Oberhausen. Im Interview äußert sich Oberhausens CDU-Ratsfraktionschefin Simone-Tatjana Stehr deutlich über Klima-Kleber, Häuslebauer und Heizungsverbote.
Seit 2015 leitet Simone-Tatjana Stehr (52) die Fraktion der CDU im Rat der Stadt Oberhausen. Die Lehrerin für Deutsch und Politik, gebürtige Oberhausenerin, übernahm damals das Amt von Daniel Schranz, der zum Oberbürgermeister gewählt wurde. Stehr ist im Hauptberuf Leiterin des Zentrums für schulpraktische Lehrerausbildung (Lehrerseminar) in Oberhausen und lebt in Königshardt.
Frau Stehr, Sie setzen sich für den Ausbau des Oberhausener Autobahnkreuzes A3/A2/A516 ein – und sorgen damit für noch mehr klimaschädlichen Autoverkehr. Warum schützen Sie das Klima nicht besser?
Simone-Tatjana Stehr: Das sehe ich völlig anders. Unser Einsatz für den Autobahn-Ausbau ist doch aktiver Klimaschutz. Denn dadurch fließt der Verkehr, der sich heute an vielen Stellen staut. Stehender Verkehr ist für das Klima deutlich belastender als fließender. Für uns geht es nicht darum, das Auto zu verdrängen, sondern wir wollen Angebote für jede Art der Mobilität machen. In der heutigen Arbeitswelt müssen Leute mobiler sein -- und nicht jedes Ziel erreicht man zu Fuß oder mit dem Fahrrad.
Das ist korrekt, aber es müssen für den Autobahn-Ausbau 5000 Bäume gefällt werden – und die werden zum großen Teil nicht in Oberhausen nachgepflanzt.
Das ist doch eine Milchmädchen-Rechnung: Gutes Klima hört ja nicht an der Stadtgrenze von Oberhausen auf. Entscheidend ist, dass in der Bevölkerung mittlerweile ein Bewusstsein für den Klimaschutz geschaffen wurde. Bei allen Entscheidungen muss zwar der Klimaschutz mitbedacht werden, aber das bedeutet nicht, dass ich das Klima rette, wenn ich jetzt keine einzige Straße mehr ausbaue. Das wäre ein Trugschluss!
Oberhausen ist allerdings die zweitdicht besiedelte Stadt des Ruhrgebiets. Benötigen wir da nicht einen grundsätzlichen Baustopp im Stadtgebiet für Grünflächen, um weitere umweltschädliche Versiegelung zu stoppen?
Ich halte nichts von solchen Verbotsstrukturen. Ein Baustopp kann nicht die Lösung für die Probleme sein, die wir haben. Wir müssen allerdings intelligenter bauen und Flächen intelligent entsiegeln. Als Beispiele nenne ich unseren Vorstoß für Pflaster, das Regen versickern lässt, die Entsiegelungsoffensive für die Schulhöfe oder das Werben bei Hauseigentümern, auf Steingärten zu verzichten. Das sind nur scheinbar kleine Maßnahmen, in der Summe sind sie sehr wirksam und auf dem Weg zum Ziel Klimaschutz unverzichtbar.
Allerdings bedroht die Klimakatastrophe tatsächlich die Menschheit – und deshalb gibt es die Gruppe „Letzte Generation“ von jungen Menschen. Was halten Sie von dem Protest, sich auf der Straße festzukleben?
Ich bedauere diese Protestform, weil wir nicht mehr übers Klima reden, sondern über die Methode des Protestes. Ich finde es tragisch, dass das eigentliche Thema genau dadurch in den Hintergrund gerückt ist und sich die Menschen sogar abwenden.
Stufen Sie diese Protestform nicht als Straftat ein?
Ja natürlich ist das eine Straftat, wenn man wichtige Verkehrswege blockiert. Denn auf Straßen fahren nicht nur Menschen in den Urlaub, sondern das sind wichtige Versorgungswege für die ganze Stadt, für das ganze Land – beispielsweise auch für Rettungswagen, die im Notfall dann nicht helfen können.
