Oberhausen. . 70 Prozent der 2,2 Millionen pflegebedürftigen Deutschen werden von ihren Angehörigen zu Hause versorgt. Beim wöchentlichen Gesprächskreis in Oberhausen können sich die Angehörigen über ihre Wut, Probleme und die stetige Überbelastung austauschen.
Sie arbeiten zuhause, im Hintergrund. Quasi unsichtbar. Tag für Tag, oftmals 24 Stunden. Und das unter starker Belastung – physisch, wie psychisch. Pflegende Angehörige leisten enorme Dienste. Oftmals sind es Frauen, die die Pflege eines Familienangehörigen übernehmen. Noch dazu spontan und unreflektiert, dafür aber immer wie selbstverständlich. Eine von ihnen ist Marlies Neumann. Seit 1995 kümmert sie sich um einen ihrer Lieben.
Ein schlechtes Gewissen
Angefangen hat alles mit ihrem Vater, später war es ihr Mann und heute ist es Marlies Neumanns Mutter, die Hilfe benötigt. Neumann kümmert sich nun nicht nur um den Haushalt, sie wäscht auch ihre Mutter, erledigt wichtigen Papierkram. Eine Belastungsprobe – für den Körper, aber auch die Seele. Der eigene Druck, bloß nichts falsch zu machen, ist groß. „Mich plagt oft das schlechte Gewissen“, sagt Neumann. „Was sie aber nicht haben muss“, weiß Angelika Krietemeyer.
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Angelika Krietemeyer ist Leiterin des Gesprächskreises pflegender Angehöriger und weiß um deren Sorgen und Probleme. Bis zu 30 Menschen treffen sich jeden zweiten Dienstag im Monat. „Schön wäre es, wenn auch pflegende Angehörige aus anderen Kulturen den Weg zu uns finden würden.“ Marlies Neumann kommt bereits seit Mitte der 90er Jahre als pflegende Angehörige in den Gesprächskreis. „Zum einen, um über das zu reden, was mich beschäftigt. Und zum anderen, um mich mit den Teilnehmern auszutauschen.“ Das gebe ihr eine Menge Kraft.
Im Gesprächskreis können die Betroffenen ihrer Trauer und ihrer Wut freien Lauf lassen. Doch zu noch etwas ist der Gesprächskreis gut. Und zwar um den täglichen Trott zu verlassen. Sich einmal Zeit für sich zu nehmen. „Denn das kommt bei pflegenden Angehörigen definitiv zu kurz“, so Angelika Krietemeyer.
Auch Marlies Neumann hat lange gebraucht, um das zu verstehen. Doch nun nimmt sie sich Zeit für sich. „Das ist wichtig, denn sonst hält keiner lang das Pflegen eines Angehörigen durch“, so Krietemeyer.
Auch einmal an sich denken
Nach der bundesweiten Pflegestatistik sind 2,2 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig. 70 Prozent davon werden zu Hause gepflegt. Eine Millionen ohne professionelle Hilfe – also von ihren Angehörigen. Den Vorstoß von Gesundheitsminister Philipp Rösler, dass pflegende Angehörige in Zukunft Kuren einfacher in Anspruch nehmen können, begrüßen Neumann wie auch Krietemeyer. „Generell sollte vor allem jeder pflegende Angehörige nach seiner aktiven Zeit Anspruch auf eine Kur haben“, findet Krietemeyer.
Marlies Neumann hingegen hat ganz andere Wünsche. Diese richten sich nicht an die Politik, sondern vielmehr an die Pflegenden selbst. Diese sollten nämlich vor allem eines: Selbst Hilfe in Anspruch nehmen. „Und auch mal an sich denken.“ Die Angehörigen mal in die Tagespflege zu geben, sei keine Sünde. Es gebe viele Angebote und Hilfen. „Man muss nur um sie wissen und diese auch nutzen.“
Trotz aller Mühen und Sorgen: Marlies Neumann hat nie bereut ihre Angehörigen zu pflegen. „Ich war nicht berufstätig, daher war es für mich selbstverständlich diese Aufgabe zu übernehmen. Zumal ich auch ein reines Gewissen haben wollte, wenn der Angehörige nicht mehr ist.“