Oberhausen. .

Ein Musical auf der Schauspielbühne? Kann großartig funktionieren, wenn es der Stoff hergibt und die Voraussetzungen stimmen. Regisseur Roland Spohr ist der Beweis gelungen. Seine „Cabaret“-Inszenierung überzeugte das bei Musikproduktionen des Ensembles besonders kritische Premierenpublikum im Großen Haus des Theaters als Gesamtkunstwerk aus Schauspiel, Musik und toll arrangierten Revue-Einlagen. Kostüme und Bühne hoben die Wirkung.

Spohrs „Cabaret“ lässt Erinnerungen an den Film von 1972 verblassen und erzählt älteren wie jüngeren, unvoreingenommenen Zuschauern eine nachdenklich stimmende Geschichte mit Genre-übergreifenden Mitteln. Die entführt ins Berlin der 30er Jahre, aus dem die Weltwirtschaftskrise die Hochstimmung der Goldenen 20er bereits verdrängt hat und in dem sich der Nazi-Terror anbahnt.

Auf der Verliererseite des Lebens

Zwei Liebesgeschichten scheitern. Und sie kriegen sich nicht: Der junge amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw (Sergej Lubic) und Sally Bowles (Vera Bolten), die Attraktion aus der Variété-Show des verruchten Kit Kat Clubs. Die Pensionswirtin Fräulein Schneider (Susanne Burkhard) und der jüdische Obsthändler Herr Schultz (Klaus Zwick). Wie denken, fühlen und handeln Menschen, wenn sie nicht auf der Gewinnerseite des Lebens sind?

Wie beeinflussen Tabus und Traditionen sie? Was sind sie bereit zu verdrängen, wenn sie hoffen, es könnte gelingen, wenigstens ein bisschen Glück zu finden? Was hält sie davon ab, ihre sexuellen Bedürfnisse auszuleben? Das sind zeitlose Fragen, „Cabaret“ stellt sie. Nicht umsonst überzeugte die Geschichte in den 60er Jahren das Muscial-verwöhnte amerikanische Publikum mit einem Stoff, der in einer anderen Zeit in einem eher unbekannten, fernen Land spielt. Mehr als vier Jahrzehnte später kommt „Cabaret“ immer noch an. Woran liegt das? Das Kabarett des Lebens, um das es hier geht, ändert sich wenig. „Cabaret“ ist so zeitlos wie menschliches Verhalten. Zuschauer sind eher bereit, in den Spiegel zu sehen, wenn sie etwas scheinbar eher weniger angeht.

Herzen des Publikums gewonnen

Zu betonen ist, dass Musical-Profi Vera Bolten als Sally Bowles die Herzen des Publikums gewinnt, dass Susanne Burkhard und Klaus Zwick die heimlichen Stars des Abends sind. Dass Anja Schweitzer als Prostituierte als beste Nebendarstellerin überzeugt und Jürgen Sarkiss als Conférencier den Part dessen, der alles zu durchschauen scheint und der mit allen Konventionen bricht, fantastisch spielt und singt. Die musikalischen Arrangements von Otto Beatus sind großartig, die Lieder funktionieren, die Band groovt und swingt als Motor dieser sehenswerten musikalischen Produktion, die sehr geschickt mit Komik und Tragik jongliert.