Oberhausen. Die Sektkorken knallten in Oberhausen von Gdanska, Kulttempel bis zum Centro. Wo sich die Gäste wohlfühlten. Und wo es unbehaglich wurde.
Es riecht nach Schwarzpulver. Doch bis Mitternacht dauert es noch Stunden. An der Bushaltestelle Olga-Park ist wenig los. Im Schnellbus 90 sitzen vier angeheiterte Anfangzwanziger, hinten, auf dem letzten Vierersitz. Gesprächsthema ist das Alkoholika-Programm für die weitere Nacht. Es wird gejohlt. Das Partyvolk nimmt Kurs auf die Wechselpartys. Ob am Standrand, in der Innenstadt - oder eben auch am Centro.
So gegen 21 Uhr ist vor dem Einkaufszentrum allerdings weniger los als man denkt. „Wir wollen mal schauen, was hier geht“, ruft ein Pärchen herüber, das neben den teils noch nicht abgebauten Weihnachtsmarkt-Hütten recht einsam schlendert. „Den Sekt haben wir vorsichtshalber selbst mitgebracht.“
Tatsächlich erscheinen auf der Promenade hauptsächlich Feierfreunde, die schon ein Ticket in der Tasche haben. Vor dem Köpi stehen sie in der Warteschlange. Hier geht die Party gerade erst los. Bei einigen stecken Krönchen mit „Happy New Year“ in den Haaren. Prompt setzt der Regen ein. Schnell aufgezogene Kapuzen sorgen für Frisurenkrisen. Das hört ja gut auf!
Silvester 2023 in Oberhausen: Warteschlangen auf der Centro-Promenade
Längst nicht alle Restaurants haben geöffnet. Vor dem geschlossenen Three Sixty versucht eine Gruppe eine Silvesterrakete nahe der Hausfassade anzuzünden. Es kommt wie es kommen muss: Der Feuerwerkskörper prallt an der Wand ab - und detoniert auf dem Gehweg. Großes Gelächter. Der gefährliche Querschläger scheint keinen zu interessieren. Zum Glück ist nichts passiert.
Auch in der Innenstadt können Knallköppe nicht innehalten. Immer wieder scheppert es auf Gehwegen. Auf dem Sapo-Platz knattern Leuchtkugeln knapp über dem Asphalt. Bei Spaziergängern sorgt das eher für Unbehagen als für einen entspannten Bummel zum Partyziel. Einige laufen lieber eine Umleitung. Alle Jahre wieder.
Zum Glück gibt es sie aber doch: Die heimeligen Silvesterorte. Dass die Gdanska-Wirtsleute auf die große öffentliche Sause auf dem Altmarkt verzichten, kann man angesichts immer beliebterer Wild-West-Knallerei nachvollziehen. In der deutsch-polnischen Kult-Kneipe steigt dafür für knapp 200 Ticketbesitzer eine ausverkaufte Sause.
Die Gäste betreten eine Zeitmaschine. Vorne an der Theke verzieren Róza und Benedykt Frackiewicz alias Benrose die Silvesterstimmung mit pulsierendem Swing und feinem Jazz. Die kleine Eckbühne ist zurück. Zumindest für eine Nacht. Fans der Kneipe kennen diese aus der Zeit, als das Gdanska noch ohne die später zugebauten Räume wie eine Sardinenbüchse wirkte. Nun tanzen sie wieder amüsiert vor der Theke.
Silvester 2023 in Oberhausen: Leerer Altmarkt - tolle Stimmung im Gdanska
„Einige haben sich schick angezogen, tragen ein Jackett oder eine Fliege. Andere feiern ganz ungezwungen“, freut sich Wirtin Maria Golebiewski über die ausgelassene Stimmung. Hinten im Saal sorgt das Duo Pol-Ton für einen Partyrausch. Polnischer Schlager. Gecoverter Rock von Led Zeppelin. Und beim deutschen Mallorca-Hit „Helikopter 117“ singen sie „Mach den Hub Hub Hub…“ und lassen ihre Sakkos wie Propeller kreisen, während an der Theke schon die Sektgläser zum Anstoßen aufgereiht werden. „Auf die schöne Nacht!“
Kurz vor Mitternacht bleibt es auf der Marktstraße verhältnismäßig ruhig. Das liegt aber hauptsächlich am gerade eingesetzten Regenguss. Dass einige trotzdem mit dem Feuerzeug in Hauseingängen hantieren. Ohne Worte… aber mit Ohrensausen.
Am Theater Oberhausen pfeifen sie aufs Wetter. In der Theaterlobby, in der Bar und im Falstaff prosten sie dem Sekt-Prosit trocken entgegen. Nach der Abendvorstellung „Schauet - Herzland“ mit 430 Gästen erscheinen Nachzügler nun zur Endlos-Party. Schauspielerin Anna Polke freut sich: „Silvestervorstellungen haben immer eine ganz besondere Atmosphäre.“ Und Theatersprecher Hannes Richter ergänzt: „Die Gäste haben Spaß und auch das Ensemble kann nach der Vorstellung mitfeiern.“ Längst nicht nur Stammpublikum sei dabei.
Silvester 2023 in Oberhausen: Promi steht im Falstaff hinter der Theke
In der Bar ist auf der Tanzfläche tatsächlich kaum noch ein Zentimeter zu ergattern. DJ Clärchen legt zwischen silbernen Luftballons und in pinker Lichtstimmung auf. Überraschung an der Falstaff-Theke: Kabarett-Star Gerburg Jahnke steht hinter dem Tresen. Nimmt Gläser an. Gibt Getränke aus und hilft Partner und Falstaff-Betreiber Hajo Sommers aus. Sie sieht es pragmatisch: „Silvesterpartys zu feiern, darauf habe ich sowieso keine Lust.“
Dann folgt der Glockenschlag! Der Regen hat aufgehört. Praktisch. „Frohes neues Jahr!“ An der Ebertstraße, Ecke Mülheimer Straße, haben sich Anwohner offenbar paketweise eingedeckt. Eine Stunde Dauerfeuer!
Einige hundert Meter weiter im Kulttempel neben der Turbinenhalle lassen sie die 70er-, 80er- und 90er-Jahre im Diskolicht musikalisch aufleben. Neues Jahr, zurück in die Vergangenheit - das passt eben auch. „Im Handumdrehen waren unsere 500 Tickets im Vorverkauf weg“, sagt Kulttempel-Betreiber Peter Jurjahn. „Die Abendkasse haben wir daher nicht mehr geöffnet.“
Das Publikum trainiert eifrig zu Tanzübungen von DJ Cheesy. Gute Vorsätze können schließlich nicht früh genug umgesetzt werden. Oder sagen wir fast. Schließlich tischt der Club am frühen Morgen ein duftes Frühstück auf.
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