Langenberg. Eine Langenbergerin pflegt ihren an Alzheimer erkrankten Mann rund um die Uhr. Sie berichtet was das für sie im Alltag bedeutet und was ihr hilft
Zufällig trifft Christa M. auf dem Langenberger Wochenmarkt Beate und Gustav H. (Namen sind der Redaktion bekannt). Gustav unterhält sich mit ihr wie immer, erzählt Anekdoten, ist witzig. Für Christa ist die Demenz nicht erkennbar. Beate verzweifelt ein weiteres Mal, denn kaum einer kann sich ihre Not zuhause vorstellen. Dort ist Gustav er selbst. Ein verändertes „er selbst“.
In Deutschland leben fast zwei Millionen Menschen mit Demenz, rund 8000 im Kreis Mettmann. Wie gestaltet sich ein Alltag mit Menschen, die zunehmend vergessen? Menschen, die ihre Angehörigen nicht erkennen, Tagesabläufe nicht beherrschen und phasenweise in einer anderen Zeit leben.
Demenzkrank braucht Betreuung 24 Stunden am Tag
Beate betreut ihren Ehemann Gustav 24 Stunden am Tag. Sie erzählt von täglichen Problemen, von Frust, Trauer, Ängsten und Sorgen. Auch darüber, was es bedeutet, wenn die Krankenkasse pro Tag eine Windel bewilligt und die Pflegestufe, neben zig Arztbesuchen, neu beantragt werden müsste.
Bei Gustav wurde vor vier Jahren Alzheimer-Demenz diagnostiziert. Nicht überraschend für ihn und seine Frau, denn die Krankheit kann die Folge einer anderen Krankheit sein, die der heute 70-Jährige schon seit seiner Kindheit hat: Epilepsie. Neben den bekannteren Krampfanfällen hat Gustav Absencen. Dabei ist er nicht ansprechbar, bleibt ruhig und unauffällig. „Mit starren Augen und starr sitzend, geistig völlig abwesend“, beschreibt Beate. Nach zwei solcher Anfälle kam die Demenz.
Zu den geistigen kommen körperliche Veränderungen
Gustav kapselte sich ab, wollte nicht mehr vor die Tür. Er habe wenig Motivation, Dinge zu erledigen, weiß oft nicht, wo er gerade ist. Anfangs waren es nur Wortfindungsstörungen. Er vergaß immer mehr, verlegte Dinge. „Wir waren zum Essen aus, er kannte die Speisen auf der Karte nicht. Er aß Erbsen und meinte, die Bohnen seien lecker.“ Gustav verlor stark an Gewicht, die Motorik veränderte sich, oft tippelt er. Ein typisches Symptom bei der Demenz. Neben der geistigen Veränderung belasten ihn die körperlichen zusätzlich.
Auch die Ehefrau ist schwer belastet
Auch Beate ist schwer belastet, suchte schon vor Jahren psychologische Hilfe und bekam sie. Jetzt ist sie wieder in Behandlung. Sie vermisst den Mann, den sie kennen- und lieben gelernt hat. „Den Menschen, den ich geheiratet habe, finde ich nur manchmal wieder“, vielleicht noch zu einem Prozent. Einerseits ist sie glücklich über ihre Freunde, die sie und ihren Mann so akzeptieren und unterstützen, die sich kümmern. Andererseits ist sie trotz alledem alleine. „Die ganze Verantwortung liegt auf meinen Schultern.“ Sie bekommt keinen Liebesbeweis mehr, hat niemanden, der sie in die Arme nimmt: Nur so und vor allem, wenn es besonders schwer wird. Auch das Körperliche ihrer Beziehung fehlt schon lange.
Eine Windel für den ganzen Tag
Gleich daneben stehen alltägliche Probleme. Dinge, über die man nicht gerne spricht. Eine Folge der Demenz ist Inkontinenz. „Es hört sich schlimm an, aber zum Glück hat er jetzt einen Katheter“, berichtet Beate. „Die Windeln reichten nicht. Ich habe oft zwei, drei Mal in der Woche das Bett komplett abziehen müssen, weil er nass in seiner Windel lag.“ Für den erwachsenen Mann bewilligte die Krankenkasse pro Tag und Nacht eine Windel. Mit dem Katheter bekommt er jetzt immerhin 30 Urinbeinbeutel pro Monat und für die Nächte stehen ihm insgesamt neun Stück zu.
Tagespflege an zwei Tagen entlastet etwas
Beate weiß nicht, wie lange sie es noch schafft, ihren Mann alleine zu pflegen. „Ich könnte ihn nicht ins Heim geben.“ Sie weiß, dass das irgendwann kommen wird. „Hier und da lachen wir ja noch miteinander.“ Nach langem und schwerem Überlegen gesteht sie sich und ihrem Mann jetzt zwei Tage in der Tagespflege zu. Sie hat Angst vor hohen Kosten, traut sich deshalb nicht an die Erhöhung der Pflegestufe.
Im Seminar Solidarität erfahren
Beate hat in einem mehrtägigen Seminar der Klippe2 zum Thema Demenz Solidarität erfahren, kann sich jetzt dazu austauschen. Sie ist nicht die einzige, hat sie erfahren. „Ich bin jetzt freundlicher und zugänglicher, meinem Mann und seiner Krankheit gegenüber. Das entspannt mich selbst ungemein. Ich bin gelassener und ruhiger geworden. Sonst saß ich schon morgens auf einem Pulverfass.“
Unterstützung in der „Klippe“
Seit mehr als 15 Jahren bietet das Begegnungszentrum Klippe2 unter der Trägerschaft der Evangelischen Kirchengemeinde Langenberg umfangreiche Unterstützung für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen an. An zwei Samstagen und vier Abenden bot jetzt dort das Katholische Bildungswerk Kreis Mettmann ein Seminar für Angehörige und Interessierte zu Themen rund um die Demenz an.
Teilnehmer waren direkt Betroffene durch Partner oder einem Elternteil, aber auch Menschen, die in der Demenzbetreuung tätig sind. Ein Vortrag über Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen ergänzte das Angebot. Mit der Themenreihe werden unterschiedliche Aspekte der verbreiteten Krankheit angesprochen.
Demenz ist eine Krankheit, die die Gesellschaft immer mehr durchdringt und unbedingt Verständnis und Hilfe im persönlichen Umfeld und in der Öffentlichkeit benötigt.