Oberhausen. Intendant Peter Carp im Interview. Er soll mit seiner preisgekrönten Truppe ab 2015 zwei Millionen Euro weniger erhalten.

Die vom Rat angestrebte Kürzung des städtischen Zuschusses für das Theater Oberhausen ist nach Auffassung des Intendanten Peter Carp nicht schnell umsetzbar.

Schon ab 2015 soll aber laut Sparpaket die jährliche Geldspritze ans Theater von heute 7 Millionen auf 5 Millionen Euro sinken - vor allem durch Zusammenarbeit mit anderen Theatern. Noch 2008 spendierte die Stadt dem Theater jährlich 9 Millionen Euro. Im WAZ-Interview sagte Carp: „Eine solch enorme Einsparung ist nur möglich, wenn man mit den anderen Theatern in den Nachbarstädten fusionsartig kooperiert oder fusioniert. Das ist das Gebot der Not. Das ist aber nicht in kurzer Zeit machbar.“

Grundsätzlich unterstütze er den Sparkurs. „Kein Mensch möchte gerne sparen, aber ich kann mich dem auch nicht verweigern, weil die Stadt so vollkommen pleite ist. Es ist doch schon erstaunlich und toll, dass eine so arme Stadt wie Oberhausen so sehr hinter dem Theater steht und es weiter fördern will.“

Peter Carp bleibt trotz Sparkurs

Er sieht dabei durchaus bei den anderen Intendanten im Revier den Willen, mehr zusammenzuarbeiten. „Die Bereitschaft wächst, mehr zu kooperieren, weil viele Städte im Ruhrgebiet in ähnlichen Situationen sind. Wir wollen noch in diesem Jahr eine Theater-Konferenz machen, um die Karten auf den Tisch zu legen. Wir sollten uns nichts vormachen: In den nächsten zehn Jahren wird es nicht mehr Geld für Kultur im Ruhrgebiet geben, sondern eher immer weniger.

Trotz des Spardrucks hat Carp seinen Vertrag bis 2018 verlängert: „Solange mir noch etwas produktiv einfällt und nicht die Bedrückung und Sorge überhand nimmt, werfe ich nicht hin. Solange mich diese Sparvorgabe nicht daran hindert, gute Kunst zu machen, solange ich kreativ bleibe, etwa auch dabei, neue Geldquellen und Einnahmen zu erschließen, mache ich weiter.“

Interview mit Peter Carp - Das Ruhrgebiet und Oberhausen 

Herr Carp, Sie sind in Hamburg aufgewachsen, haben dort und in Berlin studiert, waren Schauspieldirektor im schweizerischen Luzern und arbeiten seit mehr als vier Jahren in Oberhausen. Von außen hat man oft einen besseren Blick auf eine Region. Wie bewerten Sie das Ruhrgebiet?

Peter Carp: Als ich mich entschieden habe, von der Schweiz ins Ruhrgebiet zu wechseln, wurde hier die Kulturhauptstadt vorbereitet. Die Verantwortlichen redeten von der Metropole Ruhr, von der größten Stadt Deutschlands mit mehr als fünf Millionen Menschen, die mit London verglichen wurde. Doch dann stellte ich hier fest: Das ist ja alles nur eine Vision, die Realität ist völlig anders. Jede Stadt kämpft hier für sich. Und die Leute hier benutzen im Gegensatz zu den Bürgern in Berlin das Ruhrgebiet nicht als Großstadt mit all ihren Angeboten.

Sie waren also enttäuscht?

Carp: Nein, nicht enttäuscht, ich war eher verwundert: Die Metropole Ruhr ist also noch eine zu lösende Aufgabe. Wir alle müssen uns darum bemühen, dass das Ruhrgebiet zu einer Großstadt zusammenwächst. Nur ein Beispiel: Am Anfang hatte ich gedacht, es wäre einfach, hier ein Ruhrgebiets-Abo zu kreieren, mit dem man in jedes Stadttheater der Region kann. Das gibt es zwar, wird aber nicht überwältigend angenommen. Zumindest entwickeln wir jetzt mit den anderen Theatern eine Marketing-Dachmarke: Die Theaterlandschaft hier ist ungewöhnlich dicht, gut und vielfältig. Das kann man doch gut vermarkten!

Woran fehlt es dem Ruhrgebiet?

