Oberhausen. .

Fernsehen und Computer ersetzen heute das Abenteuer in der Natur. Experten warnen aber, dass gerade das Toben unter freiem Himmel für die körperliche, geistige und emotionale Entwicklung unseres Nachwuchses enorm wichtig ist. Unterwegs mit der Lupengruppe.

Matschhose und Gummistiefel an, Jacken drüber und das Frühstück nicht vergessen – mit dem Bollerwagen ziehen Niklas, Marvin und der Rest der Lupengruppe von der Kindertageseinrichtung Alsfeld in Richtung Alsbach. Heute wollen sie entdecken, was so alles unter der Wiese lebt. Auf einer wilden Lichtung zwischen Brennnesseln macht sich Niklas mit dem Spaten auf die Suche nach Regenwürmern, Marvin buddelt mit beiden Händen nach Maulwürfen, bis er knietief im Dreck steckt - und ein schelmisches Grinsen auf den Lippen trägt.

Eine bunte Plastikwelt der Spielsachen

Jeden Tag geht die Lupengruppe auf Entdeckungsreise in die freie Natur, immer in unterschiedlicher Besetzung. Morgens werden je vier Kinder aus den fünf regulären Kita-Gruppen ausgewählt, die dann als Teil der Lupengruppe draußen klettern und graben, bauen und rennen - zwar unter Aufsicht, aber nach eigenem Gusto. Eine Idee, die aus Platzmangel umgesetzt wurde, heute aber von Eltern und Kindern gleichermaßen geliebt wird, sagt Gruppenleiterin Claudia Immig. „Draußen zu spielen, die Welt mit allen Sinnen zu erfahren, das sind wichtige Erfahrungen für Kinder.“

Erfahrungen, die immer wenigere machen: Der Biologe Andreas Weber hat herausgefunden, dass mehr als die Hälfte der Kinder in Deutschland nur noch in geschlossenen Räumen spielen - ob im Kindergarten oder zu Hause. Dort wartet eine bunte Plastikwelt der Spielsachen, die naturfremder und gleichzeitig so detailliert geworden sind, dass es nicht mehr viel Fantasie zum Spielen braucht.

Die Erfahrungswelt des Kindes werde so vereinfacht, warnt Umweltpädagogin Karin Lammers vom Regionalverband Ruhr (RVR). „Kaum ein Kind weiß heute noch, etwas mit Stöcken und Steinen zu bauen.“ Stattdessen verbringen Drei- bis 13-Jährige anderthalb Stunden täglich vor dem Fernseher und ebenso lange vor dem Computer.

Viele Kinder leiden unter Depressionen

Was macht das mit ihnen? Allerlei Schlechtes, sagt Stefan Breuer vom städtischen Kinderbüro. „Das Immunsystem des Kindes wird schwächer, es hat weniger Ausdauer. Außerdem ist es schlecht für den Körperaufbau, wenn Kinder sich nicht ausreichend bewegen.“

Der Mangel an frischer Luft und Entdeckertum könne noch zu ganz anderem führen: Es kann kein Zufall sein, dass knapp ein Sechstel aller Kinder unter Depressionen leidet, jedem fünften Kind ein Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom diagnostiziert wird, das nicht selten medikamentös behandelt wird. Breuer: „Wer sich in der Natur nach Herzenslust austobt, ist danach aufmerksamer und kann sich besser konzentrieren.“

Nun haben Eltern immer weniger Zeit, mit ihren Kindern draußen zu spielen, aus Angst lassen sie sie aber auch nicht allein vor die Tür, weiß Klaus Gohlke, Leiter des städtischen Kinderpädagogischen Dienstes. „Ich gehöre einer Generation an, die brauchte keine Spielplätze, weil die Stadt uns noch genug Raum gab. Da ist man raus gegangen und irgendwann zurückgekommen.“ Heute sei dieser Raum nicht nur beschränkt, Gefahren lauern zudem im Straßenverkehr, Eltern bangen, dass andere ihren Kindern Leid zufügen könnten.

Regenwurm und Rotkehlchen

Kiga Grashüpfer besucht Waldschule am Ravenhorst Foto: © Tom Thöne / WAZ
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"Das Spiel in der Natur ist wichtig"

Hinzu komme, dass auch die Kinder immer weniger Zeit haben, sagt Beatrix Weber, Leiterin der Kita Alsfeld: „Die Schulzeiten werden immer länger, hinzukommen andere Dinge, bei denen es meist um reine Wissensvermittlung geht. Ein Kind muss sich aber auch emotional und körperlich entwickeln können, dafür ist das freie Spiel in der Natur wichtig.“

Sofort bemerke sie, wenn ein Kind lange nicht draußen gespielt hat. „Es stolpert über jede Baumwurzel, ist unsicher, muss manches neu lernen.“ Das Unkalkulierbare der Natur, „die Gefahrenquellen, an denen sich ein Kind messen kann, unterstützen es, zu einer selbstsicheren Person zu reifen.“

Gleichzeitig lernen die Kinder noch etwas über die Natur, bemerkt Karin Lammers vom RVR: Die meisten Grundschüler haben noch nie eine Fledermaus gesehen. „Nur was man kennt, schützt man auch.“

Niklas hat seinen Regenwurm in der Zwischenzeit gefunden. Natürlich sei das nicht der erste, den er sieht, sagt der Fünfjährige, bevor er den Wurm in ein Plastikglas steckt, um ihn mit der Lupe zu untersuchen. Dann schaut er zu Erzieherin Claudia Immig rauf: „Sag mal, warum kommen Regenwürmer eigentlich nur im Regen raus?“