Oberhausen.

Wenn Hugo Kraus erzählt, kann man sie sich so gut vorstellen: die Angst, Wut und Hilflosigkeit, die sein Leben und das seiner Frau über eine weite Strecke geprägt haben. Zehn lange Jahre litt ihre Tochter, das jüngste von vier Kindern, an Magersucht. Zehn Jahre des Bangens: Denn die Essstörung Magersucht ist lebensgefährlich. Zehn Prozent der Magersüchtigen sterben.

In ihrer Zeit der Furcht und Ungewissheit erhielten die Eltern Unterstützung in der Selbsthilfegruppe „Eltern essgestörter Kinder“. Kraus war lange Organsisationsleiter der Gruppe. Jetzt verabschiedet er sich, weil es seiner Tochter wieder gut geht.

Selbsthilfe für Eltern mit Schuldgefühlen

Kraus übergibt sein Amt an einen anderen betroffenen Vater, der aber anonym bleiben möchte. „Man kann mit seiner Geschichte nur an die Öffentlichkeit gehen, wenn auch die Tochter einverstanden ist“, sagt Kraus. Dass in Zusammenhang mit Essstörungen meist von Töchtern die Rede ist, kommt nicht von ungefähr. „In 15 Jahren haben wir hier nur die Eltern von drei Jungen betreut“, erläutert Alice Hiltner-Gebauer, Kinder- und Jugendlichentherapeutin und Fachtherapeutin für Ess-Störungen.

In der Gruppe geht es tatsächlich um die Eltern. Sie sollen bei vielem unterstützt werden, dabei, ihr Kind und seine Krankheit zu verstehen, Scham- und Schuldgefühle loszulassen oder Kontrolle aufzugeben und die Eigenverantwortung des Kindes zu fördern. Die Eltern sollen aber auch lernen, das eigene Leben wieder wichtig zu nehmen.

Der Drang zur Perfektion

Denn wenn Kraus erzählt, wird klar: Das Leben fokussiert sich auf das kranke Kind. Das gerät dadurch zusätzlich unter Druck. Bei seiner Tochter sei die Essstörung aus dem Anspruch heraus entstanden, immer perfekt zu sein. Wie viele magersüchtige Kinder war sie leistungsorientiert, gut in der Schule. „Essstörungen entwickeln sich oft in Phase der Ablösung vom Elternhaus“, erklärt die Therapeutin.

Wenn diese Abnabelung nicht so richtig funktioniere, wollten die Kinder wenigstens die Kontrolle über ihren Körper. Das gebe ihnen das Gefühl: „Ich brauche nichts und niemanden, ich bin unabhängig.“ Bei Kraus’ Tochter traten die Probleme zum ersten Mal im Alter von 13 Jahren. Sie übergab sich ständig. Als sie später in der Schule zusammenbrach, besorgten die Eltern dem Mädchen einen Therapieplatz. „Den haben wir nur sofort bekommen, weil ich privat versichert bin“, sagt Kraus. Ansonsten müssten Betroffene bis zu einem Jahr warten. „Dann kann es zu spät sein“, sagt der Vater.