Oberhausen. Lieblinge sind oft nicht die Robusten, die nichts umhauen kann, sondern die Zarten, die Fürsorge brauchen. Wenn Regisseurin Gerburg Jahnke über „Sehnsucht“ spricht, klingt es ein bisschen so, als redete eine Mutter von ihrem Kind.

Kein Sorgenkind. Im Gegenteil: Die Show zwischen Revue und Kabarett ist längst Kult, es outen sich jede Menge Wiederholungstäter und es ist gar nicht so leicht, an Karten zu kommen. Aber „Sehnsucht“ ist ein Kind, auf das sie gut aufpassen will. „Das Stück ist empfindlich“, sagt Gerburg Jahnke, „dem darf man nichts antun“ - und meint das fein gewebte Ganze, dessen Wirkung verfliegt, wenn auch nur ein Fädchen fehlt.

Viele Kleinigkeiten seien wichtig, Zeit spiele eine Rolle. „Wenn es plötzlich zehn Minuten länger dauert, muss ich mich fragen, woran das liegt.“ Frau Jahnke wacht darüber, was sich auf der Bühne tut. „Ich nenne das Supervision, aber in Wirklichkeit ist es Kontrolle.“

Sie kontrolliert zum Beispiel, ob Nito Torres, der - und das ist eine der Top-Ideen des Stücks - die 17-jährige Chayenne spielt, bei der 50. Aufführung noch 100-prozentig Mädchen ist. „Die Rolle war nicht leicht für ihn. Obwohl er Töchter hat, musste er dafür hart trainieren“, so Jahnke.

Sie steht Mann, sie steht Frau

Sie steht auf und demonstriert, wie ein Mann normalerweise steht, etwas breitbeinig, das Gewicht gleich verteilt auf beide Füße. „Frauen haben ein Stand- und ein Spielbein, den Fuß des Spielbeins oft noch ein bisschen nach innen gesetzt.“ Sie demonstriert es und es ist verblüffend. Sie steht Mann, sie steht Frau, und sie lässt nicht unerwähnt, dass Frauen oft die Angewohnheit haben, mit ihren Haaren zu spielen. Alles Kleinigkeiten, alles wichtig.

Auch Carmela De Feo, Comedian und Musikerin, als Frau Schmitt und Constanze Jung als Frau Wollmann, von Hause aus Sängerin, müssen in „Sehnsucht“ ganz anders sein und singen, als sie es gewohnt sind. Stephanie Überall als Frau Zänker entspricht am ehesten dem Typ, den wir von ihr aus Missfits-Zeiten kennen.

Apropos Missfits: Macht es Gerburg Jahnke etwas aus, dass sie, obwohl sie ja nun mittlerweile eine sehr erfolgreiche Regisseurin ist, immer noch so als Missfits-Hälfte oder gar Ex-Missfiterin bezeichnet wird?

„Wenn es das braucht, um Aufmerksamkeit zu erregen, soll’s mir recht sein. Die Leute sollen reingehen und sich das Stück ansehen.“ Eigenproduktionen zu stemmen, das sei ja fürs Ebertbad eine kostspielige Sache, „alles vorfinanziert“. Deshalb sei es auch nicht geplant, „Sehnsucht“ nach der Januar-Staffel - Jahnke nennt es Rutsche - aus dem Programm zu nehmen. „Ganz oder Gar nicht“ werde schließlich schon seit fünf Jahren gespielt. Trotzdem plant Jahnke fürs nächste Jahr eine neue Eigenproduktion, „wieder mit den Jungs, die müssen dringend beschäftigt werden.“

Missfits-Stempel

Demnächst reist „Sehnsucht“ ans Meer, nach Lutterbek, das in der Nähe von Laboe liegt. „750 Einwohner, eine Kneipe mit Galerie und Veranstaltungssaal, Studios, Appartements.“ Drei Aufführungen sind im „Lutterbeker“ geplant. Hier haben sie „Sehnsucht“, die Geschichte, die in einer Frauenarztpraxis beginnt, bevor die vier Weiber auf die Reise gehen, übrigens auch entwickelt.

Geplant ist auch noch ein Ausflug von „Sehnsucht“ ins St. Pauli Theater, Hamburgs älteste Bühne, auf der Jahnke auch „Heiße Zeiten - Wechseljahre“ inszeniert, das Stück mit dem sie in Düsseldorf so positive Kritik einheimste.

„Mal sehen, wie Sehnsucht dort funktioniert“, sagt sie. Und dann muss sie weg. Ihr Auto ist mal wieder liegen geblieben und wird repariert. Wichtig. Schließlich soll es „Sehnsucht“ vernünftig an die Ostsee bringen.

Der Missfits-Stempel macht Gerburg Jahnke nichts aus. Die Frage, ob es nicht nervt, wenn sie immer mal wieder gefragt wird, ob sie noch raucht, beantwortet sie so: „Im nächsten Leben werde ich sportlich und Nichtraucherin. Und ich komme mit High-Heels auf die Welt. Da sind noch ein paar andere Dinge, aber die behalte ich lieber für mich.“