Essen. Nach der Tournee 2016 erinnerte AC/DC an einen Scherbenhaufen. Doch die Band hat sich noch einmal berappelt: „Power Up“ heißt ihr neues Album.

Für Angus Young war 2017 „das schlimmste Jahr meines Lebens“, wie er in einem US-Interview verrät. Erst starb sein ältester Bruder George, Mitbegründer der legendären Easybeats und Produzent der ersten sieben AC/DC-Alben, dann – nur drei Wochen später – sein Bruder Malcolm an den Folgen von Demenz. Ein Verlust, der den Mann mit den Schuluniformen und den bluesigen Powerriffs, ziemlich getroffen hat: „Das waren Menschen, die immer für mich da waren. Sie so kurz hintereinander zu verlieren, war heftig. Aber: Als Malcolm noch reden konnte, meinte er: ,Mach dir keine Sorgen, ihr kommt auch ohne mich klar. Im Geist werde ich immer bei euch sein.’“

Worte, die Angus als Aufforderung und Legitimation zum Weitermachen verstand. Und dazu, Malcolm – dem eigentlichen Begründer von AC/DC – ein musikalisches Denkmal zu setzen. So, wie er es 1980 mit „Back In Black“ gemacht hatte – der Hommage an Ex-Sänger Bon Scott und mit 50 Millionen verkauften Alben eines der erfolgreichsten der Rockmusik. Ob „Power Up“, so der Titel des neuen Epos, das am Freitag erscheint, an solche Zahlen anzuknüpfen vermag, scheint angesichts der gegenwärtigen Musikindustrie fraglich.

Erdiger, energetischer Hardrock mit starken Blues-Einflüssen

Doch musikalisch ist es genau das, was die Fans erwarten: Ein Dutzend Songs, das erdigen, energetischen Hardrock mit starken Blues-Einflüssen, hymnischen Refrains, Reibeisengesang und unwiderstehlichen Power-Akkorden aufweist – aber keine Balladen und erst recht keine Experimente: „Es ist die Essenz von AC/DC“, philosophiert Brian Johnson. „Es sind Songs, die direkt ins Mark gehen, die man leicht mitsingen kann und die Eier haben“, so der Mann mit der Schiebermütze.

Geschrieben wurden sie bereits 2007 bis 2014 – von Angus und Malcolm, für die Alben „Black Ice“ und „Rock Or Bust“. Doch weil sie keine Verwendung fanden, wanderten sie erst einmal ins Archiv. „Das war gängige Praxis bei uns – wir haben immer mehr geschrieben, als wir für ein Album brauchten. Und das haben wir sorgfältig archiviert, um jederzeit darauf zugreifen zu können und immer etwas in Reserve zu haben. So haben sich über die Jahre hunderte von Song-Ideen angesammelt, mit denen sich noch etliche Alben füllen ließen. Das heißt nicht, dass ich das vorhabe, aber es hat die Sache diesmal extrem einfach gemacht: Ich musste nur das herauspicken, was mir am besten gefiel.“

Noch keine Zeit fürs Rentnerdasein

Das Hauptproblem, so Angus, bestand vielmehr darin, die Band wiederzusammenzusetzen beziehungsweise ein neues Line-Up zu rekrutieren. Doch dann wurde die drohende Haftstrafe für Drummer Phil Rudd (wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz und angeblicher Morddrohungen) in acht Monate Hausarrest umgewandelt, der heute 66-Jährige unterzog sich einer Entziehungskur und arbeitete an seiner Fitness. Anschließend meldete sich Johnson als genesen zurück. Er hatte mit einem amerikanischen Spezialisten ein In-Ohr-Gerät entwickelt, das die Knochenstruktur des menschlichen Schädels als Empfänger nutzt – und dadurch seine Hörfähigkeit steigert. „Ich war zwischenzeitlich fast taub. Ich konnte nichts mehr hören – nicht einmal laute Gitarren. Deswegen musste ich die letzte Tour abbrechen, was mir keineswegs leichtgefallen ist. Aber jetzt bin ich wieder einsatzfähig – und zum Glück geht es weiter.“ Denn auch Cliff Williams hat sich bereiterklärt, seinen Rücktritt aus der Band zurückzuziehen und das Rentnerdasein zu vertagen: „Ich liebe es, mit diesen Jungs zu spielen – wie sollte ich da ,Nein’ sagen?“

Somit wagten AC/DC im Herbst 2018 das, womit niemand mehr gerechnet hatte: Sie begannen im kanadischen Vancouver mit den Aufnahmen zu Album Numero 17. An den Reglern: Produzent Brendan O’Brien, der seit den späten 2000ern als sechstes Bandmitglied gilt. Das Ergebnis kann sich hören lassen: Für eine Gruppe, die inzwischen stolze 337 Jahre zählt, klingen sie immer noch bissig und kämpferisch, haben nach wie vor Power und Leidenschaft und sind einfach unschlagbar in dem, was sie da tun: Rauer, dreckiger Hardrock mit Massenappeal.

AC/DC haben inzwischen durchaus museale Ambitionen

Paradebeispiel: Die erste Single „Shot In The Dark“. Ein frivoler, kleiner Song übers Trinken, dem die Band keineswegs abgeneigt ist, und der sich sofort im Langzeitgedächtnis festsetzt. Das gilt auch für „Money Shot“ – über das eine, ganz besondere Motiv, das bei Fotosessions entsteht, und für den Karriere-Rückblick „Through The Mist Of Time“, den Brian auf gewohnt launige Weise erläutert: „Wir machen das schon so lange, dass wir ein Museum füllen könnten – und vielleicht selbst zu einem verfluchten Museumsstück geworden sind. Wir haben gute und schlechte Zeiten erlebt, Meisterwerke und nicht ganz so tolle Sachen vollbracht, aber wir machen immer weiter. Und irgendwann, was wir wahrscheinlich nicht mehr erleben werden, hängt man uns neben die ganz großen Meister – neben Picasso oder Rembrandt.“

Ginge es nach AC/DC, würden sie das neue Werk auch gleich wieder auf die Bühne bringen. Weil das Teil ihres künstlerischen Ausdrucks, wenn nicht gar ihre Mission ist. „Wir wollten eigentlich ein paar kleinere Shows zum Einstimmen und Warmwerden spielen“, so Brian. „Doch dann brach die Pandemie aus und seitdem liegen alle Pläne auf Eis. Wenn es wieder losgeht, werden wir in vorderster Front dabeisein – wir werden dieses Baby starten und es wird richtig abgehen.“ Eine charmante Drohung…