Oberhausen. GHH Radsatz baut tonnenschwere Räder für Straßenbahnen. Der Bedarf steigt, die Kasse klingelt: In Sterkrade wurde jetzt eine neue Halle eröffnet.

Es läuft bei GHH Radsatz, obwohl es heißen sollte, es rollt bei der Firma, die als letztes verbliebenes produzierendes Gewerbe in Oberhausen den Traditionsnamen Gutehoffnungshütte im Namen trägt. Kein Wunder, rollt doch die halbe Verkehrswende Europas hin zu mehr Schienenverkehr auf Rädern aus Oberhausen.

Volle Auftragsbücher, Rekordumsätze, eine neue Versandhalle und genug Bewerbungen von Fachkräften sind Gründe genug für Patrick Keppler als Geschäftsführer mit den 280 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ihren Familien am vergangenen Samstag ein großes Sommerfest zu feiern.

Neue Werkshalle ist bereits der zweite Ausbau

Das Oberhausener Traditionsunternehmen eröffnete eine neue Werkshalle auf dem Gelände in Sterkrade, nach 2017 bereits die zweite Erweiterung mit einem Anbau. GHH Radsatz entschied sich einmal mehr für Investitionen in den Standort Oberhausen und baute für zwei Millionen Euro eine Halle für die versandfertigen Produkte. Bei der Gelegenheit erhielten die Beschäftigten der Versandabteilung auch neue Büros im Gebäude. 2020 begann GHH Radsatz mit den Planungen, bekam im vergangenen Jahr die Baugenehmigung und jetzt war der Zeitpunkt gekommen, die Halle in Niedrigenergie-Bauweise zu eröffnen.

Auf 1200 Quadratmetern kann die Produktion von drei Wochen gelagert werden, ein enormer Fortschritt zu den Bedingungen vorher, wo komplexe Bauteile wie Radsätze für Straßenbahnen provisorisch aufbewahrt werden mussten. Der fehlende Lagerplatz führte, so Patrick Keppler, zu „Verstopfungen“ in der Produktionskette, denn GHH Radsatz ist auf Erfolgskurs, fertigt mehr Bauteile und brauchte dringend Platz für die riesigen Räder, Radsätze und anderen Produkte, die auf dem Weg zum Kunden sind.

Für zwei Millionen Euro baute GHH Radsatz eine neue Werkshalle in Oberhausen-Sterkrade.
Für zwei Millionen Euro baute GHH Radsatz eine neue Werkshalle in Oberhausen-Sterkrade. © Funke Foto Services | Frank Oppitz

Familienfest auf dem Firmengelände

Hüpfburg und Eiswagen sind auf dem Industriegelände an der Gartenstraße eher ungewöhnlich, aber bei einem Sommerfest für die Familien der Beschäftigten doch kurzzeitig erklärbar. Kinder konnten sehen, wo Vater oder Mutter arbeitet, hatten Gelegenheit zu erfahren, was ein Radsatz ist, wie eine Welle gefertigt wird und warum die penible Kontrolle der tonnenschweren Bauteile für den Schienenverkehr so wichtig ist. Das Unternehmen organisierte im Halbstundentakt Führungen durch die Werkshallen. Dabei stellte die Firma ein beeindruckendes Stück Oberhausener Industrie vor, auch wenn, wie ein Vater sagte, sein Sohn die Maschinen gerne in Arbeit gesehen hätte, was aus Sicherheitsgründen selbstverständlich unmöglich war.

GHH Radsatz aus Oberhausen erzielt Umsatz von über 100 Millionen Euro

Die Einladung an die Familien sollte Werbung für die eigene Firma sein. Vielleicht sagen die Kinder dann, so Patrick Keppler: „Mein Papa arbeitet beim Champions-League-Sieger der Radsatzhersteller.“ Das ist in der Analogie vielleicht etwas sperrig, aber nicht falsch. GHH Radsatz hat einen Marktanteil von 50 Prozent bei den Rädern für Straßenbahnen. Damit sind die Oberhausener die Nummer 1 in Europa und damit ganz vorne in der ungeschriebenen Champions-League der Branche.

