Oberhausen. Die Hingucker-Ausstellung der Gedenkhalle draußen im Kaisergarten erinnert bis Juni an „deutsche Sportidole zwischen Erfolg und Verfolgung“.

Im noch milchig-verhangenen Morgenlicht am Rhein-Herne-Kanal könnte man sie aus der Ferne für eine exzentrische Gruppe von Frühsportlern halten. Ihre Silhouetten verharren, wenige Schritte vor der beliebten „Slinky“-Brücke, in den unterschiedlichsten Posen: Da ist die elegante Fechterin im weißen Faltenrock, hebt der Boxer abwehrbereit die Arme, laufen Leichtathleten auf der Stelle oder holen zum Diskuswurf aus. Und ein Herr im dreiteiligen Anzug mit Monokel stützt sich lässig auf ein Tischchen voller Schachfiguren.

Dieser Emanuel Lasker war von 1894 bis 1921 mehr als ein Vierteljahrhundert Schachweltmeister – und wurde, wie die meisten seiner 16 Sportkolleginnen und Kollegen zum Verfolgten und Vertriebenen. Das Zentrum deutsche Sportgeschichte würdigt mit lebensgroßen „skulpturalen“ Fotografien sechs Sportlerinnen und elf Sportler und damit den großen Anteil jüdischer Athleten an der Entwicklung des modernen Sports in Deutschland. Als Nationalspieler, Welt- oder Europameister, als Olympiasieger oder Rekordhalter zählten sie zu Idolen ihrer Zeit. Die Gedenkhalle hat diese „Jewish Allstars“ für eine Hingucker-Ausstellung an ein besonders belebtes Eckchen des Kaisergartens geholt: zwischen Kiosk und Spielplatz, Kanal und Brücke passieren täglich wohl Hunderte jenes gepflasterte Areal, das jetzt die Bühne hergibt für ein spezielles athletisches Schaulaufen.

Zwei jüdische Olympioniken von 1936: Eishockey-Ass Rudi Ball war in Garmisch-Partenkirchen der Mittelpunkt des Nationalteams; Helene Mayer reiste aus Los Angeles nach Berlin, um für Deutschland zu fechten.
Zwei jüdische Olympioniken von 1936: Eishockey-Ass Rudi Ball war in Garmisch-Partenkirchen der Mittelpunkt des Nationalteams; Helene Mayer reiste aus Los Angeles nach Berlin, um für Deutschland zu fechten. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Die sportlichen Silhouetten sind lebensgroße und sturmfest aufgestellte Plexiglas-Formen, auf der Vorderseite bedruckt mit vergrößerten Foto-Reproduktionen. Auf der Rückseite sind’s lesenswerte Infotafeln mit Kurzbiografien – und mit weiteren historischen Fotos von beträchtlichem Charme. Dort sieht man dann die Tennisspielerin Nelly Neppach als mondäne junge Dame mit Bubikopf und Perlenkette. Doch als ihr Verein Tennis Borussia Berlin sie 1933 aus dem Kader ausschließt, nimmt sich die 35-Jährige das Leben.

Stimmen aus dem Exil warnten vor Olympia-Teilnahme

Andere verlassen NS-Deutschland – und lassen sich teils doch noch zurückrufen zu den Olympischen Spielen 1936. Bis heute den prominentesten Namen der „Jewish Allstars“ trägt die Fechterin Helene Mayer: Die Olympiasiegerin von Amsterdam 1928 und Fünftplatzierte von Los Angeles 1932 trat auch 1936 in Berlin für Deutschland auf die Planche und gewann die Silbermedaille im Florettfechten. Thomas Mann und andere prominente Stimmen des Exils baten Helene Mayer, die zu dieser Zeit bereits in den USA lebte, vergebens, nicht in den propagandistischen Dienst des NS-Regimes zu treten.

Das Schachtischchen von Emanuel Lasker ist zwar nur zweidimensional – doch sämtliche Foto-Skulpturen aus Plexiglas wurden gestern im Kaisergarten sturmfest abgestützt.
Das Schachtischchen von Emanuel Lasker ist zwar nur zweidimensional – doch sämtliche Foto-Skulpturen aus Plexiglas wurden gestern im Kaisergarten sturmfest abgestützt. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Ihrem lebensgroßen Bildnis gegenüber steht am Kanalufer der Halbschwergewichtsboxer Erich Seelig: Der Berliner lebte 1936 bereits in Atlantic City – und unterstützte nach Kräften die olympische Boykott-Bewegung. Offensiv ließ sich Seelig den Davidstern auf seine Sporthosen prägen.

Antreten gegen das unsportliche Intellektuellen-Klischee

Für ein kämpferisches jüdisches Selbstbewusstsein, das sich bewusst vom „Volk des Buches“ und seinem Intellektuellen-Klischee lösen wollte, hatte der Leistungssport eine hohe Bedeutung. Seit 1921 bestand die „Makkabi-Weltunion“ als Weltsportverband jüdischer Sportler, benannt nach jenen Makkabäern, die mit ihrem Aufstand 2000 Jahre zuvor ein jüdisches Königreich erkämpft hatten. In dieser Tradition sahen sich auch viele der seit den 1920ern nach Palästina auswandernden Pioniere.

Gottfried Fuchs’ unerreichter Stürmer-Rekord

Andere entkamen der NS-Tyrannei nach Südafrika, wie die Leichtathletik-Allrounderin Martha Jacob, oder wurden zu Kanadiern, wie Gottfried Fuchs, der 1910 in Stockholm einen bis heute unerreichten Rekord aufstellte: Der Stürmerstar des Karlsruher FV erzielte im Fußball-Länderspiel gegen Russland zehn Tore. Das spätere Bundestrainer-Idol Sepp Herberger bewunderte den acht Jahre Älteren.

Und heute? Die sportliche Gegenwart repräsentiert Sarah Poewe. Als 17-Jährige übersiedelte die Schwimmerin aus Kapstadt im Jahr 2000 ins Heimatland ihres Vaters – und stand 2004 bei den Spielen in Athen mit Franziska van Almsick auf dem Siegerpodest der Staffel: Ihre Bronzemedaille war das erste olympische Edelmetall für eine deutsche jüdische Athletin seit 1936.

Hübsches Kartenset erzählt von den „Jewish Allstars“

Zur Eröffnung der gemeinsamen Ausstellung von Gedenkhalle, Awo und Stadtsportbund laden die Gastgeber am Dienstag, 18. April, um 17 Uhr ins Standesamt-Foyer im „Kleinen Schloss“ ein – wenige Schritte entfernt vom Freilicht-Schauplatz am Kanalufer. Eine Einführung gibt dann der Sporthistoriker Dr. Henry Wahlig von der DFB-Stiftung Deutsches Fußballmuseum.

Auch die Finissage am Freitag, 2. Juni, um 17 Uhr gestalten die Ausstellungsmacher mit Vorträgen und Podiumsgespräch sowie einem Gast vom jüdischen Makkabi-Sportverband.

Statt eines Kataloges hat die Bundeszentrale für politische Bildung ein schön gestaltetes Kartenset plus Begleitheft zu den „Jewish Allstars“ herausgegeben, erhältlich für nur 1,50 Euro in der Gedenkhalle.