Oberhausen. Vor 17 Jahren kam Nazan Yardımcı nach Oberhausen. In der Großstadt Istanbul geboren, kam die Türkin in eine Stadt, in der sie sich kaum zurechtfand. Eine fremde Sprache, keine Arbeit, keine sozialen Kontakte. Die Geschichte einer Frau, die erfolgreich in Deutschland angekommen ist.

„Die erste Zeit war Deutschland wie ein Gefängnis für mich.“ Harte, aber ehrliche Worte sind es, mit denen Nazan Yardımcı auf ihre Einwanderung zurückblickt. Vor 17 Jahren kam die Türkin zum ersten Mal in dieses Land, frisch verheiratet und voller Optimismus. Es sollten harte Jahre werden. Eine Integrationsgeschichte, wie sie so oft geschrieben wird in dieser Stadt, meistens jedoch unbemerkt.

Ziemlich kalt war es, daran erinnert sich Nazan Yardımcı genau, und auch an die Straßen: „Sie waren so unbelebt“. Die 43-Jährige weiß noch, wie sie sich zum ersten Mal alleine aus dem Haus traute. Ihr Mann war auf der Arbeit, in seiner Trinkhalle, die er bis heute betreibt. Das Brot war aus und Yardımcı suchte die Marktstraße. „Mein Mann hatte gesagt, dass ich die Straße daran erkenne, dass es dort sehr voll sei.“ Was er ihr nicht verraten hatte: dass die Geschäfte in Deutschland um 18.30 Uhr schließen. So irrte die junge Frau auf den leer gefegten Straßen umher und kam ohne Brot wieder nach Hause.

Nachts spontan ausgehen - das fehlt

Auch später habe sie sich noch oft gefragt, wo denn all die Menschen nur stecken, vor allem die jungen. Kein Wunder, stammt die Heiratsmigrantin nicht nur aus einem Land, in dem die Alterspyramide exakt das Gegenteil der deutschen abbildet (Altersdurchschnitt: 29 Jahre), sie ist auch noch in Istanbul geboren, der 14-Millionen-Megacity am Bosporus. „Bei uns ist draußen immer etwas los. Man kann auch mitten in der Nacht noch losgehen.“ Eines der Dinge, die Nazan Yardımcı bis heute vermisst. Nur die Sommer, sagt sie, die seien wärmer geworden, „Gott sei Dank“.

In Istanbul hatte Yardımcı Arbeit, als Zeichnerin von Logos für die Textilindustrie, und einen großen Freundeskreis. Ihre Familie war da, sie kannte sich aus in der Stadt, ging viel aus. „Hier war ich die ersten anderthalb Jahre wie verblödet“, sagt sie. „Ich konnte noch nicht mal alleine mit dem Bus fahren.“

Deutschland hat einen guten Ruf in der Türkei

Diese Zeit sei vergeudet in ihrem Leben, sagt sie. Andere bräuchten aber viel länger, um anzukommen, fünf Jahre – „oder ein ganzes Leben“. Die Freunde ihrer Schwiegermutter und ihrer Tante, durch die sie ihren Mann kennen gelernt hatte, waren nun auch ihre Freunde, allesamt türkische Frauen. „Die ersten Deutschen lernte ich kennen, als die Kinder in den Kindergarten kamen.“

Yardımcı machte einen Sprachkurs, brach ihn ab, als ihr erster Sohn geboren wurde, machte noch einen, brach wieder ab. 2009 schaffte sie ihr B1-Sprachdiplom, „endlich“. Ab einem gewissen Alter sei es nicht so einfach, eine Sprache zu erlernen.

Vorurteile gegenüber den Türken

Über die Deutschen habe sie keine Vorurteile gehabt, sagt die zweifache Mutter, „aber ich habe gemerkt, dass sie Vorurteile mir gegenüber haben“. Modern, demokratisch, die Menschenrechte beachtend – über Deutschland werde in der Türkei viel Positives berichtet, auch von ehemaligen Gastarbeitern. Doch wüssten einige Deutsche nicht, sagt Yardımcı, dass viele Menschen aus einem ebenfalls tollen Ort hierhergekommen sind. Nicht, weil es ihnen zu Hause schlecht erging, sondern zum Beispiel aus Liebe. „Ich komme aus einer wunderschönen Stadt“, sagt sie. „Und ich lebte glücklich dort.“

Ihre Kinder sind keine „Ausländer“

17 Jahre und zwei Kinder haben vieles geändert. Yardımcı ist längst nicht mehr die orientierungslose Frau, die sie einst war. „Ich bin integriert“, sagt sie. Seit neun Jahren hat sie einen deutschen Pass. Sie hat den Führerschein, ist Vorlesepatin und Trainerin im Behindertensport. Bei allem Heimweh: „Die Heimat meines Mannes und meiner Söhne ist hier.“

Deshalb werde Deutschland immer ein Teil ihres Lebens bleiben, auch wenn sie sich vorstellen kann, den Ruhestand in der Heimat zu verbringen. Die Sehnsucht nach dem Bosporus steckt sie zurück, vor zwei Jahren haben sie ein Häuschen gekauft, Reisen sind nun seltener drin. Nur ein großer Wunsch bleibt: „Dass meine Kinder hier nicht wie Ausländer behandelt werden. Sie haben keine andere Heimat.“