Oberhausen. .

Herr Wilke, wissen Sie noch, wer diesen Satz gesagt hat: „Das sind Folgen des verantwortungslosen Gebarens eines Stadtfürstens, der sich leider zu oft verzockt hat – zusammen mit einer ausgelaugten SPD, die sich zum Abnicker degradierte.“

Volker Wilke: Das könnte von mir sein.

Das ist richtig. Sie haben die SPD so im März 2009 angegriffen. Seit Herbst 2009 regieren sie mit der SPD. Wie regiert es sich denn mit einer ausgelaugten Partei?

Wilke: Dieser Satz bezog sich auf die Drescher-Ära in Oberhausen. Die SPD heute ist anders, und als kleinerer Partner sind wir in dieser Koalition so etwas wie ein Jungbrunnen für die SPD. Wenn man jahrelang alleine an der Macht war, braucht man alle Fragen nur intern klären. Jetzt muss die SPD vieles mit uns absprechen. Das hat die SPD verändert; zugleich ist es für uns nicht immer einfach, mit einem so machterfahrenen Partner Politik zu machen. Aber wenn wir uns nicht durchsetzen können, liegt das weniger am Widerstand der SPD als an der schlechten Finanzlage der Stadt.

Die SPD ist also nicht mehr so ausgelaugt wie früher – durch die Grünen?

Wilke: Sie erscheint schon alleine deshalb nicht mehr so ausgelaugt, weil der Stadtfürst nicht mehr existiert und der jetzige OB besser eingebunden ist. Will man heute aber etwas gestalten, stößt man sehr schnell zur aktuellen schlechten Finanzlage der Stadt. Und die hat der vorherige OB, Burkhard Drescher, hinterlassen.

Sie geben vor allem Herrn Drescher die Hauptschuld an der Finanzmisere?

Wilke: Ja, sie ist insbesondere Dreschers Großprojekten geschuldet, die haben die Stadt sehr viel Geld gekostet. Das Musical-Theater Tabaluga, das Projekt Ovision, das größte Aquarium der Welt, die gläserne Flugzeugfabrik, Skihallen, die Circus-Gesellschaft um Roncalli; übrig geblieben von all den Visionen ist gerade mal das Centro, die Bilanz von Drescher ist dürftig. Er hat zu hoch gepokert und Luftblasen erzeugt. Und wir müssen heute vieles daraus finanziell sanieren und das dauert lange.

Aber heute vermissen zahlreiche Bürger, dass diese Stadt keine Visionen hat. Vermissen Sie dies auch?

Wilke: Die Katerstimmung nach dem Großvisionär ist in dieser Stadt erheblich. Visionen sollte man haben, aber sie sollten nicht so ausfallen, dass man anschließend zum Arzt muss. Visionen sollten realitätsnah sein. Das Hauptproblem ist die Finanzlage der Stadt, die dazu führt, dass uns viele Millionen an Fördermitteln durch die Lappen gehen, weil wir nicht mehr den notwendigen Eigenanteil darstellen dürfen. Und alle Aufgaben, die als freiwillig eingestuft werden, dürfen wir nicht mehr neu schultern, etwa einen Gestaltungsbeirat für eine bessere Architektur in der Stadt.

Ob falsche Stadtplanung, Kungeleien oder Sparen zu Lasten der Kultur – stets prangerten die Grünen Fehler der SPD an. Jetzt sind die Grünen so still und brav geworden. Warum ist das so?

Wilke: Wir sind nicht brav, wir sind aber nicht zuständig, Fehler öffentlich zu proklamieren, das ist ja Aufgabe der Opposition. Gute Opposition zeichnet sich aus, wenn diese auch aufzeigt, wie man etwas besser machen kann. Das haben wir in der Opposition so gemacht. Jetzt sind wir in der Koalition und bringen uns dort ein. Wir entwickeln kleinteilige Projekte, die nichts kosten dürfen, und wir versuchen Projekte zu erhalten, die für andere Städte selbstverständlich sind. Und zudem müssen wir uns darauf einstellen, wie die Stadt künftig aussehen wird, wenn die Bevölkerungszahl weiter schrumpft.

