Oberhausen. .

Die rot-grüne Landesregierung sorgt an Oberhausener Gymnasien für Irritationen. Einer möglichen Rücknahme des Turbo-Abiturs stehen die Schulleiter skeptisch gegenüber: Es sei schlecht, mitten im Galopp die Pferde zu wechseln.

„Wir wollen die Schulzeitverkürzung bei den Gymnasien entschärfen.“ So steht es im Koalitionsvertrag der rot-grünen Landesregierung. Ganz abschaffen können die neuen Regierenden in Düsseldorf das so genannte Turbo-Abi (G 8) per Gesetz nicht einfach, dazu fehlen die Mehrheiten im Landtag. Also soll es ein Schulversuch richten: Gymnasien können selbst entscheiden, ob sie ab dem Schuljahr 2011/2012 wieder das Abitur nach neun Jahren (G 9), also insgesamt nach 13 Jahren Schulzeit, anbieten. Oder ob sie gar beides, Turbo-Abi und die langsamere Variante, unter einem Dach organisieren. Maximal zehn Prozent der Gymnasien im Land sollen an dem Schulversuch teilnehmen können. Eltern, Lehrer, Schüler in Form der Schulkonferenz müssen in Absprache mit dem Schulträger, der Stadt, ihr Votum abgeben. Bis Ende November soll das Thema durch die Gremien gegangen sein, entsprechende Anträge müssten bis Mitte Dezember 2010 bei der Bezirksregierung eingereicht werden.

„Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln.“

Der Vorstoß der Landesregierung sorgt bei den Oberhausener Gymnasien für Stirnrunzeln und Irritation. Rolf Winkler (58), Leiter des Heinrich-Heine-Gymnasiums, drückt die derzeitige Stimmung mit einer Redensart aus: „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln.“ Zwar sei das Turbo-Abi mit „unverzeihlichen Unterlassungssünden“ (Winkler) an den Start gegangen — die Lehrpläne waren nicht entsprechend entschlackt, es fehlten Angebote für eine Mittagsverpflegung an den Gymnasien —, „aber jetzt haben wir uns einigermaßen eingerichtet“, so Rolf Winkler. Der Heine-Direktor verweist auf die Mensa mit rund 100 Sitzplätzen, die es ab Februar 2011 an seiner Schule gebe. Dennoch wolle er hinsichtlich einer Entscheidung zum G 9-Abitur den Gremien an seiner Schule nicht vorgreifen.

Jede Menge Diskussions- und Informationsbedarf sehen auch die Schulleiter der vier anderen Gymnasien der Stadt. Klaus Nieswand (60), Direktor des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums, verweist auf eine Veranstaltung der Bezirksregierung am 4. Oktober, zu der alle Schulleiter eingeladen sind. Als „Schnellschuss aus der Hüfte“ bezeichnet Harald Willert, Leiter des Sophie-Scholl-Gymnasiums, das G9-Vorhaben.

Nicht mitten im Galopp die Pferde wechseln

Einhelliger Tenor der Oberhausener Gymnasial-Leiter: nicht mitten im Galopp die Pferde wechseln. Oder, wie es Brigitte Fontein (56), Leiterin des Elsa-Brändström-Gymnasiums, formuliert: „Wir sollten in Ruhe zu Ende bringen, was wir angefangen haben.“ Der erste G 8-Jahrgang sei jetzt in der zehnten Klasse, „wir probieren alles das erste Mal aus“, so Fontein. „Warum diese Eile, diese Hetze“, fragt auch Michael von Tettau (58), Direktor des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums, angesichts des Angebots der Landesregierung und fordert eine gründliche Auswertung der Erfahrungen mit dem Abitur nach acht Jahren. „Heutzutage wird doch alles evaluiert.“ Es ginge darum, die Bedingungen des G 8-Abiturs zu reformieren, und nicht darum, es grundsätzlich wieder abzuschaffen.

So schlägt von Tettau vor, die Verkürzung der Schulzeit nicht in der Sekundarstufe I vorzunehmen, wie es von der ehemaligen CDU/FDP-Landesregierung durchgesetzt wurde und derzeit bei G 8 praktiziert wird, sondern in der Oberstufe einen Jahrgang zu streichen. Damit die Stundenpläne der Kleinen entzerrt würden. Dazu müsste allerdings der Beschluss der Kultusministerkonferenz aufgehoben werden, dass die Oberstufe drei Jahre zu umfassen hat. Außerdem hält von Tettau es „für eine bedenkliche Konstruktion“, dass bei der derzeitigen G 8-Praxis die Zehner-Abschlüsse erst in der Oberstufe erworben werden — weil die Sekundarstufe I ja nur bis zur neunten Klasse geht.

Nicht alles wird wieder so wie früher

„Wenn das G 8-Abitur vernünftig gemacht wird, dann ist es zu schaffen“, sagt auch Brigitte Fontein. Im Ausland sei das Abitur nach zwölf Jahren normal. Auch Rolf Winkler verweist auf den Vorteil der europaweiten Angleichung durch das Turbo-Abi. Und eine Illusion müsse den Eltern und Schülern zudem genommen werden, so Fontein. „Wenn wir wieder auf G 9 umschwenken würden, ist nicht alles wieder so wie vorher.“ Wie heißt es in einem Schreiben des NRW-Schulministeriums: Eine Entscheidung für den neunjährigen Bildungsgang bedeute „keine Rückkehr zum früheren Bildungsgang G 9 vor der Einführung des achtjährigen Gymnasiums“.