Oberhausen.
Auch in Oberhausen sorgt das Urteil des Kölner Landgerichts für Aufregung, wonach die religiös begründete Beschneidung von Jungen eine Körperverletzung und deshalb nicht erlaubt sei. Muslime und Juden lehnen gleichermaßen eine staatliche Einmischung in die Religionsfreiheit ab. An ihrer Seite: Katholiken und Protestanten, die von einem „Skandal“ sprechen (Superintendent Hans-Joachim Deterding) und von einem „gewaltigen Eingriff, der nicht zu rechtfertigen ist“ (Stadtdechant Peter Fabritz).
„Die Beschneidung ist eine geniale Erfindung“, sagt Lev Schwarzmann, Vorsitzender der Liberalen Jüdischen Gemeinde. Dafür gebe es hygienische, gesundheitliche und ästhetische Gründe. Viel wichtiger jedoch: „Sie ist ein Zeichen, welches das jüdische Volk vereinigt.“
Wunde entzündet sich
In der Tora stehe geschrieben, dass man einen neugeborenen Jungen am achten Tag beschneiden solle. Dann habe das Baby zugenommen und auch die Mutter sich erholt. Zudem ist am achten Tag mindestens ein Sabbat, der jüdische Ruhetag, vergangen. Die Beschneidung wird von einem „Mohel“ durchgeführt, einem jüdischen Beschneider.
Für das Kölner Urteil hat Schwarzmann absolut kein Verständnis. Es sei „antisemitisch und antimuslimisch“, sagt er, und es erinnere an Zeiten, in denen seine Glaubensbrüder aus Angst vor Verfolgung auf eine Beschneidung verzichten mussten. Er selbst konnte erst im Alter von 13 Jahren beschnitten werden, weil es in der Sowjetunion, wo er bis dahin lebte, keinen „Mohel“ gegeben habe. Nach dem Eingriff entzündete sich die Wunde. „Ich stand zwischen Leben und Tod“, erzählt er. Seine Familie musste einen Pelz verkaufen, um Geld für Penicillin aufzutreiben. Dennoch, so Schwarzmann, habe er nie am Sinn der „Brit Mila“, wie die Beschneidung nach jüdischer Tradition heißt, gezweifelt. „Alle meine Enkel sind beschnitten.“
„Fast antireligiöse Stimmung“
Fast sprachlos sei Hans-Joachim Deterding, Leiter des evangelischen Kirchenkreises Oberhausen, gewesen, als er vom Beschneidungs-Verbot erfuhr. Eine „fast antireligiöse Stimmung“ vermutet er hinter dem Kölner Urteil. „Das ist, als ob man uns verbieten würde, Kreuze aufzuhängen.“ Das einzig Positive an der Diskussion sei, dass ausgerechnet das, was Juden und Christen trennte und zum Unterscheidungsmerkmal wurde, diese jetzt zusammenführe. Ebenso zahle sich jetzt, im Protest, die positive Geschichte der vergangenen Jahrzehnte mit muslimischen Nachbarn aus.
Auch Recep Kocaoglu, Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Gesellschaft Oberhausen, kann dem Streit etwas Gutes abgewinnen. Er findet nicht schlecht, das „Sünnet“, die muslimische Beschneidung, zum Thema wird: „Das fördert das Verständnis füreinander.“ Im islamischen Glauben sei die Beschneidung kein ausdrückliches Gebot, das im Koran zu finden sei. Dennoch sei sie Pflicht für alle Gläubigen, weil die ihr Leben an dem des Propheten ausrichten sollen – und der war beschnitten.
Kocaoglu glaubt nicht, dass es bei dem Urteil bleiben wird, sondern schon bald in anderen Fällen neue Urteile gefällt werden. Er setzt auf ein neues Gesetz zum Recht auf Beschneidung, das von jüdischen und muslimischen Verbänden gefordert wird. „Gottseidank betrifft es nicht nur Muslime“, sagt er, „da wird es schwierig für die Politik, das Thema unter den Tisch zu kehren.“
Antireligiöse Stimmung
Stadtdechant Peter Fabritz sieht die „Achtung vor der Religion und vor persönlichen Überzeugungen“ bröckeln. „Es ist schwer nachzuvollziehen, wie die Richter auf den Gedanken gekommen sind, etwas zu verbieten, was seit mehr als 3000 Jahren Tradition hat und so selbstverständlich zu Juden und Muslimen gehört wie die Taufe zu uns.“