Carp: Vor allem an Geld. Dass die Ruhrgebiets-Städte so pleite sind, wusste ich nicht. Aber man lebt dann damit und sagt sich, also muss sich doch nun etwas verändern, das kann doch nicht so bleiben. Doch ich habe festgestellt, dass der Begriff Veränderung im Ruhrgebiet oft negativ gesehen wird und Ängste auslöst. Das ist durchaus verständlich: Viele Menschen hier haben seit den Hochzeiten mit Kohle und Stahl Veränderung nur als Verschlechterung erlebt. Aber wir müssen es schaffen, dass die Menschen im Ruhrgebiet Veränderung als etwas Positives begreifen, sonst können wir die Chancen der Region als einzigartige Ballung von Menschen und Fähigkeiten mitten in Europa nicht ausschöpfen.

Wie sehen Sie denn da die Stimmungslage der Oberhausener?

Carp: Ich erlebe die Bürger vor allem im Theater – und da ist die Stimmungslage nicht schlecht. Die Oberhausener haben eine große Standfestigkeit, schwierige Situationen auszuhalten. Sie weisen auch einen erstaunlichen Humor auf. Aber wenn die Zukunftsperspektive über Jahre immer nur heißt, wir müssen sparen, sparen und noch mehr sparen, dann kann sich kein Herz für so eine Zukunft erwärmen.

Ihr Lieblingsregisseur Herbert Fritsch hat Oberhausen mal als „wirklich depressive Stadt“ bezeichnet. Hat er da Recht?

Carp: Nein, das finde ich nicht. Depressionen kann man überall, in jeder Stadt, kriegen. Das Schöne an unserem künstlerischen Beruf ist ja, dass man mit Fantasie die Wirklichkeit drehen kann, die einem auf den ersten Blick depressiv erscheinen mag.

Sie selbst haben Oberhausen gekennzeichnet als Stadt, die „zu weiten Teilen aus Autobahnauffahrten, Einkaufszentren, Sexshops und Spielsalons besteht“. So richtig liebevoll klingt das nicht.

Carp: Zum Teil stimmt das doch: Daraus besteht Oberhausen zu weiten Teilen. Viele Menschen kennen doch Oberhausen aus den Verkehrsnachrichten, weil wir hier so viele Autobahnkreuze haben. Oberhausen ist nun einmal nicht eine alte gewachsene Stadt mit mittelalterlichem Marktplatz, mit einem Münster und einem gotischen Rathaus. Da müssen wir uns doch nichts vormachen. Die Stadt hat eine andere Geschichte, die gleichwohl äußerst spannend ist.

Viele Oberhausener selbst sind große Kritiker ihrer eigenen Stadt, die ihre Heimat nicht sehr selbstbewusst vertreten. Haben Sie so etwas auch erlebt?

Carp: Nein, in meinem Team nicht. Aber ich bin ja aus Berlin gewohnt, dass die Berliner andauernd auf ihre Stadt schimpfen und sie trotzdem unglaublich lieben. Wer die Stadt nur bejubelt, der ist gerade erst zugezogen, der ist kein Berliner. So ähnlich ist das auch in Oberhausen.

Die Zukunft und der Zweck des Theaters 

In Ihrem Theater-Programmheft zur neuen Saison, die Sie ja mit „Krise, welche Krise?“ übertiteln, sieht man Oberhausen verwandelt in eine Sumpflandschaft. Übrig bleibt nur das strahlende Theater. Ist das nicht eine arrogante Haltung?

Carp: Nee, das ist es nun wirklich nicht. Wir Theaterleute sind ja Experten der Krise, jedes Stück handelt ja von einer persönlichen oder gesellschaftlichen Krise. Theaterstücke ohne eine Krise gibt es gar nicht, die wären ja langweilig. Das Theater wird alle Krisen überstehen, nicht weil wir die Tollsten und Besten sind, sondern weil unsere Kunstform, das Spielerische und Fiktive, älter als der Gasometer, das Centro oder als Freizeitparks ist.

Obwohl Sie mit Ihrem Team Preise ernten und von Kritikern viel gelobt werden, ist die Auslastung Ihres Theaters nicht so toll . . .

Carp: . . . aber das stimmt doch nicht. Wir lagen in der vergangenen Saison bei mehr als 70 Prozent Auslastung, das ist doch gar nicht schlecht. Wir haben uns im Vergleich zu früheren Jahren auch sehr gesteigert: Wir haben 60.000 Zuschauer gehabt und 10.000 bei unseren Gastspielen.

Aber bei 70 Prozent Auslastung bleiben immer noch fast ein Drittel der Sitzplätze leer. Warum können Sie nicht mehr Leute fürs Theater gewinnen?

Carp: Man darf die Wirkung des Theaters in der Stadt nicht nur an den Auslastungszahlen messen. Unser größter Erfolg der letzten Saison war „Schwarzbank: Kohle für alle“, wo wir ein eigenes Banksystem mit einem Bankhaus mitten in der Fußgängerzone erfunden und eine fiktive Währung in Umlauf gebracht haben. Unser Geld tauschte man nicht gegen Euro ein, sondern für eine gute Tat. Noch heute treffen sich Unternehmer und Bürger, um das Projekt fortzusetzen. Die Menschen, die das erreicht hat und die sich daran beteiligt haben, tauchen aber nicht in der Statistik auf.

