Oberhausen. . WAZ-Leserbeiratsmitglied Norbert Dengel hält per Skype und E-Mail Kontakt zu vielen Menschen in Oberhausens Partnerstadt Saporishja. Die ukrainische Protestwelle macht vielen dort Angst: um den Status oder schlicht und ergreifend um die Zukunft.

Seit Wochen schon ist die Ukraine ein Land im Ausnahmezustand. Regierungsgegner fordern den Rücktritt des Präsidenten Viktor Janukowitsch und Neuwahlen. Es gibt gewaltsame Proteste und bereits mehrere Tote. Als Mitglied des Hilfsvereins „Grüne Luftbrücke“ und ehemaliger Geschäftsführer des „Förderkreis Saporishja“ gehen die Geschehnisse WAZ-Leserbeiratsmitglied Norbert Dengel unter die Haut. Im Kontakt mit Freunden in Oberhausens ukrainischer Partnerstadt Saporishja erfährt er so einiges darüber, wie es den Menschen zurzeit dort geht.

„Eintrittsgeld“ im Krankenhaus

Da ist zum Beispiel dieser Unternehmer, den Norbert Dengel kennt. Der verdient viel Geld, hat ein Einfamilienhaus und sogar ein schickes Wochenendhaus, eine Datsche. „Ein Macher“, sagt Dengel. „Für den ist das alles kein Thema. Ihm geht’s gut, so wie es ist. Der hält am bisherigen System fest.“ Ganz anders die Lehrerin, die alleinerziehend ist. „Sie macht sich ganz große Sorgen: Wie geht’s uns morgen? Kriege ich überhaupt noch mein Gehalt?“ Es wäre nicht das erste Mal, sagt Dengel, dass staatliche Angestellte monatelang kein Geld bekommen hätten. Und wie sollte die Lehrerin dann Arztbesuche oder gar Krankenhausaufenthalte bezahlen?

„Wir klagen in Deutschland über eine Zwei-Klassen-Medizin“, sagt Norbert Dengel, der bereits fünf Mal mit seiner Frau in Saporishja war. „In der Ukraine ist es noch viel schlimmer. Es gibt Privatkliniken, die sind super ausgestattet, die können sich nur ein paar Leute leisten. In jedem normalen Krankenhaus muss man erst eine Art Eintrittsgeld zahlen.“ Für die Lehrerin, die etwa hundert Euro im Monat verdiene, seien diese anfallenden „Gebühren“ von 2,50 Euro, die auch in jeder Arztpraxis verlangt würden, eine große Hürde. „Für uns“, sagt Dengel, „ist das Spielgeld.“

Schmiergeld verzehnfacht das Gehalt

Doch er kennt auch einen Arzt, der nicht nur auf Profit aus ist. „Ihm geht’s gut mit seinem 400-Euro-Einkommen, aber er ist Mensch geblieben. Er hat großes Einfühlungsvermögen und versucht, seine Möglichkeiten voll auszuschöpfen im Interesse seiner Patienten.“ Dengel weiß aber auch von Chefärzten in Saporishja, die sich Schmiergelder einstecken in zehnfacher Höhe ihres Gehaltes.

Auch wenn der Konflikt sich von der Hauptstadt Kiew aus ins ganze Land ausgebreitet und es auch in Saporishja Demonstrationen gegeben hat: Norbert Dengel weiß aus E-Mails und Skype-Telefonaten, dass nicht alle Bewohner der Partnerstadt etwas davon mitbekommen. „Die am Stadtrand sind damit beschäftigt, zur Arbeit zu kommen, eine Stunde im Bus hin und eine zurück.“ Der 64-jährige Ruheständler wünscht sich für seine Freunde, dass bald Ruhe einkehrt, „dass sie zu einer normalen Welt zurückkehren können, in der sie ihre Grundbedürfnisse frei gestalten können“.

Lichterkette auf dem Sapo-Platz

Wie es weitergehen wird in der Ukraine? Noch während des Gesprächs mit Norbert Dengel kommt eine Eilmeldung: Ukrainisches Parlament nimmt Demonstrationsverbote zurück. „Das musste passieren“, sagt er. „Sonst kann es ja keine Einigung geben.“ Als nächstes, so glaubt er, werden alle verhafteten Oppositionellen freigelassen und es geht wieder zurück zur alten Verfassung, die dem Präsidenten nicht die gesamte Machtfülle gibt. „Dann gibt es Neuwahlen und er wird abgewählt. So kann er sein Gesicht wahren.“

Bis dahin möchte Norbert Dengel nicht nur tatenlos zusehen. Er wünscht sich ein Zeichen aus Oberhausen: eine Lichterkette auf dem Saporishja-Platz. „Das wäre eine Solidaritätsbekundung mit den Menschen in der Ukraine. Keine Bierwagen, keine Reden, nicht politisch, sondern menschlich motiviert.“ Mit einem Brief will er den Oberbürgermeister von seiner Idee in Kenntnis setzen, dann Vereine, Verbände, Parteien und Institutionen überzeugen. Dengel: „Eine solche Aktion wäre gelebte Städtepartnerschaft.“