Velbert. Die Gefühlswelt eines Demenzkranken unterscheidet sich von der der Angehörigen. Monika Thöne gibt Tipps, wie man lernen kann, damit umzugehen.
Diplom-Pädagogin Monika Thöne setzt sich für Menschen mit Alzheimer und anderen Demenzerkrankungen sowie für deren Angehörige ein. Sie kann sich noch an die Entstehung des Angebotes des „Katholischen Bildungswerks Kreis Mettmann“ erinnern.
Damals war die Seminarreihe, die in der Klippe 2 angeboten wird, angedacht für Ehrenamtliche, Angehörige und Interessierte. Für Menschen, die in dem Bereich arbeiten, war sie nicht ausgelegt. Inzwischen aber mischen sich die Teilnehmenden. „Dadurch bleibt die Schwere raus, die entsteht, wenn nur betroffene Angehörige da sind.“ Darauf zielt die gesamt Seminarreihe ab: es insgesamt leichter zu machen.
Pflegende Angehörige leiden auch körperlich
Pflegende Angehörige sind durch die hohe Belastung körperlich oft viel kranker als die dementen Patienten. Thöne gab von Beginn an viele kleine Tipps für die Praxis im Umgang mit Dementen. Man solle sie aus ihrer Nutzlosigkeit holen, die Hände beschäftigten. Gleichzeitig müssten die Tätigkeiten sinnvoll sein.
Dann erläutert sie große Probleme, die durch den Fortschritt entstanden sind. „Die meisten Menschen sind älter als 70 Jahre.“ Früher sei das Wasser aus dem Brunnen gekommen, wurde aus der Kelle und dem Eimer getrunken, danach kam es aus der Leitung.
Der Ohnmacht vorbeugen, die sich einstellen kann
„Wasser wurde nicht aus der Flasche getrunken, man trank Schnaps aus der Flasche.“ – Weshalb manche Demente das Trinken aus der Flasche verweigern würden. Außerdem: „Wenn ein Mensch 95 Jahre alt geworden ist und immer nur ein Glas Wasser am Tag getrunken hat, dann ist mehr zu trinken eine Qual.“ Was helfen könnte? Einfach mittrinken.
Wer weglaufen will und dann gehalten wird, entwickelt Aggressivität. Bei den Pflegenden wiederum entwickle sich Ohnmacht. Wichtig sei, sagt Monika Thöne, den anderen nicht ins Unrecht, in die Scham zu bringen. An etwas erinnert zu werden, an das man sich nicht erinnert, kann sehr peinlich sein.
Unterschiedliche Wirklichkeiten, unterschiedliche Wahrnehmungen
Es gebe auch unterschiedliche Wirklichkeiten, jedes Geschwisterkind etwa habe seine eigenen Erinnerungen, die sich völlig von einander unterscheiden können. „Wir müssen uns mit der Angst beschäftigen, aber das müssen die Therapeuten machen. Wenn der Gegenüber seine Angst nicht abgeben will, dann müssen wir sie ihm lassen.“
Wenn akzeptiert werde, was ist, dann könne sich ein Gefühl lösen und gehen. „Wenn jemand sein Leben lang Angst oder Trauer gehalten hat – etwa durch Kriegserlebnisse –, dann kann das nicht einfach weggehen.“ Freunde und Familie könnten sich abwenden, weil sie mit der Situation überfordert sind – es sich aber nicht eingestehen können.
Art und Tempo des Denkens verändern sich
Das Tempo und die Art des Denkens verändern sich, im Alter und bei Menschen mit Demenz besonders. Es entwickle sich eine Orientierungslosigkeit in Raum und Zeit, erläutert die Expertin. Für betreuende Profis sei das kein Problem, denn sie kennen den Menschen nicht anders, in der Familie führe dies zu Irritationen.
„Im Alter kriegen wir wieder viel mehr von dem kindlichen und natürlichen Egoismus mit“, das meine sie wertfrei, sagt Monika Thöne. Das angepasste Leben würde aufgegeben: „Die Kontrolle, die Regularien gehen flöten.“ Oftmals gehe auch eine sexuelle und gewalttätige Enthemmung mit der Entwicklung einher.
Je nach Stadium erkenne der Demente auch sein Kind, seine Partnerin nicht mehr. Und wenn es gar eine zweite Ehe ist? „Dann hängt der Demente in einer Zeit, die man nicht geteilt hat“, erläutert Monika Thöne.
Mit ihren Beispielen und Tipps führte die Diplom-Pädagogin hin zu dem, was die Erkrankten genauso brauchen wie die pflegenden Angehörigen: „Wertschätzung, Authentizität und Empathie.“
In Raum und Zeit von einander getrennt
Um sich in das Erleben eines an Alzheimer oder Demenz erkrankten Menschen einfühlen zu können, schlug Monika Thöne die Übung „Parkhaus Nord“ vor. Dabei musste die Aspirantin zu einem Vorstellungsgespräch und hatte noch zehn Minuten, um das besagte Parkhaus zu finden.
Höflich fragte sie Passanten nach dem Weg. Diese hatten keine Zeit, wussten es nicht, gaben unverständliche Antworte oder waren unfreundlich. Nach mehreren Versuchen blieb eine Passantin stehen und informierte: „Das Parkhaus Nord ist schon vor 40 Jahren abgebrannt.“
Thöne klärte auf: Die Aspirantin sei eine 90-jährige Demenzpatientin, die gerade wieder die Situation des Vorstellungsgesprächs erlebte und im Pflegeheim die Pfleger ansprechen würde. Deren Antworten waren für sie die der Passanten. Die Gruppe gab Rückmeldung zur Körpersprache der „90-Jährigen“: Sie wurde immer leiser und unsicherer, Verzweiflung und Mutlosigkeit hätten sich eingestellt.
Wenig komplexe Alltagssituation werden zum Problem
Als die Aspirantin das Parkhaus gesucht habe, habe die Gruppe emphatisch reagiert. Weil sie die Situation erfassen konnten. Doch auch in die Geschichte mit einzutauchen helfe nicht immer. Oftmals gibt es Alltagssituationen, die viel weniger komplex seien: Die Tochter fragt die demente Mutter „Mama, was hast du für eine Hose an?“ Ohne Wertung.
Die Mutter geht und will die Hose wechseln. Zieht sie aus und vergisst, was sie vorhatte. Dann steht sie plötzlich mit nackten Beinen vor der Tochter. „Mama, was soll das, dann wirst du krank und stirbst!“ - Und die Mutter denkt nur „Ja, ich wünschte ich wäre tot.“ Beide Frauen verstehen einander nicht mehr.
Aus der Gruppe kam die Frage, wie man reagieren soll, wenn dieser Gedanke ,Ich will sterben’ ausgesprochen wird. Dann könne die Tochter sagen: „Ach Mama, bleibe doch noch ein wenig bei mir.“ Ganz wichtig sei, dass Demente noch mehr als gesunde Menschen eine positive Formulierung brauchen: das Nicht wird nicht gehört.