Oberhausen. . Das Leben und Sterben im Hospiz ist anders, als manch einer sich das vielleicht vorstellt. Ein Tag mit Schwester Karola.
Es ist ein eisig kalter Morgen. Während in Oberhausen gerade das Leben beginnt, ist Schwester Karola (58) auf dem Weg dorthin, wo es aufhört. Um 7.30 Uhr fängt die Frühschicht im Hospiz St. Vinzenz Pallotti an. Angenehm warm ist es hier und geradezu wohnlich. Das soll es auch sein, nichts soll an ein Krankenhaus erinnern. Der Boden ist mit hellem Laminat ausgelegt, die Wände sind weiß und mit Bildern verziert. Nur die Holzgeländer an den Wänden lassen vermuten, dass hier kranke Menschen leben.
Schlafen bis mittags
Zehn Einzelzimmer auf zwei Etagen gibt es. Jedes hat ein eigenes Bad. Auch Fernseher, Internetanschluss, Telefon und Kühlschrank gehören zur Grundausstattung. Wer möchte, darf auch persönliche Gegenstände und Möbel mitbringen. Zusammen mit Schwester Silke macht Karola den morgendlichen Rundgang durch die Zimmer. Danach geht es an die Pflege, geweckt wird aber niemand, sagt Karola. „Einer der Gäste schaut nachts lange fern und schläft bis mittags.“ Von „Patienten“ spricht man hier nicht.
Der Alltag unterscheidet sich sehr von dem im Krankenhaus, wo Karola früher gearbeitet hat. Dort hat sie den Alltag als belastend empfunden. „Man kann sich um die Patienten nicht ausreichend kümmern. Das wollte ich irgendwann nicht mehr.“
Seit knapp acht Jahren arbeitet sie im Hospiz. Hier kann sie mehr auf den Menschen eingehen. Die Pflege beispielsweise ist kein Zwang. „Wir fragen und sagen nicht: ‘So, jetzt wird gewaschen’. Die Selbstbestimmung ist sehr wichtig“, erklärt die Schwester und betritt das Zimmer einer 86-Jährigen. Auf dem Nachttisch stehen rote Rosen. Daneben ein Foto. Die Frau und der Mann auf dem Bild lächeln und schauen in Richtung des Bettes, in dem eine zierliche Frau liegt.
Zauberwort Lebensqualität
Auf den ersten Blick wirkt sie leblos, aber dann öffnet sie langsam die Augen. Die 86-Jährige ist dement und hat mehrere Tumore. Heilungschancen gibt es nicht. Erst gestern ist sie in das Hospiz gekommen. „Ich bin Schwester Karola, wir kennen uns noch gar nicht.“ „Aber wir lernen uns ja kennen.“ Das Sprechen fällt der Dame sichtlich schwer. Schwester Karola streichelt ihre Hand, um ihr Nähe zu geben. Gerade bei Dementen sei es wichtig, Kontakt und Vertrauen aufzubauen. „Möchten Sie gleich wieder Ihre Milchsuppe?“ „Ja“, antwortet die 86-Jährige mit einem Lächeln. Etwa eine halbe Stunde dauert die Pflege, danach bereitet Karola die Suppe zu.
Um halb zwölf hat Karola Zeit für eine Frühstückspause. Danach geht sie noch einmal durch die Zimmer. Die 86-Jährige ist wieder eingeschlafen. Während hier Stille herrscht, geht es zwei Zimmer weiter lebhafter zu. Es riecht nach Rauch und Joe Cocker singt seinen Rockklassiker „Unchain my heart“. Eine 42-jährige Frau liegt starr in ihrem Bett, sie hat einen Hirntumor und kann sich kaum bewegen, die Zigarette bekommt sie angereicht.
„Das Zauberwort ist Lebensqualität“, sagt Schwester Karola. „Hier wird auch viel gelacht. Es ist nicht so, dass man griesgrämig durch die Gegend läuft.“ Die 42-jährige Tumorkranke ist seit drei Monaten im Hospiz. Das ist ungewöhnlich lang. In der Regel bleiben die Gäste etwa 22 Tage, sagt Karola. Einmal sei ein Gast nur eine Stunde im Hospiz gewesen, bis er starb.
Ein gutes Gefühl nach Feierabend
Zwischen den regelmäßigen Rundgängen hat Schwester Karola Zeit für Schreibarbeit. Im Büro dokumentiert sie den Morgen und macht Vermerke über die Gäste, während eine Kollegin Medikamente gegen Schmerzen und Übelkeit bereit stellt. Nebenan wird das Mittagessen portioniert und auf die Zimmer gebracht. Nur wenige Gäste haben noch die Kraft, in der Küche zu essen.
Gegen 14 Uhr neigt sich Karolas Schicht langsam dem Ende zu. Nach der Visite mit einer Ärztin wird die Übergabe mit dem Spätdienst gemacht. Fünf Mitarbeiter besprechen jeden Gast noch einmal im Detail. Um 15 Uhr kann Karola Feierabend machen. Sie ist zufrieden: „Es war heute recht ruhig, kein großes Durcheinander.“ Dann könne sie besser abschalten.
Abstand gewinnen
Weil der Kontakt zu den Gästen viel enger ist als im Krankenhaus, ist das nicht immer leicht. „Da muss man für sich selbst gucken, dass man Abstand halten kann, weil man das sonst gar nicht aushält.“ Generell gibt ihr die Arbeit ein gutes Gefühl, weil sie sieht, dass sie den Menschen etwas Gutes tut, auch wenn sie keinen Einfluss auf das Schicksal der Gäste hat. „Wir können daran nichts ändern, aber wir können dafür sorgen, dass sie möglichst friedlich sterben.“