Oberhausen. . Das Fraunhofer-Institut Umsicht in Oberhausen entwickelt Konzepte fürs „In Farming“, also dem Betreiben von Landwirtschaft auf Gebäudedächern.
Der Supermarkt der Zukunft: Statt des faden Kopfsalats und der wässrigen Tomaten wartet in der Gemüseabteilung ein Aufzug – und der bringt einen aufs Dach des Supermarkts, wo man Salat, Radieschen und Gurke selbst ernten kann. Eine tolle Vorstellung, die so abwegig gar nicht ist. Am Fraunhofer-Institut Umsicht hier in Oberhausen entwickeln Forscher nämlich Konzepte, wie man Landwirtschaft auf Gebäudedächern betreiben kann – das sogenannte „In Farming“.
Grüne Oase
Das kann man sich so vorstellen: Ein Gewächshaus zum Gemüseanbau steht auf dem Flachdach eines Bürogebäudes, eines Industriebetriebs oder eines Supermarkts, die Fassaden sind mit Moos bewachsen, um Feinstaub zu binden – eine grüne Oase hoch oben auf den Dächern einer dicht besiedelten Großstadt. Denn unbebaute Flächen sind hier rar, sodass Menschen und Pflanzen gleichermaßen um die freien Flächen buhlen. Wird ein neues Wohnhaus gebaut, oder sollen dort doch lieber Lebensmittel angepflanzt werden? „Genauso wenig wie ein Mensch in der Wüste leben will, können dort Pflanzen wachsen – sie konkurrieren also um die gleichen Flächen“, erklärt Volkmar Keuter, Projektleiter von „In Farming“.
Doch nicht nur in den Megastädten der USA, Japan oder China lohnt sich das Bepflanzen der Dächer, auch hier in Deutschland macht die „urbane Landwirtschaft“ Sinn. 1200 Millionen Quadratmeter an Flachdächern von Nicht-Wohnhäusern gibt es in Deutschland, etwa 360 Millionen davon könnten für den Anbau von Salat, Gurke und Co genutzt werden. Ziel ist es dabei, hochwertige Produkte besonders nah am Verbraucher anzubauen. So erhält man wesentlich frischere Produkte und spart gleichzeitig Transportkosten und Kohlendioxid-Emissionen.
Keine Erde für die "Dach-Pflanzen"
Ein weiterer Vorteil der „urbanen Landwirtschaft“ ist die Möglichkeit, die Energie im Gebäude zu nutzen. Etwa die überschüssige Wärme, um das Gewächshaus zu heizen. Oder das Abwasser, das – gereinigt und angereichert mit Nährstoffen – zur Bewässerung der Pflanzen dienen kann.
Das Gemüse auf den Dächern wird allerdings nicht in Erde angebaut – das wäre zu schwer: „Die Dächer hier sind für so hohe Gewichte nicht ausgelegt – hier rechnet man höchstens mit einer Schneelast“, erklärt Keuter, übrigens gebürtiger Oberhausener. Deshalb sollen die Pflanzen in einem Rinnensystem wachsen, in dem nur ein dünner Wasserfilm mit Nährstoffen an den Wurzeln vorbeifließt. Das ist erstens leichter, zweitens wesentlich ertragreicher, können die Pflanzen doch viel dichter aneinander gepflanzt werden. Außerdem müsste man die Erde sonst etwa dreimal im Jahr austauschen – ausreichend Erde auf ein Hochhausdach zu schaffen, ist aber ein erheblicher logistischer Aufwand. So muss eine New Yorker Bäckerei dreimal im Jahr einen kompletten Straßenzug sperren lassen, damit ein Kran das Gewächshaus auf ihrem Dach mit Erde versorgen kann. Mit dem angebauten Gemüse auf dem Dach belegt die Bäckerei übrigens ihre Sandwiches.
Gemüse auf der Ladefläche
Unkonventionelle Anbauformen scheinen zurzeit übrigens in Mode zu sein. In Amerika gibt es das sogenannte Truck-Gardening, bei dem auf den Ladeflächen der Autos Gemüse angebaut wird. Das Guerilla-Gardening, bei dem Menschen nachts an öffentlichen Orten Samen ausstreuen, ist auch hier in Deutschland bekannt.
Ist das „In Farming“ also die Landwirtschaft der Zukunft? „Es könnte eine zusätzliche Produktionsfläche sein“, glaubt Volkmar Keuter, gerade angesichts der zunehmenden Verstädterung und der wachsenden Weltbevölkerung. „Hier entstehen regional am Verbraucher qualitativ hochwertige Produkte.“ Und: Würden alle verfügbaren Flächen in Deutschland genutzt, könnten die Pflanzen 18 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen binden, die durch den Verkehr entstehen.
Münster und München haben schon Interesse signalisiert. Auch hier im Ruhrgebiet könnte in ein bis zwei Jahren auf dem Dach gegärtnert werden.
Und stellt man sich vor, man könnte im Supermarkt sein Gemüse künftig selbst ernten, kommen bald vielleicht sogar die Kinder lieber mit in die Gemüseabteilung als zum Süßigkeitenregal.
Prototyp im Inhaus-Zentrum
Zusammen mit dem amerikanischen Partner „Bright Farm Systems“ entwickeln die Forscher gerade einen Prototyp für das „In Farming“. Entstehen soll dieser im Fraunhofer-Inhaus-Zentrum in Duisburg. In den USA wurden ähnliche Projekte bereits realisiert.