Oberhausen. . Mitglieder einer Single- und Freizeitbörse für Menschen mit Behinderungen sprachen mit Experten von pro familia über Selbstbefriedigung, Sex, Schwangerschaft. Die Experten wissen: „Das sind für viele Behinderte und deren Angehörige Tabuthemen.“

Obwohl Michael Perther (Name geändert) 30 Jahre alt ist, ist für ihn das Thema Sexualität völlig fremd, ein Tabu, etwas, über das man schweigt. Zu schweigen hat. Michael Perther ist von Geburt an geistig behindert. Mit Frauen sei er nicht zusammen gewesen. Das läge aber nicht daran, dass er schüchtern sei, sagt er. „Die Mädchen, die sind schüchtern.“ Das ist nur die halbe Wahrheit.

An einem Abend im Mai sitzt er gemeinsam mit anderen behinderten Männern in einem Stuhlkreis in einem Büro an der Marktstraße (KoKoBe). Die Themen der Runde: Selbstbefriedigung, Sex, Schwangerschaft. „Das sind für viele Behinderte und deren Angehörige Tabuthemen. Viele Eltern der älteren Generation haben noch eine konservative Sicht: Menschen mit Behinderung haben keine Liebes-Beziehungen“, sagt Sejla Badnjevic von der Lebenshilfe Oberhausen.

Single- und Freizeitbörse für Menschen mit Behinderungen

2008 gründete sie mit anderen Ehrenamtlichen das Projekt „Herzenslust“, eine Single- und Freizeitbörse für Menschen mit Behinderungen. 26 Behinderte haben sich bisher registriert. „Bei Kennenlern-Abenden sitzen wir häufig gemütlich zusammen.“ Das Motto: Nichts muss, alles kann. Falls Interesse besteht, geht es nachher gemeinsam in die Disco Zentrum Altenberg. Dort habe einmal ein Teilnehmer gefragt, woran er merke, dass eine Frau ihn mag. Die Initialzündung für die Sozialarbeiterin. „Menschen mit Behinderung haben Barrieren bei der Kontaktaufnahme. Häufig muss man bei Themen wie Liebe und Zärtlichkeit ganz von vorne anfangen.“ Viele sind noch Jungfrau, weil es an Kontaktmöglichkeiten mangelt. „Mal in die Nachbarstadt fahren und da jemanden kennenlernen, ist für die gar nicht möglich. Die verbringen die meiste Zeit in Sondereinrichtungen, erst in der Schule, dann in der Behindertenwerkstatt.“ Genau das will „Herzenslust“ ändern.

Simple Geschichten

Die Verantwortlichen starten eine neue Kooperation. Andreas Müller, Sexualpädagoge von pro familia, erklärt den geistig behinderten Männern – die Gruppen sind nach Geschlechtern getrennt – erste Grundlagen. Er holt ein Bilderbuch heraus, das die Geschlechtsteile von Mann und Frau in einem herausklappbaren Modell zeigt. Dann spricht er über Pornos, „die keine echte Liebe zeigen“, darüber, wieso ein Penis steif wird, über Verhütung und wie Frauen schwanger werden können.

Aus einem kleinen Büchlein liest er eine simple Geschichte vor, die Höhen und Tiefen einer Beziehung nachzeichnet: Soap-Opera als Comic. „Das ist ja wie in der Schule“, sagt ein Teilnehmer, der eine Freundin hat. Später wird er sagen, dass es ihm gefallen hat und er viel gelernt habe.

„Ich bin zu schlecht für die Außenwelt“

Plötzlich steht ein Holzpenis auf dem Tisch. „Wer möchte mal vormachen, wie man darüber ein Kondom zieht?“, fragt Sexualpädagoge Müller. „Ach, das kann ich, das weiß ich schon“, sagt Michael Perther, kichert laut. „Alles klar, wir haben einen Freiwilligen gefunden.“ Perther zuckt, will nun doch nicht mehr. Keiner möchte.

Nach dem Treffen steht Perther vor der Tür und blickt kurz sehr ernst, ungewohnt für ihn, der den ganzen Abend viel rumalberte. „Ich hätte schon gerne eine Partnerin.“ Bisher habe sich nichts ergeben. „Ich bin zu schlecht für die Außenwelt“, sagt er beiläufig und zieht an seiner Zigarette. „Ich habe noch keine Frau geküsst.“ Wenige Minuten später lacht er wieder. Er scheint nicht unglücklich zu sein.

Fortsetzung im November

Der Herzenslust-Abend hat ihn dazu gebracht, über seine Sehnsüchte zu sprechen – das trauen sich nicht viele. Von den sonst 13 Männern bei Herzenslust erschienen beim ersten Treffen mit dem Thema Sexualität nur fünf. Im November soll die Reihe fortgesetzt werden. Bis dahin könne man direkt bei pro familia Kontakt aufnehmen.

Sexualität und Sehnsucht

Foto: Knut Vahlensieck - Sexualität und Sehnsucht , Ausstellung psychisch erkrankter Künstler im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte.
Foto: Knut Vahlensieck - Sexualität und Sehnsucht , Ausstellung psychisch erkrankter Künstler im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte. © Knut Vahlensieck
Foto: Knut Vahlensieck - Sexualität und Sehnsucht , Ausstellung psychisch erkrankter Künstler im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte.
Foto: Knut Vahlensieck - Sexualität und Sehnsucht , Ausstellung psychisch erkrankter Künstler im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte. © Knut Vahlensieck
Foto: Knut Vahlensieck - Sexualität und Sehnsucht , Ausstellung psychisch erkrankter Künstler im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte.
Foto: Knut Vahlensieck - Sexualität und Sehnsucht , Ausstellung psychisch erkrankter Künstler im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte. © Knut Vahlensieck
Foto: Knut Vahlensieck - Sexualität und Sehnsucht , Ausstellung psychisch erkrankter Künstler im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte.
Foto: Knut Vahlensieck - Sexualität und Sehnsucht , Ausstellung psychisch erkrankter Künstler im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte. © Knut Vahlensieck
Foto: Knut Vahlensieck - Sexualität und Sehnsucht , Ausstellung psychisch erkrankter Künstler im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte.
Foto: Knut Vahlensieck - Sexualität und Sehnsucht , Ausstellung psychisch erkrankter Künstler im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte. © Knut Vahlensieck
Foto: Knut Vahlensieck - Sexualität und Sehnsucht , Ausstellung psychisch erkrankter Künstler im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte.
Foto: Knut Vahlensieck - Sexualität und Sehnsucht , Ausstellung psychisch erkrankter Künstler im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte. © Knut Vahlensieck
Foto: Knut Vahlensieck - Sexualität und Sehnsucht , Ausstellung psychisch erkrankter Künstler im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte.
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Foto: Knut Vahlensieck - Sexualität und Sehnsucht , Ausstellung psychisch erkrankter Künstler im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte.
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