses Original liegt im Klosterarchiv. Ebenso wie ein weiterer Beleg von Rang: ein kleines Büchlein aus dem Jahr 1707, verfasst von Pater Caspar Nießing, Kloster-Hausoberer zur Zeit der ersten Wallfahrt. „Dies ist ein Augenzeugenbericht, der Pater beschreibt hier alles, was er damals erlebt hat“, erläutert Gerhard Haun. In Großbuchstaben ist hier zudem von den Ursprüngen der Wallfahrt zu lesen, der Marienerscheinung des Dorstener Franziskaner-Paters Antonius Schirley: Er will 1680 beim Beten eine Stimme gehört haben: „Bring mich nach dem Hardenberg, da will ich verehret sein.“ Bemerkenswert findet Historiker Gerhard Haun auch die 1740 verfassten Berichte des Nevigeser Paters Engelbert. Schriftlich werde hier von Wundern berichtet, über die ansonsten nur erzählt worden sei.
Großes Interesse der Forscher
Das Interesse der Wissenschaftler an dem Klosterarchiv ist ungebrochen: So bitten viele Doktoranden den Archiv-Verwalter, einen Blick in die Originale werfen zu dürfen. Auch für Historiker mit dem Schwerpunkt Neue Geschichte gibt es viel zu entdecken: So haben die Franziskaner von 1919 bis 1940 penibel ein Rechnungsbuch geführt, in dem auch Details über Pilgergruppen vermerkt sind. 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, strömten 51.000 Pilger nach Neviges. „Auffallend ist, dass ab 1936 Einträge herausgeschnitten sind, zum Teil wurde auch etwas eingeklebt“, sagt Historiker Haun und vermutet: „Da könnte Gefährliches gestanden haben. Kann ja sein, dass auch die Prozessionen kontrolliert wurden, das kann eine Vorsichtsmaßnahme gewesen sein.“ Eine Vorsichtsmaßnahme der Franziskaner, um Pilger vor Maßnahmen der NS-Schergen zu schützen.
Dom-Bau ist dokumentiert
Auch die Kuratorin des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt hat kürzlich im Klosterarchiv geforscht, erzählt Gerhard Haun. Anlässlich des 100. Geburtstags des Architekten und Dom-Erbauers Gottfried Böhm läuft in Frankfurt bis zum 26. April eine Ausstellung über den Mariendom. Ein Teil der Original-Bauzeichnungen liegt in einem der 84 Kartons. Bleibt zu hoffen, dass all diese Schätze in guten Händen bleiben, sollte in Zukunft ein neuer Hausherr ins Kloster einziehen.