Was ist denn so schwierig, die Oberhausener fürs Theater im Saal zu begeistern?

Carp: In einer Stadt mit einem älteren Bildungsbürgertum als in Oberhausen hat man natürlich einen größeren Publikumsstamm, für den es normal ist, ins Theater zu gehen. Theater ist in einer Stadt wie Oberhausen nicht selbstverständlich. Umso wichtiger ist es, dass es hier in Oberhausen auch in Zukunft Theater gibt und wir die Kunstform Theater gut erklären. Wenn man einer Kommune wie Oberhausen, die zwar nicht die allerhöchste Bildungs- und Sozialstruktur, aber sehr viele aufgeschlossene Menschen hat, nun auch noch die Kulturinstitutionen nehmen würde, dann würde der Stadt drohen, zu einem Ghetto zu verkommen. Das würde dem im Grundgesetz verankerten Prinzip der Chancengleichheit aller Menschen widersprechen. Denn nur wer Kultur erfahren kann, kann ein mündiger Bürger werden, der aktiv an der Demokratie teilnimmt.

Die neue Komödie unter Ihrer Regie, „Der Sparkommissar“, zeigt eine Rathaus-Spitze einer Bergbaustadt, die korrupt, unmoralisch und unfähig ist. Jeder denkt nur an seinen privaten Vorteil. Erleben Sie so unsere Stadtspitze oder die Oberen im Ruhrgebiet?

Carp: Nun ja, wir sagen ja nicht, dass das Stück im Ruhrgebiet spielt. Im Stück, das ja auf Nikolai Gogols Revisor aus dem Jahr 1835 beruht, verwenden wir auch in Oberhausen die russischen Namen. Insofern könnte es sich auch um eine Bergbaustadt in der Ukraine oder in Russland handeln. Der Zuschauer kann hier aber natürlich Assoziationen mit dem Ruhrgebiet herstellen. Das Stück ist ja kein Schlüsselroman, es geht hier um gewisse Strukturen des Verhaltens und der Vorteilsnahme. Jeder sagt doch, ach wenn der Sparkommissar kommt, dann soll er doch bei den anderen sparen und nicht bei mir. Das ist doch menschlich.

Also so negativ, wie der Autor hier die Verantwortlichen in einer Stadt sieht, bewerten Sie die Oberhausener Stadtspitze nicht.

Carp: Aber nein. Selbst wenn ich das so sehen würde, würde ich das jetzt nicht sagen. Das Wesen von Theater ist es doch, die Dinge zuzuspitzen.

Ihre Komödie ist trotz eines schockierenden Verhaltens von Entscheidungsträgern sehr amüsant. Soll Theater nach Ihrer Philosophie eher unterhalten oder aufklären und zum Nachdenken anregen?

Carp: Das eine schließt das andere doch gar nicht aus. Man kann doch oft über Geschichten lachen und sehr gut darüber nachdenken. Oder: Nachdenken kann doch sehr unterhaltsam sein Der Schweizer Regisseur Luc Bondy hat gesagt, alles, was mich neugierig macht, ist Unterhaltung. Das kann tragisch, ernst oder komisch sein.

Viele Oberhausener waren noch nie in Ihrem Theater. Mit welchen Worten würden Sie solche Theater-Muffel überzeugen, mal was zu wagen und ins Theater zu gehen?

Carp: Dass sie mehr von ihrem Leben haben, dass ihr Leben interessanter wird, wenn sie ins Theater gehen. Ohne Zweifel kann Theater im schlechten Fall sehr langweilig sein. Regisseur Ingmar Bergmann hat mal gesagt, wenn man das Gefühl hat, das Leben zieht zu schnell an einem vorbei, dann soll man mal ins Theater gehen, da können zwei Stunden sehr lang sein. Insgesamt ist Theater eine Schule der Neugier, man wird dadurch neugierig aufs Leben. Wer ins Theater geht, schaut dann anders auf seine Familie und auf seine Mitmenschen. Die Wahrnehmung von Wirklichkeit wird durchs Theater geschult. Theater bedeutet ein direktes Erlebnis mit anderen Menschen in einem Raum zu teilen, denen allen gemeinsam die gleiche Geschichte erzählt wird. Danach hat man meist das Bedürfnis, darüber zu reden. Theater fördert also die Kommunikation. Das ist doch ein Riesenluxus im Vergleich dazu, wenn man immer alleine auf einen Bildschirm starrt.