Oberhausen. Eine Flakstation an der Stadtgrenze zog die Luftangriffe des Bombenkriegs auf den Hof von der Bey an der Stadtgrenze zu Mülheim. Die Familie überlebte im Kellergewölbe, das Bauernhaus war zerstört. Friedhelm von der Bey war damals erst fünf Jahre alt.

Beim Verabschieden kommt der 76-jährige Landwirt noch mit vor die Tür, zeigt auf die gepflasterte Hofeinfahrt und sagt unvermittelt: „Hier war’s, hier ist die Bombe eingeschlagen.“ Wir blicken auf ein Idyll an der Stadtgrenze zwischen den beiden Dümpten: Mülheim und Oberhausen. Eine eingezäunte sattgrüne Wiese ist das Reich von zwei zotteligen Eseln und einer stattlichen Gänseschar. Und Friedhelm von der Bey sagt: „Fünf Meter weiter – und wir wären alle ausgelöscht worden.“ Er war damals erst fünf Jahre alt.

Der Bombenkrieg im Revier traf auch die Bauernhöfe. Die Schweine- und Rinderzucht in der Dieckerhoffstraße hat Familientradition seit 1884, als der erste von der Bey den Hof übernahm, der heute in fünfter Generation bewirtschaftet wird. „Um den Hof waren 20 Hektar Eigentum“, sagt Friedhelm von der Bey. Manches hat der 1938 Geborene aus den Erinnerungen seiner Eltern bewahrt – eine Kiste mit Fotos und Dokumenten gibt es auch. Anderes hat sich bereits dem kleinen Jungen eingeprägt, der bei Kriegsende erst eingeschult wurde.

136 Bombentrichter auf 80 Morgen

Die ersten Mietshäuser Mülheims ragen heute bereits hinter dem von der Brey’schen Feld auf. Sein Vater hatte in den Kriegstagen und -nächten mitgezählt: „136 Bombentrichter auf unseren 80 Morgen“, so sein heute 76-jähriger Sohn. Beim Pflügen fand man Brandbomben. „Da liegt bestimmt auch heute noch einiges im Boden.“

Grund für die Fliegerangriffe auf freies Feld war die Flugabwehr, die auf dem Hof stationiert war. Suchscheinwerfer und Geschütze waren das eigentliche Ziel. Friedhelm von der Bey erinnert sich noch an den Leiter der Flak-Einheit: „Hermann Giese aus Berlin – er hat mir sein Fernglas geschenkt.“

Schaulustige auf den Hof gelockt

Die ersten drei Bombentrichter hinter der Scheune hatten noch Schaulustige auf den Hof gelockt: „Ich sehe noch, wie die Leute angelaufen kamen.“ Bald sollte der Bombenkrieg beängstigender Alltag werden. Auf der südlichen Seite der Danziger Straße ragte damals die Schlackenhalde der Zeche Roland auf. „Die Nachbarn haben sich da wie die Karnickel ‘rein gegraben“, sagt Friedhelm von der Bey. Hierhin flüchteten sich auch die Eltern mit den beiden Kindern und den vier Knechten und Mägden des Hofes.

Eines Nachts reichte die Zeit nicht mehr, um über die Straße zu fliehen. Das Bauernhaus hatte einen Gewölbekeller, der mit Stützen verstärkt worden war. „Wir haben gezittert.“ Dem damals Fünfjährigen und seiner erst zweijährigen Schwester Renate „rieselte der Kalk auf die Kinderbettchen“. Die Angst war groß – und die Kellertreppe nach oben blockiert. Nur durch eine Holzklappe konnte die Familie wieder ins Freie. Das Wohnhaus war zerstört.

Unter den Stalltrümmern lagen Tiere

Bis er zu einem Onkel nach Warburg, an der Grenze von Westfalen zu Hessen, evakuiert wurde, sah das Kind Friedhelm erschreckende Bilder: Unter den Stalltrümmern lagen die Tiere. Ein Flieger hatte sich in einer anderen Nacht spitz in den Acker gebohrt. Das Kind sah, wie die Leichenteile eingesammelt wurden. – Der Bauernhof sollte provisorisch in Baracken umziehen; doch auch die wurden prompt niedergebrannt. „Wir sind gar nicht erst eingezogen.“

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    Erst 1947 konnte die Familie ihr Wohnhaus wieder aufbauen. „Ein Handlanger und ein Maurer haben es hochgezogen.“ Friedhelm von der Bey kämpft mit den Tränen, als er stockend erzählt, dass nach nur einer Nacht im neuen Haus sein Großvater Friedrich von einem Bullen getötet wurde. Der neue Hof war im Frieden zum Trauerhaus geworden.

    Der Dieckerhof ist für die sechste Generation gerüstet

    Längst nicht alle Landwirt blieben davon verschont, als Soldaten in den Krieg gezwungen zu werden. „Ein Nachbar“, weiß Friedhelm von der Bey, „kam erst 1952 aus der Gefangenschaft zurück“.

    Das Kind Friedhelm durfte sein erstes Schuljahr „überspringen“. Auf dem Hof hatte ihn eine pensionierte Lehrerin privat unterrichtet. „Das Thema Krieg wurde in der Schule natürlich völlig ausgehakt.“ Die Lehrer hatten ja auch – noch – nicht gewechselt, waren noch die alte Garde. Man war sogar empört, dass Wilhelm von der Bey seinen Sohn Friedhelm auf der Realschule anzumelden versuchte. „In Oberhausen wollten sie mich nicht“, sagt der 76-Jährige sarkastisch: „Ein Bauer auf der höheren Schule?“ Er fuhr dann halt in der Straßenbahn zur Realschule in der Mülheimer Innenstadt.

    Vor 50 Jahren übernahmen Lore und Friedhelm von der Bey als vierte Generation den Dieckerhof an der Stadtgrenze. Mit Hofladen und Partyservice ist der Schweine- und Bullenmastbetrieb auch für die sechste Generation gerüstet. Die Enkelin hat aufmerksam dem Gespräch aus der Küche zugehört. Sie findet es richtig, dass die Alten „jetzt über den Krieg reden“ – nach jahrzehntelangem Schweigen.