Deutschland muss unbedingt mehr für Klimaschutz tun, auch im Gebäudesektor. Die Ampelkoalition im Bund verhängt ein faktisches Verbot von neuen Gas- und Ölheizungen, viele Hauseigentümer von Altbauten sind jetzt gezwungen, ihre Häuser teuer zu sanieren. Ist das der richtige Weg zu mehr Klimaschutz?
Ich nehme wahr, dass dies ein sehr umstrittener Weg ist, weil die Betroffenen Sorgen und Ängste haben. Viele Menschen sind nach den Stapelkrisen Pandemie, Ukraine-Krieg und Inflation sehr verunsichert. Dass wir das Klima besser schützen müssen, ist vielen bewusst. Aber wenn man die Bürger mit neuen Vorschriften für Altbauten überzieht, dann muss man sie auch finanziell unterstützen. Es reicht nicht, einfach zu sagen, da sind Fördermittel zu beantragen, wenn man für das Ausfüllen der Formulare mindestens drei Volkshochschulkurse besucht haben muss.
In Oberhausen regiert nun seit acht Jahren Oberbürgermeister Daniel Schranz. Wo sehen Sie die größten Versäumnisse der Arbeit Ihres Parteifreundes?
Nirgendwo. Man kann in einer Stadt nie alle glücklich und zufrieden machen. Seit Daniel Schranz Oberbürgermeister ist, sind viele Themen gut vorangebracht worden. Dann ist weltweit eine Flut an Katastrophen passiert: Flüchtlingskrise, Klimakrise, Pandemie, Ukraine, Terrorismus. Die Folgen für unsere Stadt daraus sind von der Stadtspitze unaufgeregt und professionell gemanagt worden und alles andere ist eben nicht liegengeblieben, sondern wurde weiter vorangetrieben. Strukturierte Bewältigung von Herausforderungen – das ist ein Merkmal der Amtszeit von Daniel Schranz. Die Wirtschaftsentwicklung hat er bei Amtsantritt 2015 zur Chefsache gemacht – und es zeigen sich hier viele Erfolge, nicht nur durch die Ansiedlung der Logistik-Zentren von Edeka, Segro und Picnic oder Freizeitattraktionen wie Topgolf.
Ich versuche es noch einmal anders: Wenn Sie jetzt in die Zukunft gucken – was muss die Oberhausener Stadtspitze in den nächsten Jahren vordringlich anpacken?
Wir müssen das Thema Wirtschaft und Arbeitsplätze weiter nach vorne bringen und mehr Platz für neue Wohnungen und Eigenheime schaffen. Wenn sich hier mehr Unternehmen ansiedeln, steigt auch die Nachfrage nach Wohnraum. Viele Menschen wohnen gerne in der Stadt, in der sie arbeiten und könnten bei entsprechender Nähe dann auch mit dem Rad zur Arbeit fahren. Wir müssen ebenfalls an den Themen Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung weiterarbeiten, die Stadtentwicklung neu denken und die Bildungslandschaft dieser Stadt als Markenkern ausweisen.
Oberhausens Spielräume sind durch eine Zwei-Milliarden-Euro schwere Altschuldenlast äußerst gering. Jahrelang hat die CDU im Bund und Land keine Anstalten gemacht, überschuldeten Städten zu helfen. Haben Ihre Parteifreunde versagt?
Bisher ist keine einzige Landes- oder Bundesregierung dem Thema, hohe Schuldenlast der Ruhrgebietsstädte, so gerecht geworden, dass Städte wie Oberhausen wieder die Möglichkeit haben, Luft zu holen. Das ist ein gesamtpolitisches Versagen. Deshalb werden wir auch nicht müde, darauf zu pochen, dass wir eine Altschuldenlösung für Oberhausen dringend brauchen. Aber die letzten Jahre haben auch gezeigt, dass in den Amtszeiten von Oberbürgermeister Daniel Schranz gut gewirtschaftet wurde: Die Finanzsituation ist zum siebten Mal hintereinander besser als in dem Vierteljahrhundert davor. Außerdem investiert Oberhausen auch in diesem Jahr Millionen - mit aktuell 140 Millionen Euro sogar sehr viel mehr als in früheren Jahren. Und es ist in den vergangenen drei Jahren gelungen, immens viele Fördergelder abzurufen.
In der Landespolitik bilden CDU und Grüne eine geräuschlose Koalition, in Oberhausen entwickeln sich die beiden Parteien auseinander und brachten kein Bündnis nach der Kommunalwahl zustande. Wer hat daran schuld?
