Oberhausen. . Nach der Debatte um den Solidarpakt: Auf Spuren der neuen Bundesländer. Unterwegs zwischen Ostviertel, Thüringer Bratwurst und Spreewaldgurke. Nicht nur in der Ex-DDR gibt’s blühende Landschaften
Hier sind sie: blühende Landschaften! Im Garten von Familie Kerstges sind die Knospen der Forsythien aufgeplatzt. Das Grün sprießt. In der Greifswalder Straße reiht sich ein wohlgepflegtes Einfamilienhaus ans nächste. Ein ähnliches Bild in der Rügener, Stralsunder, Schweriner und Rostocker Straße. Im Oberhausener „Osten“ lebt sich’s ganz nett.
Der Osten liegt eigentlich ganz im Norden, im großen Dreieck zwischen A 2 und A 516. Hier in Sterkrade, an der Grenze zwischen Tackenberg und Alsfeld, finden sich fünf ostdeutsche Städtenamen im Straßenbild wieder. „Babcock hat die Häuser in den 60-er Jahren gebaut. Man hat den Straßen Städtenamen gegeben“, erinnert sich Johannes Kerstges. Dabei habe man wohl eher norddeutsch gedacht. Hamburger und Lübecker Straße liegen nur einen Steinwurf entfernt, erstaunlicherweise wie seinerzeit getrennt von den Ost-Straßen. Nur Grenzzaun und Wachtürme hat’s hier nie gegeben.
Harsche Kritik am Soli
Der Soli ist Thema am Gartenzaun. „Ich bin komplett dagegen“, sagt Hannelore Kerstges. „Das war mal eine gute Einrichtung. Aber mittlerweile geht’s denen doch besser als uns.“ Familie Kerstges war mal in Dresden („Super aufgebaut“). Mit Elbflorenz könne Oberhausen nicht mithalten. Johannes Kerstges würde trotzdem nach fast 50 Jahren nicht aus der West-Heimat wegziehen wollen. „Ich fühle mich sauwohl hier.“
Das findet auch Janna Kurz. Die 34-Jährige steht auf der Marktstraße in der Oberhausener City und kaut auf einer Thüringer Rostbratwurst. Janna ist ein echtes Ostkind, geboren in Chemnitz, das damals noch Karl-Marx-Stadt hieß. Ihre Eltern haben kurz nach der Wende in den Pott ‘rübergemacht, erzählt sie. „Mein Papi hat hier bei einer großen Baufirma angefangen.“ Sie sei jetzt hier heimisch. Die Soli-Diskussion habe sie nicht verfolgt. Sie gibt aber zu bedenken: „Es ist nicht überall toll im Osten.“
263 Millionen Euro hat Oberhausen in den vergangenen 20 Jahren als Soli in den Osten geschickt. Mit der Bahn könnte man es nicht mehr hinbringen, zumindest nicht mehr ohne umzusteigen. Der Eurocity „446 Jan Kiepura“ wurde als einzige Oberhausener West-Ost-Verbindung (bis zu zweimal täglich) vor gut einem Jahr aus dem Fahrplan gestrichen. Der Liegewagen fuhr einst bis nach Moskau durch.
Bahn-Linie gekappt
An mangelndem Ost-Interesse kann’s eigentlich nicht gelegen haben, dass die Bahn den Verkehr einstellt. Ein Reisebüro in der Elsässer Straße annonciert reihenweise Ost-Touren, darunter eine dreitägige Busreise nach Dresden: 299 Euro, Übernachtung, Frühstück im Drei-Sterne-Hotel. „Wunderschöne Stadt“, sagt auch Helga Krismanek. Die 69-Jährige schwärmt von der bequemen Busreise. Ja, ja... Natürlich auf mit Westgeld sanierten Straßen? Helga Krismanek mag die Frotzelei nicht. „Was soll diese Frage? Wir sind doch ein Land.“
Wer in die Supermarkt-Regale schaut, erhascht einen Blick in die einstigen „Kaufhallen“ der DDR. Es gibt Spreewald-Gurken (2,29 Euro für das 1,7-Kilo-Glas), Vita-Cola (1,29 Euro je Liter) und Rotkäppchen-Sekt (4,79 Euro für 0,75 Liter). Oberhausen könnte mit Ostprodukten überleben. Hier gibt sie immerhin in Hülle und Fülle – genau andersherum als in der früheren „Zone“.
Oberhausen war mal bedeutender Standort für Ost-Kunst. War. Die Ludwig Galerie hatte einst eine Sammlung mit 500 Werken aus der DDR. Peter und Irene Ludwig sammelten die Gemälde und Skulpturen, um ein gesamtdeutsches Kunst-Bild zu vermitteln. Die Zeiten sind vorbei, 160 Kunstwerke mittlerweile in Leipzig, der Rest als Dauerleihgabe in der Republik verstreut.
Im Ost-Straßen-Viertel entstehen gerade ein paar neue Häuser. Die Nachbarn graben den Garten um, pflanzen an. Überall, wohin man schaut, wird aufgebaut. Eine Krankenpflegerin schiebt einen Mann in Rollstuhl durch die Sonne. Was sie vom Soli hält? „Nix verstehe. Bin aus Polen.“