Oberhausen/Mülheim. Seit dem Sturz an einer Straßenbahnhaltestelle, bei der er verletzt wurde, liegt Herbert Stürzebecher mit der Mülheimer Verkehrsgesellschaft im Clinch. Mit seinem Stockschirm wollte der Rentner verhindern, dass sich die Türen der Bahn schließen. Das misslang, stattdessen fuhr die Bahn an und der Sterkrader stürzte. Nun fordert er Schmerzensgeld.

„Vorsicht, Straßenbahnfahren kann auch sehr gefährlich sein.“ Mit diesen Worten beginnt ein Brief, den Herbert Stürzebecher in der WAZ-Redaktion vorbeigebracht hat. Der 83-Jährige schildert darin, was ihm Anfang des Jahres an einer Straßenbahn-Haltestelle in Mülheim passiert ist. Dabei hatte der Sterkrader noch Glück im Unglück und verletzte sich nicht schwer. Dennoch: Herbert Stürzebecher findet, dass die Mülheimer Verkehrsgesellschaft (MVG) die Schuld an seinem Unfall trägt. Seit mehr als einem Jahr schon liegt er deshalb mit ihr im Rechtsstreit.

An jenem Tag im Januar, es war der 27., steht der Oberhausener gegen 10.30 Uhr mit einigen anderen Fahrgästen an der Haltestelle Mülheim-Stadtmitte. Die „112“ kommt, einige steigen aus und andere ein. Dann, so erinnert Stürzebecher sich, schließt der Fahrer die Türen – „bevor alle eingestiegen waren“. Unmöglich, findet der Oberhausener, und wagt ein riskantes Manöver, was auch gleich nach hinten losgehen soll.

Der unbekannte Helfer

Mit seinem Stockschirm geht er schnell noch zwischen die sich schließenden Türen. „Das funktioniert woanders doch auch immer“, sagt er, heute noch verärgert. Die Straßenbahntür jedoch folgt nicht der Logik einer Aufzugtür: Sie schließt trotz alledem, die Bahn fährt los und Herbert Stürzebecher findet sich auf dem Asphalt wieder. Dass nun nicht er, sondern nur sein Stockschirm mit der Bahn auf und davon ist, dürfte in diesem Augenblick seine geringste Sorge gewesen sein.

Mit Verletzungen im Gesicht und an der Hand rappelt Stürzebecher sich wieder auf, ein Passant hilft ihm dabei. Der junge Mann ruft vorsichtshalber auch gleich einen Rettungswagen. Sehr freundlich sei er gewesen, erinnert Stürzebecher sich an den unbekannten Helfer. Und bedauert, dass er sich nicht hat bedanken können. „Ich war nach dem Unfall so daneben.“

Zum Glück keine Knochenbrüche

Im Krankenhaus wird der Senior gründlich untersucht. „Zum Glück hatte ich keine Knochenbrüche“, sagt er. Die Krankenschwester ruft ein Taxi, Herbert Stürzebecher lässt sich nach Hause fahren. Vom Öffentlichen Personennahverkehr hat er für diesen Tag genug. Als sein Schwiegersohn die Verletzungen sieht, empfiehlt er gleich, juristisch dagegen vorzugehen. Für die Familie steht fest: Der Straßenbahnfahrer ist Schuld an dem Unfall.

„Er hätte doch alles in seinem Außenspiegel sehen müssen“, sagt Stürzebecher. Er nimmt sich einen Anwalt, der von der Verkehrsgesellschaft ein Schmerzensgeld verlangt, außerdem noch die Taxirechnung (31 Euro), die Zahnarztkosten, weil ein Stück der Prothese abgebrochen sei (94 Euro) – und natürlich den Stockschirm (70 Euro).

Dreifache Sicherung

Olaf Frei, Sprecher der Mülheimer Verkehrsgesellschaft, möchte sich nicht zum konkreten Fall äußern, „da es sich um eine schwebende juristische Auseinandersetzung handelt“. Grundsätzlich jedoch bedauere er den Unfall sehr und sei froh, dass Vorfälle wie dieser bei der MVG selten sind – „und das bei 75 000 beförderten Fahrgästen pro Tag“. Was hingegen häufig vorkomme, sei die Annahme, der Fahrer müsse dieses oder jenes gesehen haben. Frei: „Der Fahrer hat viel zu beachten. Signale, Verkehr, kreuzende Passanten. Und dann ist da noch der tote Winkel.“

Zu den Türen ließe sich sagen, dass sie dreifach gesichert sind. Erstens: „Sie schließen nicht, wenn jemand auf dem Trittbrett steht.“ Zweitens: „In den Gummidichtungen sind Sensoren, die auf Widerstand reagieren und die Türen sofort öffnen.“ Drittens: „Der Fahrer kann erst fahren, wenn alle Türen geschlossen sind.“ Auch Olaf Frei kann daher nicht erklären, wie das Unglück dennoch passieren konnte.