Die Schuldfrage stellt sich mir nicht, die ist nicht zielführend. Die Vorsitzende der Grünen-Ratsfraktion, Steffi Opitz, hat ja im Interview gesagt, die Kooperationsgespräche seien an fast allen Stellen gescheitert….
…und die CDU sei zu konservativ.
Ob die CDU konservativ ist oder nicht, das ist kein Kriterium, um das Nicht-Gelingen zu beschreiben. Aber Steffi Opitz pauschale, undifferenzierte Antwort, gescheitert ist es irgendwie an allem, zeigt, woran es tatsächlich gescheitert ist: Es gab bei den Grünen keine klare Kontur, kein klares Profil. Vielleicht gab es auch keine Erfahrung für solche Gespräche. Das Team der Grünen hat sich bedauerlicherweise in vielen kleinen Themen verhakt und das große Ganze vollständig aus den Augen verloren.
Sie haben 2015 Daniel Schranz als CDU-Fraktionsvorsitzende abgelöst; seit der letzten Ratswahl sind zweieinhalb Jahre vergangen: Wenn Sie jetzt Ihre Halbzeitbilanz ziehen, worauf sind Sie besonders stolz?
Wir haben im Rat viele für unsere Heimatstadt wichtige Themen auf den Weg gebracht, darunter auch viele Klimaschutzvorhaben. So wollen wir die Dächer öffentlicher Gebäude begrünen, mehr klug bepflanzte Kreisverkehre statt Ampeln an Kreuzungen einrichten, mehr Bäume setzen und Sickerpflaster verlegen lassen. Wir sorgen dafür, dass das Thema Radwege nach vorne gebracht wird, und haben einen Ausschuss für Wirtschaft und Digitalisierung durchgesetzt. Da kein festes Bündnis im Rat existiert, müssen wir für alle Inhalte Mehrheiten suchen. Das ist mühsam, aber gelingt. Auch, weil eine andere Atmosphäre im Stadtrat herrscht als früher: Die demokratischen Parteien zeigen eine bessere Gesprächs- und Kompromissbereitschaft, vielleicht auch, weil drei Fraktionen von Frauen geführt werden.
Es gibt immer Bestrebungen, Tempo 30 auf allen Wohn- und Nebenstraßen einzuführen. Bisher gibt es hier mal Tempo 50, mal 30, mal 40. Sind Sie für eine einheitliche Tempo-30-Geschwindigkeit? Das wäre klimafreundlich.
Klimafreundlich ist es, wenn Verkehr fließt und nicht steht. Ich halte nichts von so einer flächendeckenden Tempo-30-Entscheidung, weil es nicht zeitgemäß ist, überall ohne Verkehrsgefahren Tempo 30 zu verordnen. Das behindert den gesamten Verkehr, auch für Fußgänger und Radfahrer. Vor Kitas, Schulen und Altenheimen halte ich Tempo 30 dagegen für sinnvoll und wichtig. Wir brauchen intelligentere und differenziertere Antworten. Wir müssen beispielsweise dafür sorgen, dass Autos nicht den ganzen Tag im Straßenraum herumstehen, um Entlastungen und Platz zu schaffen; deshalb wollen wir nach wie vor, dass die Stadt Quartiersparkhäuser errichtet.
Sie sind eine engagierte Politikerin und setzen sich für Ihre Heimatstadt ein. Würden Sie gerne Oberbürgermeisterin sein?
Nein.
Aber Sie hätten dann mehr Macht und können mehr gestalten.
Es ist gut, dass Daniel Schranz Oberbürgermeister ist. Ich habe ihn als Fraktionsvorsitzende gerne beerbt und kann in der Rolle gut gestalten. Diese Konstellation ist erfolgreich.
Können Sie sich denn vorstellen, Bundestagsabgeordnete in Berlin zu werden?
Ich bin nicht in die Politik gegangen, um irgendeine Karriere zu machen, sondern um Themen zu bewegen. Ich würde mir wünschen, dass sich das auch fortsetzt - daraus ergeben sich dann in der Regel Aufgaben und Ziele.
Dann warten wir mal ab, was passiert. Vielen Dank für das Gespräch.