Velbert. Beim Gottesdienst für das Gewaltopfer Kassandra in Velbert-Neviges sprach der Pfarrer über Wut, Verzweiflung, Ohnmacht, vor allem aber über die Angst. Das Mädchen wurde unterdessen vernommen, kann sich aber nicht erinnern.
Wenn sonst so viele Kinder in der Kirche sind, dann ist Weihnachten oder mindestens Familiengottesdienst – aber diese Andacht ist kein fröhliches Fest, und das Kind, das in ihrem Mittelpunkt steht, kann nicht kommen: Die evangelische Kirche in Velbert-Neviges betete am Mittwochabend für Kassandra. Das neunjährige Mädchen, das vor drei Wochen schwer misshandelt und in einen Gulli geworfen, aber gerettet wurde – „Gott sei Dank”, sagt Pfarrer Detlef Gruber.
Während das Mädchen erstmals vernommen wird, sich aber an nichts erinnern kann, will die Gemeinde Gott um Hilfe bitten in der Pfarrkirche in Rufweite des Hauses, in dem Kassandra wohnt. „Meine Ängstlichkeit bringe ich vor dich”, singen sie, „wandle sie in Stärke, Herr, erbarme dich.” 30 Kinder sitzen in den Bänken, die meisten eng an ihre Mütter gedrückt. „Wir wollen uns nicht lähmen lassen von unserer Angst vor dem Bösen”, betet Gruber.
Über Wut, Verzweiflung, Ohnmacht redet er, vor allem aber über die Angst. Vor der Gewalt, die da passiert ist, „nicht irgendwo in der Welt, sondern vor unserer Haustür”. Es helfe aber nicht, die Augen zu verschließen, und so sucht der Pfarrer nicht nur Rat bei Gott: Man müsse die Kinder schützen, aber nicht so, „dass man sie erdrückt”. Das Gefühl permanenter Gefahr müsse man ihnen nehmen, ihnen zugleich aber „nüchtern” sagen, dass „nicht alles rosarot ist in dieser Welt”. Gruber wirbt für das Gespräch zwischen Eltern und Kindern, für das Bescheid-Sagen: Wer ist wo und kommt wann zurück? Auch die Kleinen selbst – die meisten Grundschüler wie Kassandra – sollten aufeinander achthaben und nachfragen: „Geht es dem anderen gut?"
Für Zivilcourage wirbt der Pfarrer, für das Geborgenheit in der Familie, „ein starkes Kind ist auch ein geschütztes Kind”. Und dann betet die Gemeinde: für das Opfer, dass es „wieder ein glückliches Leben führen” könne. Aber auch für den 14-jährigen Tatverdächtigen, dessen Namen hier jeder kennt, „wenn er es denn wirklich getan hat”: dass er den Mut finden möge, alles einzugestehen.
Kassandras Familie wird eine Aufnahme dieses Gottesdienstes bekommen und etwas Geld: Am Ausgang sammeln die Besucher, „vielleicht”, sagt Pfarrer Gruber, „für eine Erholungsmaßnahme”.