Also liegt es an diesem Alltags-Kleinklein, das die Grünen nicht als reger Motor, als Antreiber der Koalition auffallen? Oder ist das eine falsche Wahrnehmung?

Wilke: Nein, wenn das so viele sagen, ist da schon ein Fünkchen Wahrheit dran. Das liegt aber auch daran, dass das operative Geschäft in der Verwaltung nur von gestandenen sehr erfahrenen Sozialdemokraten bewältigt wird. Und trotzdem: Im Rahmen der beschränkten Möglichkeiten schieben wir grüne Projekte an und sind damit auch Antreiber in der Koalition.

Aber Sie hatten doch schon die Chance, stärker ins operative Geschäft einzusteigen. Die Grünen konnten den Umweltdezernenten oder auch den Kämmerer stellen, zweimal haben Sie abgelehnt. Wollen Sie nicht wirklich mitgestalten?

Wilke: Na ja, uns ist das nicht angeboten worden, sondern wir haben die Ausgestaltung der Stadtspitze gemeinsam abgesprochen. Und da werden wir den nächsten frei werdenden Dezernatsposten besetzen. Über den genauen gewünschten Zuschnitt will ich aber noch nichts sagen.

Wollen Sie denn selbst Dezernent werden?

Wilke: Über Zuschnitt und Besetzung entscheiden wir erst im Frühjahr 2012, weil der Posten aus finanziellen Gründen einer Wiederbesetzungssperre bis Sommer 2012 unterliegt. Also stellt sich die Frage derzeit nicht.

Muss der neue Dezernent dann eine Frau sein? Ist das unabdingbar?

Wilke: Unabdingbar ist erst einmal politische Erfahrung. Zudem ist es notwendig, dass der Kandidat/die Kandidatin in einer Grünen-Fraktion eingebunden ist, damit dieser/diese nicht vergisst, woher er kommt. Nur mit politisch eingebundenen Personen können wir als Grüne wirklich etwas bewegen. Im Zuge des Gleichstellungsgedanken werden bei den Grünen Frauen gerne in solchen oder ähnlichen Positionen gesehen.

Kommen wir zu Sachthemen: Da gibt es aktuell einige strittige Fragen. Wir möchten kurz Ihre Meinung dazu wissen. Über sechs Jahre hat die Stadt die Müllgebühren falsch berechnet. Soll man nun die zu viel berechneten Gebühren an alle zurückzahlen oder nur an die 30 Kläger?

Wilke: Wenn das Urteil aussagt, dass zurückgezahlt werden muss, dann sollte die Stadt die Gelder an alle Bürger zurückzahlen. Es wäre fatal, wenn der Eindruck entstehen würde, dass bei einem falschen Bescheid der Stadt sich nur diejenigen durchsetzen, die den Klageweg beschreiten und die gutgläubigen Bürger, die der Verwaltung rechtlich sauberes Arbeiten unterstellen, leer ausgehen. Man sollte einen Ratsbeschluss fassen.

Das könnte für die Stadt teuer werden.

Wilke: Um riesige Beträge geht es nicht, im Schnitt soll es sich um jährlich 20 Euro pro Gebührenzahler handeln. Wenn wir das nicht zurückzahlen, dann geht das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren. Und das wäre schlimmer, als die Kosten zu tragen. Vielleicht sagen ja auch großzügige Bürger, behaltet das Geld.

Soll die Stadt Burkinis in Schwimmbädern erlauben, um muslimischen Mädchen aus strenggläubigen Familien die Teilnahme am Schwimmunterricht zu ermöglichen?

Wilke: Mein Gott, was hatten wir schon alles für Bademoden. Unser grüner Bürgermeister Manfred Lorentschat ist doch neulich vom Fünf-Meter-Brett mit einer Art Burkini aus den 20er Jahren gesprungen. Das war damals Mode. In den 70er Jahren waren enge Hosen total in. Natürlich stehen dahinter auch moralische Werte, wie viel nackte Haut man öffentlich zeigen darf. Aber man sollte heute lockerer damit umgehen.

Aber gerade weil dahinter Werte stehen, meint die Mehrheit der Bevölkerung, wir gehen mit der Erlaubnis für den Burkini religiösen Fundamentalisten auf den Leim.

