Oberhausen. Engagement für Menschen mit Behinderung – Was sich verändert hat, was schwierig geblieben ist. Ein Gespräch.

Herzlichen Glückwunsch: Die Lebenshilfe Oberhausen feiert 50. Geburtstag. Mit Geschäftsführer Rainer Lettkamp, Werkstattrat-Vorsitzendem Leonhard Pyta-Greca und dem Ehrenvorsitzenden Egon Berchter werfen wir einen Blick auf die schwierigen Anfänge und die Herausforderungen der Zukunft.

Wie hat sich der Umgang mit geistig behinderten Menschen gewandelt?

Egon Berchter: Früher gab es nix, heute gibt es alles – wenn auch von allem zu wenig. Die Gesellschaft arbeitet zumindest nicht mehr gegen den Behinderten. Aber neben ihm in der Kirche sitzen, wollen sie auch nicht.

Rainer Lettkamp: Durch Aufklärung, Filme und Presseberichte hat sich einiges verändert. Aber es ist immer noch schwierig, behinderte Menschen in den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Das liegt an der Ellbogengesellschaft, dem Mangel an sozialem Verhalten und Hilfsbereitschaft.

Leonhard Pyta-Greca: Die Draußen-Leute haben schon etwas gegen uns. Da müssen wir gegenarbeiten, wir müssen noch präsenter werden. Wir sind zwar ein bisschen krank, aber doch genauso Menschen wie die anderen auch.

Herr Berchter, Sie gehören zu den Gründern der Lebenshilfe Oberhausen. 1956 kam Ihr Sohn Ulrich mit Trisomie 21 zur Welt. Wie war das damals?

Berchter: Durch ihn bin ich zum Mann geworden, da fing der Ernst des Lebens an. Aber wir waren nicht bedrückt, wir haben unseren Sohn angenommen, wie er war. Auch die Umgebung hat normal reagiert, bis auf ein paar Leute, die das falsch verstanden haben; sie haben uns Geld gespendet, aber das brauchten wir damals ja gar nicht.

Als Ulrich sechs Jahre alt war und nicht eingeschult werden konnte, sind Sie jedoch aktiv geworden...

Berchter: Niemand wusste uns zu helfen. Der Chefarzt einer Oberhausener Klinik sagte uns, in guten Krankenhäusern hätte die Hebamme so ein Kind nach der Geburt fallen lassen. Und ein Schulrat meinte nach einem Schuleignungstest: Ihr Sohn ist ein Vollidiot, da würde ich keinen Pfennig reinstecken.

Nur ihr Hausarzt, der gab Ihnen einen Tipp...

Berchter: Ja, er hat uns eine Therapie mit Frischzellen empfohlen. Wir sind dann zwei Mal in einem Privatsanatorium in Koblenz deswegen gewesen. Danach schloss sich Ulrichs Fontanelle, er redete, lief. Plötzlich war er nicht mehr der Vollidiot. Die Behandlung war sehr kostspielig, zum Glück hat mein damaliger Arbeitgeber, die Gutehoffnungshütte, die erste Behandlung übernommen, ungefragt. Mit 25 Jahren kam unser Sohn in die Wohnstätte und Werkstatt. Er sollte nur 15 Jahre alt werden, doch er ist 55 geworden.

Warum die Lebenshilfe jede Spende gebrauchen kann 

Die Gründung des Ortsvereins war anfangs gar nicht so einfach.

Berchter: Die Initialzündung gab ein Vortrag des Niederländers und Lebenshilfegründers Tom Mutters über die Förderung von Menschen mit Trisomie 21. Wir waren drei Väter, ein Kinderarzt und der Leiter des Gesundheitsamtes und wir gingen sofort im Anschluss in die Luise-Albertz-Halle, um die Vereinsgründung zu besprechen. Am Anfang haben wir dann die Trinkhallen abgeklappert und dort gefragt, ob im Viertel Familien mit behinderten Kindern bekannt sind. Da haben uns einige die Tür vor der Nase zugeschlagen. Mit anderen wiederum haben wir stundenlange Gespräche geführt. Noch beim Bau der ersten Wohnstätte verstanden viele nicht, was wir machen. Zur Eröffnung fragte jemand, ob wir denn die Mauer auch so hoch bauen würden, dass die da nicht drüber kommen. So dumm waren manche Menschen.

Herr Pyta-Greca, Sie arbeiten in der Gartenarbeit der Werkstätten. Haben Sie es mal woanders versucht?

Pyta-Greca: Ich hab mal ein Praktikum im Gartencenter gemacht, da musste ich mir anhören, dass ich ein Pannemann bin. Bei der Lebenshilfe bin ich glücklich. Ich wohne mit meiner Frau ganz normal in einer Wohnung. und meine Nachbarn sagen, ist doch toll, dass ihr sowas habt. Ich sag dann Ja, das stimmt.

Immer mehr Menschen wollen durch Pränataldiagnostik verhindern, ein behindertes Kind zu bekommen. Was halten Sie davon?

Berchter: Für mich ist das Selektion, man tötet Menschen. Gottseidank wussten wir nichts über die Krankheit unseres Sohnes. Er war eine Bereicherung für die ganze Familie.

Lettkamp: Auch wir als Lebenshilfe halten diese Entwicklung für problematisch.

Wie hat sich die Zielgruppe der Lebenshilfe verändert?

Lettkamp: Der Anteil von Kindern mit Entwicklungsverzögerungen wird größer. Immer mehr Kinder haben ein Handicap aufgrund ihrer Herkunft, darunter besonders viele mit Migrationshintergrund.

Inwieweit haben Sie die Kürzungen der Stadt im sozialen Bereich getroffen?

Lettkamp: Im Rahmen der Offenen Hilfen sind wir stark davon betroffen. Der stärkste Einschnitt war die Kürzung im Bereich der Integrationshelfer im Juni 2012. Wir versuchen aber, das Angebot weiter aufrecht zu halten, weil der Bedarf so groß ist.

Wie sieht es mit der Spendierfreundlichkeit in Oberhausen aus?

Berchter: Sie ist rückläufig. Viele denken, die haben doch Geld, die haben doch die Werkstätten.

Lettkamp: Das liegt daran, dass wir so professionell auftreten. Aber wir brauchen Geld, um überall genügend Personal einzustellen. Geburtstagsspenden oder Zuwendungen von den Lions und anderen kommen, aber die Unterstützung des kleinen Mannes fehlt. Dabei können wir jede Spende gebrauchen, ganz getreu unserem Jubiläums-Motto: Jeder ist Teil des Ganzen.