Neben der aktuellen Einweihung feiert GHH Radsatz handfeste wirtschaftliche Erfolge. „Den Moment genießen“, nannte Patrick Keppler das und meinte einen Rekord-Auftragseingang und, trotz des Fachkräftemangels anderswo, eine hohe Attraktivität für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In Sterkrade erwirtschaftete das Unternehmen im vergangenen Geschäftsjahr einen Umsatz von 103 Millionen Euro, mit einem Gewinn von sechs Millionen Euro. Der Betrieb produzierte 18.000 Räder, 5.000 Wellen und 2.300 Radsätze. Hinzu kamen noch 43.000 weitere Komponenten, damit Fernzüge und Straßenbahnen sicher fahren.

Boom von Straßenbahnen als Erfolgsfaktor

Aus der neuen Versandhalle werden ab sofort die 250 meist öffentlichen Verkehrsbetriebe in 50 Ländern beliefert, auf allen Kontinenten. Für dieses Jahr erwartet GHH Radsatz einen Umsatz von 110 Millionen Euro, eine deutliche Steigerung von sechs Prozent in einer Zeit steigender Energiepreise, Lieferkettenschwierigkeiten und Inflation. Grund genug für ein Lob des Oberbürgermeisters Daniel Schranz: „Wir sind stolz auf Sie und ihr Unternehmen“, sagte er in seiner Begrüßung und verwies auf die lange Tradition der GHH in Oberhausen.

Lob vom Oberbürgermeister: Daniel Schranz im Gespräch mit Geschäftsführer Patrick Keppler.
Lob vom Oberbürgermeister: Daniel Schranz im Gespräch mit Geschäftsführer Patrick Keppler. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Der Erfolg der Firma, die seit 2014 zum tschechischen Bonatrans-Konzern gehört, beruht auf ihrem hochspezialisierten Geschäftsmodell und dem Boom von Straßenbahnen, Experten sprechen gerne von Niederflurtechnik. Damit ist nichts anderes gemeint als die tiefen Einstiege von Straßenbahnen im Gegensatz zu den hohen bei Zügen des Fernverkehrs. Auf den ersten Blick erscheint der Unterschied marginal, doch erfordern beide Schienensysteme eine vollständig andere Bauweise, einmal als Radsatz mit einer gemeinsamen Achse, dann als Losradsatz, bei der beide Räder eigene Mini-Achsen haben.

GHH Radsatz aus Oberhausen: Räder schaffen 15 Millionen Kilometer

Man sieht es den tonnenschweren Radsätzen nicht an, aber sie bestehen aus mehreren Hundert Bauteilen, sind oft Spezialanfertigungen und vor allem sind sie Hochsicherheitstechnik. Die Radsätze sind ausgelegt für eine Laufleistung von 15 Millionen Kilometer, damit fahren sie 375-mal um die Erde. Es sind die höchstbelasteten Teile eines Zuges oder einer Straßenbahn und hier darf nichts kaputtgehen. Nie. Sonst kommt es zu Tragödien wie beim Zugunglück in Eschede, wo ein Riss in einem Radreifen, der nicht von der GHH Radsatz stammte, die Ursache für 101 Tote und 100 Verletzte war. Damit das nicht passiert, prüfen die Spezialisten die Bauteile mit ihren engen Toleranzen nach jedem Schritt genau und am Ende gleich doppelt, mit Ultraschall und mit Magnetpulver, das feinste Risse sichtbar werden lässt.

Patrick Keppler blickt optimistisch in die Zukunft, schließlich bietet GHH Radsatz das Vollsortiment für den Schienenverkehr: Von der Konstruktion über die Fertigung, Montage, zerstörungsfreie Prüfung bis hin zu Ersatzteilen, Instandhaltung und Überholung von Straßenbahnen, über S-Bahnen bis hin zum Hochgeschwindigkeitszug. Verkehrswende made in Oberhausen.