Oberhausen. Bis 20. Mai präsentiert die Ludwiggalerie surreale Meisterwerke, die nicht nur Alben von Pink Floyd zu Kunst machten.

Der jüngst mit einem hochgelobten neuen Album aus jahrelanger Stille zurückgekehrte Peter Gabriel nannte das Designer-Trio seines Vertrauens „der Wilde, der Verrückte und der Wunderbare“. So steht‘s in seinem Vorwort zum Werkkatalog von „Hipgnosis“, jener Design-Agentur, die von 1967 bis 1985 für knapp 18 Jahre der Rockmusik und ihren Stars ein markantes Gesicht gab – eines, das weit über die üblichen Star-Porträts hinauswies. „Der Wunderbare“, Aubrey Powell, wird im Januar der Ludwiggalerie seine Aufwartung machen: Schließlich ist vom 21. Januar bis zum 20. Mai das Schloss Oberhausen eine weitere Ausstellungs-Station für „Hipgnosis. Breathe“, die umfassende Werkschau dieser Meister surrealer Foto-Collagen.

Der Titel verweist natürlich auf den gleichnamigen Song von Pink Floyds Geniestreich „The Dark Side of the Moon“, dessen Prisma auf schwarzer LP-Hülle als gleichsam ikonische Arbeit der Bilderschmiede aus Londons Denmark Street gilt – seinerzeit eine Hauptstraße des britischen Musik-Business. Eine typische Hipgnosis-Arbeit ist dieser Blickfang allerdings nicht. Denn eigentlich liebten es Aubrey Powell (genannt „Po“) sowie seine Kompagnons Storm Thorgerson und Peter Christopherson, mit den unwahrscheinlichsten Bildwelten grandios aufzutrumpfen: Bizarrerien also statt britischen Understatements.

Zwei Granden der Rock-Fotografie: Aubrey Powell (77) und Anton Corbijn (68), der 2022 mit „Squaring the Circle“ eine große Film-Doku über Hipgnosis in die Programmkinos brachte.
Zwei Granden der Rock-Fotografie: Aubrey Powell (77) und Anton Corbijn (68), der 2022 mit „Squaring the Circle“ eine große Film-Doku über Hipgnosis in die Programmkinos brachte. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Dafür stand vor allem das verquere Genie Storm Thorgerson (1944 bis 2013), von Peter Gabriel so prägnant wie treffend „der Wilde“ genannt. Seine norwegischen Eltern hatten für den Londoner den idealen Vornamen gewählt: Thorgersons Temperament war kein lindes Lüftchen, sondern stürmisch aufbrausend – selbst gegenüber seiner Kundschaft aus musikalischen Jung-Millionären. „Man wurde beleidigt, verlacht, unterhalten und gefordert“, erinnerte sich der einstige Genesis-Sänger Gabriel. Peter Christopherson (1955 bis 2010), dem jüngsten des Trios, „fiel die Rolle des Schlichters zu“, schreibt „Po“ im prallen Hipgnosis-Katalog, „denn Storm interessierte sich kein bisschen dafür, wie Dinge üblicherweise gehandhabt werden“.

Bevor es Photoshop gab, waren Hipgnosis die Meister der Scheren und Kleber.
Aubrey Powell - (77) Hipgnosis-Gründer und Fotograf

Doch gerade dieses von allen Regeln des Business befreite Denken – kein Glamour, keine freundlichen Posen – sorgte für Inszenierungen, die damals bei fast jedem LP-Klappcover die Frage aufwarfen: Wie haben sie das bloß gemacht? „Bevor es Photoshop gab, waren Hipgnosis die Meister der Scheren und Kleber“, meint „Po“ lässig. Effekte, die sich heutzutage in wenigen Minuten aufs Bild zaubern lassen, waren in den 1970ern das Produkt stunden- oder tagelanger Arbeit. Man denke nur an die treuesten Kunden, nämlich Pink Floyd, für deren multimillionenfach verkaufte Erfolgsalben der liebenswürdige Aubrey Powell einen Stuntman in Brand setzen ließ oder mit einem pinken Ballon-Schwein, das sich freiheitsliebend losgerissen hatte, den Luftverkehr über London in Wallung versetzte.

Das pinke Schweinchen fliegt zwischen den gewaltigen Schloten der Battersea Power Station am Londoner Themseufer: Dieser Design-Coup war 1977 keine Foto-Montage – sondern ein gewagter Eingriff in den Luftraum.
Das pinke Schweinchen fliegt zwischen den gewaltigen Schloten der Battersea Power Station am Londoner Themseufer: Dieser Design-Coup war 1977 keine Foto-Montage – sondern ein gewagter Eingriff in den Luftraum. © Pink Floyd Music Ltd | Hipgnosis

Dabei arbeiteten die Londoner Designer nicht allein für die surrealen Effekten zugeneigten Bands des Progressive Rock, sondern bebilderten selbst die Werke ruppiger Hardrocker: Zum internationalen Einstand der australischen Rüpel von AC/DC mit „Dirty Deeds Done Dirt Cheap“ setzten sie 1974 eine Kollektion von Los Angelenos ins Bild: den Leder-Rocker, die alte Dame mit der edlen Brosche an ihrer Seidenbluse, den dubiosen Typen im dreiteiligen Anzug, dazu einen schüchtern nach unten blickenden Dobermann. Und allen verpasste Hipgnosis schwarze Balken über den Augen (nur nicht dem Dobermann). Beantwortet dieses Cover eines Debütalbums die Frage, welche Art Musik da drin stecken mag?

Man wurde beleidigt, verlacht, unterhalten und gefordert.
Peter Gabriel - (73) Für den Rockstar schuf Hipgnosis die Hüllen seiner ersten Solo-LPs

Die Truppe aus der Denmark Street in Soho machte sich eher einen Spaß daraus, ihrer Kundschaft amüsante bis verstörende Rätsel aufzugeben. Aubrey Powell schwärmt von der „ungeheuer großen Spielfläche zwölf Zoll im Quadrat“. Diese 30,48 mal 30,48 Zentimeter verdoppelten die Designer gerne mit Aufklapp-Covern oder Extras vom üppigen Booklet bis zu in die Hülle gefalteten Postern. Wer heute vom zillionenfach verkauften „Dark Side“-Album eine Erstauflage in kompletter, unversehrter Ausstattung mit allen Gimmicks besitzt, könnte für diese 1973er LP eine vierstellige Euro-Summe verlangen.

Der mit ihrer „Vinyl“-Schau bereits Plattencover-erfahrenen Ludwiggalerie, die – nach Stationen in Berlin und Hamburg – nun die „Hipgnosis. Breathe“-Schau ins Große Schloss holt, liegt natürlich weniger an „Wertanlagen“, sondern mehr an den teils skurrilen Entstehungsprozessen vor und hinter der Hasselblad-Kamera: seien es verworfene Designs oder jene Ursprungs-Fotos, aus denen Powell, Thorgerson und Co. ganze Bild-Erzählungen komponierten. Geradezu leitmotivisch steht dafür der vierteilige „Fotoroman“ auf Vorder- und Rückseite der LP „How Dare You?“ von 10cc, übersetzt: „Wie können Sie es wagen?“ Sie wagten es einfach.