Oberhausen. . Eine Mutter erzählt von ihrem Leben als Alleinerziehende und dem Gefühl, nicht dazuzugehören

Wenn Sybille Wilhelm* (*Name von der Redaktion geändert) von ihrer zehnjährigen Tochter spricht, hat sie dieses Glänzen in den Augen. Dann ist sie in Gedanken ganz bei ihr, erzählt, wie aufgeweckt die Kleine ist. „Ich bin jedes Mal baff, wie sie aus ein paar Stofffetzen ein Kleidungsstück nähen kann. Überhaupt ist sie für ihr Alter eine starke Persönlichkeit.“ Möglicherweise hat Sarah* das von ihrer Mutter. Denn das Leben hat Sybille Wilhelm in den vergangenen Jahren wahrlich nichts geschenkt. Die 49-Jährige ist alleinerziehend und lebt seit einer Hirnblutung und einer darauffolgenden schweren Operation von Arbeitslosengeld II. Verbittert ist sie heute nicht. Aber erschöpft.

„Die ständige Geldknappheit ist zermürbend. Auch, wenn wir im Großen und Ganzen zurechtkommen“, sagt sie. Irgendwie zurechtkommen – das hat Sybille Wilhelm nach der Scheidung von ihrem Mann gelernt. Dabei lief ihr Leben bis vor wenigen Jahren in geordneten Bahnen. Die junge Mutter schien am Ziel ihrer Träume angelangt zu sein: Ein netter Mann, eine süße Tochter und ein Job als Bibliotheksassistentin, den sie liebte. Bis die bürgerliche Idylle plötzlich zusammenbrach. „Die Schwierigkeiten begannen früh nach der Heirat“, erzählt sie. „Mein Mann ist muslimischer Herkunft. Kulturelle Unterschiede, die wir vorher nie gespürt haben, waren auf einmal ein Thema. Irgendwann ging es nicht mehr.“

Traum von Familienidylle geplatzt

Schnell stand fest, dass das Kind bei ihr bleibt. „Ich möchte, dass Sarah Kontakt zu ihrem Vater hat. Er meldet sich allerdings nur selten bei ihr – das verletzt sie natürlich.“ Unterstützung durch ihre Familie hat die Oberhausenerin nie erfahren, sie stand vor allem allein. Nach der Operation war sie zunächst zwei Jahre krank geschrieben. So waren es vor allem die gesundheitlichen Probleme, die ihr allmählich den Boden unter den Füßen wegzogen und jenen kleinen Schritt bedingten von der gesicherten Existenz zu dem, was ihr selbst nur mit Mühe über die Lippen geht – Armut.

Denn je älter Sarah wurde, desto größer wurden die Bedürfnisse. „Man macht sich gar nicht klar, was so ein junges Mädchen alles braucht. Nicht für übertriebene Sonderwünsche, sondern nur, um ganz normal am Leben teilnehmen zu können.“ Für die Zuschüsse aus dem Bildungspaket, das Arbeitsministerin Ursula von der Leyen gern als großen Wurf präsentiert, ist die Mutter zwar dankbar. Doch sind die Beträge für sie nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ein Beispiel ist der Gitarrenunterricht für die Viertklässlerin, der mit Leistungen aus dem Bildungspaket finanziert wird. „Aber dann haben Sie noch keinen Notenständer, keine Liederbücher, kein Metronom und vor allem keine Gitarre“, listet Wilhelm auf. Jede Leistung muss außerdem einzeln beantragt werden, was mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden ist. „Die Rennerei zu den Ämtern ist wie ein Vollzeit-Job.“

Regelmäßig besucht sie eine Beratungsstelle der Caritas, wo sie Hilfe im Behördendschungel und manchmal nur ein paar aufmunternde Worte bekommt. Denn auch in der Schule gebe es noch immer viele Kosten, die gerade Alleinerziehende hart treffen – sei es die Einzahlung in die Klassenkasse, sei es die Schulausrüstung nebst Heften, Stiften und Ordnern. „Ich geniere mich nicht, Hilfe von anderen einzufordern“, sagt Wilhelm. „Ich gebe ihnen auch etwas zurück.“ Wenn sie einmal überraschend ins Krankenhaus muss und keine Unterbringungsmöglichkeit für Sarah findet, fragt sie die Eltern einer Schulfreundin ihrer Tochter, ob diese bei ihnen übernachten könne – „obwohl mich das Überwindung kostet.“

Viele Wünsche bleiben unerfüllt

Gut kann sie sich an eine Zeit erinnern, als Schlittschuhlaufen bei den Mädchen in Sarahs Klasse hoch im Kurs stand. „Es tat weh, ihr diesen Wunsch ausschlagen zu müssen. Aber das konnten wir uns nicht leisten.“ Denn die Fahrt zur Eishalle und der Eintritt schlägt für die kleine Familie hart zu Buche – ganz zu schweigen von neuen Schlittschuhen, da geliehene Exemplare meist kneifen. „In solchen Situationen ist Sarah ausgegrenzt."

Und dennoch ist Sybille Wilhelm ein reicher Mensch – auf ihre Art: „Im Frühling waren wir spazieren. Auf einer Wiese blühten die Kirschbäume und alles war weiß. Sarah hat die Blütenblätter aufgewirbelt und ich habe mitgemacht. Ich glaube, so etwas ist Glück.“ Es ist diese Einfachheit, die sie auch anderen Kindern vermittelt, wenn sie zu Besuch sind.

Statt Computerspielen steht dann Höhlen bauen mit Decken auf dem Programm. Oder Pfützenspringen. „Kinder müssen sich auch mal dreckig machen dürfen. Das verlernen sie heute viel zu schnell.“

Heute ist die Kämpfernatur voller Pläne, will in Arbeit, sobald die Gesundheit das wieder zulässt. Denn ihr Leben bleibt wohl ein Kraftakt, so lange es am Nötigsten fehlt.