Oberhausen. . Bruder und Schwester des Oberhauseners Karl-Heinz Bendorf starben bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg. Bendorf schreibt über seine Erlebnisse unter dem Titel „Hautnah“.
Die schlimmsten Bombennächte hatte ich seit November 1942 erlebt. Einen Bombenangriff auf die St.-Michael-Kirche in Oberhausen zu Ostern 1943 sogar hautnah. Meine Mutter und ich saßen im Keller des Gotteshauses, als wenige Meter von uns entfernt eine Bombe einschlug. Zum Glück hinter einer starken Mauer, die uns letztlich am Leben erhielt.
Glück hatten außerdem etwa zwanzig Leute, die auf ihren Klapp-Stühlen vor der Mauer saßen. Kurz vor dem Einschlag der Bombe kamen sie zu uns herüber, als hätten sie es geahnt, dass wenig später die Bombe fiel. Die dicke Stützmauer, über der immerhin ein Teil der Kirche stand, brach in sich zusammen und hätte sie alle begraben. Meine Mutter war in gnädige Ohnmacht gefallen, eine Nonne kümmerte sich liebevoll um sie, beißender Staub trieb in unsere Augen und nahm uns vorübergehend die Luft.
Pfarrer als Vorbild
Unser Pfarrer, Wilhelm Wedding, wurde schwer verletzt. Ein Mann, der sich zuvor in Duisburg-Rahm mit der Gestapo angelegt hatte und von Kardinal Joseph Frings nach Oberhausen versetzt wurde, um aus der unmittelbaren Schusslinie der Gestapo zu geraten. Er war ein hochdekorierter Offizier des Ersten Weltkriegs und Gegner der menschenverachtenden Nazis. Ich habe ihn verehrt in einer Zeit, wo es für Kinder wenig Vorbilder für Menschlichkeit gab. Seine Güte, sein Verständnis und sein aufmunterndes Wesen gaben mir Halt und Hoffnung, dass alles Schreckliche irgendwann auch zu Ende gehen würde.
Nach der Zerstörung der Kirche bauten unsere Väter den Keller des mächtigen viereckigen Kirchturms zu einem Bunker aus. Meterdicke Mauern ringsherum und oben drauf eine starke Betondecke sollten Sicherheit geben. Der Bunker hat sich gehalten, obwohl in Bombennächten der Turm schwankte, wie ein Schiff in schwerer See.
Bombennächte
Die WAZ-Redaktion ist an den Erinnerungen der Zeitzeugen aus dem Ruhrgebiet, speziell aus Oberhausen, interessiert: Haben Sie Fotos, Briefe, Dokumente oder andere Erinnerungsstücke aus der Zeit der Bombennächte? Können Sie über diese Zeit und Ihre Erfahrungen berichten?
Dann melden Sie sich bitte bei der Lokalredaktion: 0208 - 859 06 40. Oder schreiben Sie eine E-Mail an redaktion.oberhausen@waz.de, Betreff „Bombennächte“, oder schreiben Sie uns einen Brief an die WAZ-Redaktion Oberhausen, Goebenstraße 57, 46045 Oberhausen. Wir melden uns bei Ihnen und werden, wenn möglich, Ihre Erinnerungen veröffentlichen.
In guter Erinnerung blieb mir die Hilfsbereitschaft der Nachbarn. Obwohl wir nach Rückkehr meines Bruders Johannes vier Personen waren, nahm uns die Familie Winter in ihre Drei-Zimmer-Wohnung auf, als wir ein zweites Mal ausgebombt wurden und bis auf den Inhalt der mitgenommenen Taschen alle Habe wieder verloren.
Kinder starben "Heldentod"
Dabei bestand die uns aufnehmende Familie selbst aus vier erwachsenen Personen. Wie wir acht Menschen in den wenigen Räumen leben und schlafen konnten, weiß ich heute nicht mehr. Die Väter hatten versetzte Wechselschicht, ihr Bett wurde nicht kalt. Vielleicht lag die Hilfsbereitschaft der Menschen daran, dass alle in der Not bereit waren, zusammenzurücken.
Ein einziger Luftangriff englischer Bomber genügte, um unsere Familie unglücklich zu machen. Dreimal kamen sie an jenem Abend des 16. September 1942 und schlugen beim dritten Mal voll zu. Eine Luftmine fiel hinter dem Haus auf der Lipperheidstraße. Brandbomben kamen hinzu. Alle Habseligkeiten waren dahin. „Total ausgebombt“, nannte man das damals und für zwei kleine Kinder von achtzehn Monaten und sechs Jahren gab es den „Heldentod“, wie es die offizielle Lesart damals war. Das Leben meines kleinen Bruders Manfred hielt nur ein Jahr, sechs Monate und siebzehn Tage.
Ich verging fast vor Schmerz und Heimweh
Die Mutter lag vier volle Stunden unter den Trümmern, die Füßchen des kleinen Jungen im Arm. Meine Schwester Walburga lag einige Meter entfernt, ebenfalls verschüttet und hatte entsetzlich lange und flehentlich nach der Mutter gerufen, bis ein gnädiger Tod sie erlöste. Der kleine Manfred starb erst Stunden später im St.-Josef-Hospital.
Ich selbst war zur gleichen Stunde sechshundert Kilometer Luftlinie entfernt in Überlingen am Bodensee nach einem Alptraum erwacht. Schweißnass saß ich in meinem Stockbett und ahnte Schreckliches. Denn trotz Ablenkung durch eine fast vormilitärische Ausbildung von uns erst zehnjährigen Schulkindern blieb die Angst um die Lieben daheim. Drei Tage später, an meinem elften Geburtstag, bekam ich einen Brief des Kaplans Jakob Schmitz von der St.-Marienkirche, bei der ich mit meinem Bruder Johannes Messdiener war. Der Geistliche teilte mir schonend mit, dass es einen Bombenangriff gegeben habe und die Mutter verletzt im Krankenhaus liege. Den Vater habe er zu sich genommen und er sei bei ihm gut aufgehoben. Walburga und Manfred aber habe der liebe Gott zu sich in den Himmel geholt. Dort würden sie für uns alle beten, auch für mich. Ich verging fast vor Schmerz und Heimweh. Noch nie hatte ich einen solchen seelischen Schmerz. Er traf mich völlig unvorbereitet.