Oberhausen. Dieter Klüsener aus Oberhausen war zwei Jahre alt, als Hitler-Deutschland Polen überfiel. Sein Elternhaus stand in Sterkrade an der Parkstraße, nahe der kriegswichtigen Zeche Sterkrade. Nach einem Bombenangriff der alliierten Streitkräfte 1944 bot sich der Familie „ein Bild des Grauens“, wie Klüsener in seinen Erinnerungen schreibt.
Das Ruhrgebiet war die Rüstungsschmiede des Dritten Reiches. Was es für die Bevölkerung bedeutete, in einem kriegswichtigen Gebiet zu wohnen, das die Alliierten mit ihrem „Kampf um die Ruhr“ besonders ab 1943 lahmzulegen versuchten, weiß Dieter Klüsener zu berichten.
Der heute 77-Jährige, Jahrgang 1937, wohnte mit seiner Familie an der Parkstraße 17 in Sterkrade. „Hinter uns die Nord-Süd-Achse der Reichsbahn, die Nachschubstrecke für die Fronten war“, schreibt Dieter Klüsener in seinen Kindheitserinnerungen. „Um uns herum die Ruhrchemie, die Gutehoffnungshütte, der Bahnhof Sterkrade, und nicht zu vergessen die Zeche Sterkrade mit ihrem 18-gleisigen Rangierbahnhof.“ Natürlich landeten die Bomben, die die Piloten der alliierten Streitkräfte über den Stätten der Rüstungsindustrie abwarfen, nicht nur dort.
Das als Kind Erlebte hat Dieter Klüsener nie losgelassen, auch wenn er sagt, er habe nach dem Krieg, als junger Mann, „diese Dinge in der Gemeinschaft des Pfadfinder-Stammes Wikinger Sterkrade Mitte abschütteln können“. Bei den Wanderungen und Fahrten schoben sich andere Bilder vor das äußere und auch das innere Auge. Außerdem gab es in der Nachkriegszeit so viel zu tun, Klüsener machte ein Maurer-Lehre, bildete sich fort, arbeitete als Bau- und Projektleiter, baute ein Haus für sich und seine Familie.
Erinnerungen von der „Heimatfront“
Aber Jahrzehnte später, als Rentner, setzte sich Dieter Klüsener an den Computer und fing an zu schreiben. „Heimatfront – Kindheitserinnerungen“ hat der Oberhausener seine Texte überschrieben, die auch ein Mittel sind, um mit dem Thema abzuschließen.
Klüsener vergisst dabei nicht denjenigen zu erwähnen, der den Zweiten Weltkrieg entfesselte und die Angriffe der Kriegsgegner aus der Luft auf die deutsche Bevölkerung möglich machte. „In jener Zeit, als ein gewisser Adolf Hitler die Weltherrschaft an sich reißen wollte, da geschah es, dass über uns Bombengeschwader den Himmel verdunkelten.“
Vater war für den Rüstungseinsatz freigestellt
Dieter Klüsener, der als Sechsjähriger, 1943, mit seinem Bruder in Tailfingen evakuiert war, schreibt über seinen Vater:
Der Werkzeugschlosser bei der Gutehoffnungshütte, bei Kriegsausbruch 35 Jahre alt, wurde für den Rüstungseinsatz freigestellt und nicht einberufen. „Dafür durfte er dann nach Feierabend, wenn feindliche Verbände im Anflug waren, bei der Luftabwehr tätig werden. Sein Einsatz war an einer 0,8-Millimeter-Flak an der Weißensteinstraße in der Nähe der Ruhrchemie. Und so ganz nebenbei musste er seine Familie noch ernähren. Hamstertouren an den Niederrhein und nach Westfalen auf einem zusammengeflickten Fahrrad machen.“ Die Bereifung der zwei Räder bestand aus Gartenschläuchen.
Im Luftschutzbunker an der Brandenburger/Ecke Wilhelmstraße suchte Dieter Klüsener mit seiner Mutter und seinem Bruder Willi Schutz. Er erinnert sich an die Explosion einer Luftmiene an der Außenwand des Bunkers: „Am Heulen der abgeworfenen Bomben konnte man ungefähr hören, wann der Einschlag erfolgte. Mutter hatte zu diesem Zeitpunkt ihren Körper instinktiv über uns Jungs gebeugt. Der Bunker bebte und wackelte. Dichter Staub machte das Atmen schier unmöglich. Dunkelheit, Schreie, Panik, Entsetzen. [...] Als dann die ersten Schrecksekunden vorüber waren, konnten wir beruhigt feststellen, dass die einen Meter dicke, armierte Betonaußenwand uns alle vor dem sicheren Tod bewahrt hatte.“
Klüseners Elternhaus wurde bei den Bombenangriffen nicht verschont. Nach einem Angriff am 4. Dezember 1944 findet die Familie nach der Entwarnung und dem Verlassen des Luftschutzbunkers „ein Bild des Grauens“ vor. Dieter Klüsener schreibt: „Als wir die Parkstraße erreichten, glich diese einer Mondlandschaft. Alle Ver- und Entsorgungsleitungen waren unterbrochen und ragten aus der Erde oder lagen wirr durcheinander. Ein Bombentrichter neben dem anderen. Jedes zweite Haus war eine Ruine. Mein Elternhaus hatte zwei Treffer abgekriegt. Die Hälfte der Straßen- und Giebelseite, vom Keller bis hinauf zum Dach, war aufgerissen, davongeflogen, oder aber lag mit der gesamten Wohnungseinrichtung im Bombentrichter.“
Um sie herum war Krieg, also spielten auch die Kinder Krieg und mit den Blindgängern. Auch daran muss Dieter Klüsener denken. Wegen einer nicht explodierten Brandbombe, die die Kinder gefunden hatten, starb Artur, 16, 17, 18 Jahre alt. Eines von vielen Opfern.