Oberhausen. . An das Leid der verfolgten Juden in der Stadt erinnert man sich in Oberhausen auf vielerlei Weise. Das Buch „Zerstörte Zukunft“ schildert 25 Biografien von Nazi-Opfern. An der Friedenstraße in Alt-Oberhausen wurden vier neue Stolpersteine eingesetzt.

Was für ein perverses Spiel mit Menschenleben: 1935 brachten die Nazis ein Fang-den-Hut-Brettspiel heraus, das den Namen „Juden raus!“ trug. Es steht nicht nur sinnbildlich für die millionenfache Vernichtung von jüdischen Deutschen und Menschen anderer Nationalitäten. Es ist der bewusste Versuch, die alltägliche Ausgrenzung und spätere Deportation möglichst abstrakt und „normal“ erscheinen zu lassen.

Dieser schleichende Prozess eskalierte vor 75 Jahren: in der Pogromnacht am 9. November 1938.

Zerstörte Zukunft

In der Gedenkhalle Oberhausen ist dieses Brettspiel zu sehen, und nun auch als Abbildung auf dem ersten Studien-Band „Zerstörte Zukunft“, herausgegeben von der Gedenkhalle. Autorin Katrin Dönges hat darin 25 Einzelschicksale von Oberhausener Juden erzählt, die während der Pogromnacht inhaftiert und kurze Zeit später ins Konzentrationslager Dachau gebracht wurden. „Mir geht es darum, die erschreckende Zahl der verfolgten und ermordeten Juden durch Biografien greifbar zu machen“, sagt Dönges.

Für seinen Vater ging er ins KZ

In „Zerstörte Zukunft“ schildert Dönges ebenfalls das Leben des jüdischen Oberhauseners Kurt-Joachim Löwenstein, dessen Vater Leopold nach der Machtübernahme der Nazis seine Rechtsanwaltskanzlei und seinen Beruf aufgeben musste. Kurt-Joachim musste das Gymnasium verlassen.

Als sein Vater in der Pogromnacht verhaftet wurde, bot er der Polizei an, an dessen Stelle in Haft zu gehen. Am 17. November 1938 wurde er ins KZ Dachau deportiert. Nach dem Tod seines Vaters gelang ihm die Flucht in die Niederlande und die Ausreise nach England. Dort wurde er zunächst als deutscher Kollaborateur verdächtigt. 1950 zog er mit seiner Frau nach Israel, wo er 1995 im Alter von 75 Jahren starb.

Stolpersteine wieder eingesetzt

An eine ähnliche Geschichte erinnerten auch Stolpersteine, die an der Friedenstraße eingelassen und die vor einigen Monaten von Unbekannten gestohlen worden waren (wir berichteten). Im Anschluss an die Gedenkfeier vor der ehemaligen Synagoge wurden jetzt diese Stolpersteine ersetzt. Die Stadt nimmt seit einigen Jahren teil an der Aktion „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demnig: Kleine Steine mit Messingplatten, die mit kurzen Biografien an Verfolgte des NS-Regimes erinnern, werden vor dem letzten Wohnsitz der Menschen verlegt.

Bewusst spricht sie dabei allgemeiner von „zerstörter Zukunft“ und noch nicht von dem späteren systematischen Mord: „Es ging den Nationalsozialisten zunächst darum, Juden ,loszuwerden’, sie zur Ausreise aus Deutschland zu zwingen. Noch nicht darum, sie umzubringen.“ Möglichst wohlhabend sollten sie sein, um sich ihren Besitz etwa über den Freikauf aus der Zwangsarbeit, so genannte Fluchtsteuer oder über die Enteignung unter den Nagel reißen zu können.

25 jüdische Oberhausener überlebten das Zwangslager

So überlebten alle 25 jüdischen Oberhausener zwar das Zwangslager, die Hälfte von ihnen kam später auf die eine oder andere Weise durch die Hand der Nazis ums Leben. Doch zerstört war auch die Zukunft der Überlebenden: Sie verloren ihre Familie, durften ihren Beruf nicht ausüben, arbeiteten unter schwersten Bedingungen für geringen Lohn, waren folglich verarmt und täglicher Diskriminierung ausgesetzt.

„Wer nach 1939 es nicht schaffte aus Deutschland auszureisen, hatte später keine Chance mehr“, sagt Dönges. Mancher deutsche Jude, der im Krieg für sein Vaterland gekämpft hatte, habe sich nicht vorstellen können, verfolgt zu werden.

Als wichtige Ergänzung zur Dauerausstellung „Oberhausen im Nationalsozialismus“ und zum Katalog lobt Clemens Heinrichs, Leiter der Oberhausener Gedenkhalle, Katrin Dönges Arbeit: „Wir starten damit unsere Schriftenreihe ,Fokus Stadtgesellschaft’.“ Nicht nur die Oberhausener Gesellschaft soll darin beleuchtet werden, der nächste Band soll aus den Erinnerungen eines ukrainischen Zwangsarbeiters im Ruhrgebiet erzählen.