Oberhausen. Das Literaturhaus Oberhausen ist eine feste Konstante im Ruhrgebiet. 2024 liest unter anderem eine Dauerkandidatin für den Deutschen Buchpreis.
Unter den Literaturhäusern des Ruhrgebiets ist Oberhausen inzwischen die geschätzte und - auch mit gutem Rat gefragte - Konstante. Denn unterdessen verabschiedete sich das Literaturhaus Herne aus seinem noblen Domizil, während sich im größeren Bochum ein neues Literaturhaus etablieren will - und auch schon am Altmarkt nach ein paar Tipps für engagierte Gründer fragte. „Wir sind Ehrenamtliche“, betont Hartmut Kowsky-Kawelke, der Vorsitzende des rührigen kleinen Vereins, „und keine konstant geförderte Institution“. Der Gedanke, erst einmal einen hauptamtlichen Geschäftsführer einzustellen, lag den Oberhausener Literaturfans stets fern.
Denn gute Programme gedeihen im steten Bemühen, dank kontinuierlicher Termine - und der inzwischen stattlich angewachsenen Kontakte in die Szene. „Wir erhalten im Jahr 80 bis 90 Lesungs-Angebote“, sagt Kowsky-Kawelke gelassen. Aus diesem Füllhorn lässt sich ein Quartalsprogramm auswählen, das fast unabsichtlich von Januar bis März 2024 zu einem „Preisträgerprogramm“ mit vier Glanzlichtern geraten ist. Los geht‘s am Freitag, 12. Januar, im Gdanska Theater mit Annika Büsing, die sich mit ihrem „Nordstadt“-Roman den 2022er Literaturpreis Ruhr verdient hatte. Diesen Überraschungscoup präsentierte die Bochumer Gymnasiallehrerin für Deutsch und Religion einem Oberhausener Publikum bereits in der Ruhrwerkstatt. Nun geht‘s um Annika Büsings zweites Werk „Koller“, das literarische Pendant zu einem rasanten Roadmovie zweier sehr unterschiedlicher „Buddies“. Der Titelheld, der eigentlich Kolja heißt und - nomen est omen - immer mit dem Kopf durch die Wand will, reist mit dem zögerlich-nachdenklichen Ich-Erzähler Chris im Crash-Kurs an die Ostsee.
Ebenfalls am 12. Januar steigt im Theater Oberhausen die Uraufführung der Bühnenfassung von „Serenade für Nadja“ nach einem Roman des türkischen Bestseller-Autors und vielfach kreativen Zülfü Livaneli. Der 77-Jährige aus Konya, in seiner Heimat auch berühmt als Komponist, Sänger und Filmregisseur, will bei der Premiere am Will-Quadflieg-Platz dabei sein. Im Literaturhaus liest am Freitag, 26. Januar, dann Regina Leenders vom Schauspiel-Ensemble aus der „Serenade“: Roman und Schauspiel erzählen vom Untergang des Schiffes „Struma“ 1942 vor der türkischen Küste. Damals ertranken im Bosporus fast 800 jüdische Flüchtlinge, die von der während des Weltkriegs neutralen Türkei nicht ins Land - und von den Briten nicht nach Palästina gelassen wurden: eines von etlichen Tabus der türkischen Geschichtsschreibung.
Übrigens bietet das Theater Oberhausen - kleiner Vorgriff auf den 10. Mai - dem Literaturhaus wieder das Große Haus für eine besonders prominent besetzte Lesung. Den Autor verrät Hartmut Kowsky-Kawelke noch nicht - nur, dass es nicht erneut Ralf Rothmann sein wird.
Gleich dreifach fand sich der Name Dagmar Leupold in den letzten Jahren auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis. Und die frühere Leiterin des Tübinger „Studios Literatur und Theater“ präsentiert am Freitag, 23. Februar, wie passend, eine stille Geschichte vom Theater: „Dagegen die Elefanten“ erzählt von Herrn Harald, einem Garderobier, und seinem stillen, zurückgezogenen Leben. Bis er eines Tages einen in der Garderobe vergessenen Mantel nach Hinweisen auf seinen Besitzer durchsucht. Die FAZ-Kritikerin bewunderte die große Gabe der 68-jährigen Autorin, „aus dem scheinbaren Nichts Funken zu schlagen“.
Für ein funkenschlagendes Fanal sorgt auch der Frauensalon im Literaturhaus mit dem wohl berühmtesten Zitat der Pazifistin Bertha von Suttner: „Die Waffen nieder!“ ist das Motto am Freitag, 8. März. Zu erwarten ist ein nachdenklicher Abend „angesichts der Weltlage“, aber, wie Hartmut Kowsky-Kawelke ergänzt, „auch ein Abend voller Elan“, der von der Frau als Kriegsopfer, Kriegsbeute, Flüchtende oder Kämpferin erzählt.
Der größte Coup des literarischen Jahres 2023 glückte einem kleinen Verlag vom Niederrhein und seinem Autoren mit „Unser Deutschlandmärchen“: Der gelernte Werkzeugmechaniker und Schauspieler Dinçer Güçyeter gründete den „Elif“-Verlag und gewann mit seiner schillernden Chronik eines Jahrhunderts den Preis der Leipziger Buchmesse. Am Freitag, 22. März, liest er aus seiner vielstimmigen Familiengeschichte. Frauen mehrerer Generationen und der in Almanya geborene Sohn erinnern sich in oft mythischen, kräftigen Bildern und in Träumen, Gebeten, sogar Chören. Dinçer Güçyeter erzählt vom Schicksal türkischer Griechen, von archaischer Verwurzelung in anatolischem Leben und von jener Herausforderung, der sich Gastarbeiter in Deutschland stellten.
Starke Literatur-Abende für 10 Euro
Schauplatz der Lesungen und Diskussionen ist stets das Gdanska Theater, Gutenbergstraße 8, Beginn jeweils um 19 Uhr. Für die meisten Termine des Quartals gilt ein Eintrittpreis von 10 Euro, ermäßigt 5 Euro, nur beim letzten Abend mit Dinçer Güçyeters „Deutschlandmärchen“ sind‘s 15 Euro, ermäßigt 7,50 Euro. Reservierungen online über literaturhaus-oberhausen.de