Oberhausen.

Die Kinderdörfer gibt es nicht mehr, aber das Kinderdorf Rio ist lebendig wie eh und je. Seit 45 Jahren bietet der Verein Kindern und Jugendlichen in Armenvierteln Brasiliens Alternativen zum Leben auf der Straße. Zum Beispiel dem kleinen Peterson.

Jeden Morgen, wenn Peterson auf dem Weg zum Kindergarten am Nachbarhaus vorbeikommt, zuckt er zusammen. Das Geschrei, das dort aus den Fenstern dringt, weckt ungute Erinnerungen bei dem Fünfjährigen. Auch in seiner Familie gehörte Gewalt zum Alltag. Sein Vater trank und schlug ihn. Seine Mutter, die als Tagelöhnerin arbeiten musste, war völlig überfordert. Oft gab es nichts zu essen im Haus. Petersons einzige Mahlzeit waren dann Tomaten mit Maniokmehl.

Verein unterstützt Familienzentren

Kindern wie Peterson, die in Favelas leben, den Elendsvierteln an den Rändern der Großstädte, bietet Kinderdorf Rio Schutz und Halt. Der Verein unterstützt sieben Familienzentren in Rio de Janeiro, Nova Friburgo und Petrópolis. Die Kleinen haben hier einen sicheren Ort, während ihre Eltern arbeiten gehen. Sie werden beschäftigt und gefördert, erhalten Mahlzeiten und auch eine medizinische Versorgung.

In mehreren Orten gibt es auch „Offene Türen“, Sport-, Tanz- und Musikangebote für Jugendliche, Informatikkurse und Infoveranstaltungen für Eltern, zum Beispiel über Diabetes. „Es geht darum, andere Perspektiven aufzuzeigen“, sagt Martin Krumscheid vom Kinderdorf Rio. Schon die Jüngsten seien in den Favelas massiv gefährdet: „Die Mafia sucht immer Leute zum Einspannen.“

Bis ins Jahr 2012 wurden die Kinder aus ihren unguten Verhältnissen befreit, sie lebten bei Pflegefamilien in Einrichtungen mit dorfähnlichen Strukturen, den Kinderdörfern. Doch dann änderte sich die Gesetzeslage in Brasilien. Kein Kind durfte mehr in einem Heim leben.

"Häuser nie als Heim verstanden"

„Wir haben unsere Häuser nie als Heim verstanden“, sagt Krumscheid, doch die Behörden hätten nicht unterschieden. Die Kinder seien in die Familien zurückgeführt worden, „und dann hat sich niemand mehr um sie gekümmert“. Der Hilfsbedarf war nicht verschwunden, er hatte sich nur verändert.

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Seitdem schickt der Verein Sozialarbeiter in die Familien, betreut die Kinder und ihre Eltern vor Ort in der Favela. Es gibt Kindertagesstätten für die Kleinen, finanzielle Unterstützung für die Eltern und praktische Lebenshilfe wie zum Beispiel beim Beantragen von Sozialhilfe. Wer Hilfe erhält, muss sich auch engagieren. „Wir verteilen nicht nur Almosen“, sagt Krumscheid.
Ist der Vater Alkoholiker, müsse er zur Therapie. Es müsse alles getan werden zum Wohle der Kinder. Dem kleinen Peterson konnte so geholfen werden. Nach intensiver Betreuung traute sich seine Mutter, ihren prügelnden Mann zu verlassen. Sie hat eine Arbeit gefunden, bei der sie viel besser verdient als vorher. Und ihr Sohn muss nicht mehr hungrig in den Kindergarten gehen.