Wilke: Ja, deshalb ist das Problem heikel. Aber wir haben doch auch eigene Werte, die wir bewahren sollten, wie Toleranz und Freiheit. Wenn wir Burkinis verbieten, weil wir diese nicht mehr aushalten, beschneiden wir doch schon unsere eigenen Wertvorstellungen. Aber diese Frage wird auch bei uns Grünen kontrovers diskutiert.

In Oberhausen gibt es an einigen Stellen, wie etwa derzeit im Zentrum von Sterkrade, Treffpunkte von ärmeren Menschen, die viel Alkohol trinken. Das macht Bürgern Angst, Kaufleute befürchten eine Abwärtsspirale.

Wilke: Man muss das Problem ernst nehmen. Einfache Lösungen gibt es nicht: Verdrängt man diese Gruppen von der einen Stelle, dann kommen sie an anderer Stelle wieder. Letzt endlich ist dieses Phänomen ein soziales Problem, weil sich die Leute kein Bier im Straßencafé leisten können. Das sind oft keine Obdachlosen, sondern sie sind nur arm. Am Hauptbahnhof haben wir am Ende das Problem einigermaßen in den Griff bekommen – das dauert eben nur länger.

Sind Sie dafür, die für Bäder und Grünpflege zuständige 100-prozentige Stadttochter OGM wieder ins Rathaus einzugliedern und dann Mehrwertsteuern in Millionenhöhe zu sparen?

Wilke: Grundsätzlich ja, weil man unter dem Strich wohl Geld sparen kann. Man muss aber prüfen, in welcher Form man das macht. Denn es gab ja damals gute Gründe für die Auslagerung als GmbH. Ein Eigenbetrieb oder eine Anstalt öffentlichen Rechts wäre nicht mehrwertsteuer-pflichtig. Insgesamt ist ja die Euphorie über Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen deutlich abgekühlt. In den seltensten Fällen sind die Leistungen wirklich billiger geworden – und oft auch nicht besser.

Es gibt viele Beschwerden über die Sauberkeit in der Stadt, etwa über zu viel Hundekot auf den Bürgersteigen. Benötigt man höhere Strafen gegen unsaubere Hundehalter?

Wilke: Oberhausen ist halt eine Großstadt; in Berlin sind doch Hundehaufen überall. Schön ist das nicht, in Großstädten ist das aber schwer zu regeln, außer vielleicht in autoritären Einparteien-Staaten wie Singapur. Als Hundehalter kann man gar nicht alles wegmachen, was ein Hund hinterlässt, zumal die Haufen in Plastiktüten dauerhaft erhalten bleiben. In der freien Natur verrotten die Haufen wenigstens.

Die Grünen werden in der Stadt bündnistechnisch als wankelmütige Partei eingeschätzt. Wenn es mit der CDU alleine oder mit der FDP zusammen reichen würde, die SPD abzulösen, würden Sie mit der CDU koalieren? Oder ist Rot-Grün ihr Wunschbündnis?

Wilke: Wankelmütig sind wir jedenfalls nicht. Wir arbeiten in der Koalition bisher gut und vertrauensvoll mit der SPD zusammen und wollen das auch weiterhin tun. Uns geht es in erster Linie darum, grüne Inhalte durchzusetzen. Das zeigt sich in allen Details bei Koalitionsverhandlungen und natürlich in der täglichen Arbeit. Wichtig ist, dass man in der Koalition auf Augenhöhe behandelt wird, gegenseitig Rücksicht nimmt und Respekt genießt.

Geht es also mit der SPD nach der Kommunalwahl 2014 weiter?

Wilke: Also, bis dahin vergeht ja noch einige Zeit. Mal sehen, welche Dinge wir noch umsetzen können. Wir müssen beispielsweise mehr für die Attraktivität der Stadtteile tun, Leerstände in den Zentren bekämpfen, etwa in dem wir marode Häuser aufkaufen und sanieren sowie Handelsangebote an der Peripherie beschränken. Und wir müssen auch ernsthafter als bisher Bürger an Stadtentwicklungsprojekten und Lokalpolitik beteiligen. 2013 werden wir dann eine Bilanz der Koalitionsarbeit ziehen und dann über eine Koalitionsaussage entscheiden.