Oberhausen. Sie proben fürs Rampenlicht. Sie singen für eine steile Karriere. Beim TV-Casting im Bero-Zentrum benötigten Teilnehmer aber zunächst: Geduld.
Die Dame mit dem gefüllten Supermarkt-Einkaufswagen ist irritiert. „Singt dort eine Berühmtheit?“, möchte sie von ihrem Begleiter wissen und lünkert über die Schultern einer Menschentraube. Im Foyer des Bero-Zentrums hasten an normalen Samstagen die Einkaufstütenträger gen Parkplatz. Diesmal dringt die Ballade „Stay“ des barbadischen Pop-Stars Rihanna aus aufgedrehten Musik-Boxen.
Und ja. Wer hier in der immer weiter anwachsenden Warteschlange ansteht, ist wirklich gekommen, um zu bleiben. Sie möchten ihren ersten Moment im Rampenlicht am liebsten konservieren. Auch wenn dieser zwischen Mode-Boutiquen, Elektromarkt und Döner-Imbiss nur Minuten dauert.
Die TV-Produktionsfirma Ufa wirft für fünf Stunden ihre Casting-Maschine an. Talent-Scouts suchen Nachwuchs-Schauspielerinnen, Hobby-Schauspieler und Komparsen für RTL-Seifenopern wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ (GZSZ), „Unter uns“ und „Alles was zählt“.
TV-Casting: Gänsehaut neben Mode-Boutique und Döner-Imbiss
Auch Fans von Show-Dauerbrennern wie „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) landen hier hinterher in einer Computer-Kartei. Ob in Oberhausen an diesem Nachmittag aber wirklich eine Berühmtheit zu sehen und hören ist, wird sich mitunter erst Jahre später zeigen. Doch gerade zählt sowieso nur der Moment.
Mittendrin: Luna Romagnoli aus Oberhausen-Klosterhardt. Auf ihrem Pullover klebt ein Sticker mit der Nummer 50. Die 15-Jährige durfte vor der Videowand den bekannten Rihanna-Hit zum Besten geben. Nun umklammert sie mit beiden Händen das Mikrofon, lächelt erwartungsfroh. Scout-Profi Otto Nitschke gibt ihr prompt eine Rückmeldung: „Dieter Bohlen würde sagen: Da hat alles gepasst! Die Vielfalt deiner Stimme gefällt mir besonders.“
Mutter Anja schaut nebenan aufgeregt zu. Sie sagt: „Klar, ist man als Mutter stolz - Gänsehaut!“ Eigentlich wollte Luna hier gar nicht mitmachen. „Der Entschluss kam spontan. Es hat sich mega-cool angefühlt.“ Die Bühne kennt sie aus dem Tanz-Sport. Beim Cheerleading ist sie schon vor Publikum aufgetreten. „Der Gesang ist aber meine Welt.“ Aus dem Jugendzimmer zur glitzernden Bühne im DSDS-Studio? Warum nicht!
Weil sie noch keine 16 Jahre alt ist, klappt dieser Plan erst im nächsten Jahr. „Zunächst kommt aber die Schule an erster Stelle“, wirft Mutter Anja ein. Und auch Luna hat für später solide Pläne: „Ich möchte Jura studieren.“
TV-Casting: Talent-Scouts verteilen Tipps vor der Videowand
Im offenen Mini-Studio läuft währenddessen die Videokamera heiß. Die Fotoapparate lichten ab, was die Profile der Bewerber hergeben. Und Tastaturen glühen, um Namen, Größe, Augenfarbe und Hobbys zu erfassen. Der erste Schritt einer möglichen glitzernden Karriere ist zunächst: trockene Bürokratie.
Auch Ashley Jost hat mit Mutter Sabine alles ausgefüllt. Die 14-Jährige aus Bochum-Wattenscheid nimmt bereits Schauspiel-Unterricht. Und würde nun am liebsten bei GZSZ mitmachen. „Ich bin mit der Serie aufgewachsen. Seit ich sechs Jahre alt bin, sammle ich Schauspielerfahrung. Und bei einem Wettbewerb der Ruhrtriennale habe ich auch schon mitgemacht.“ Ihr schauspielerisches Vorbild? Actionheld Dwayne Johnson, kurz: The Rock.
Talent-Scout Otto Nitschke bittet die nächsten Kandidaten nach vorne. Er lobt und gibt Tipps. „Beim Song nicht so viel Text ablesen“, „den Körper locker halten“, „ganz natürlich bleiben.“ Die Warteschlange wächst und wächst. Die Halbwertszeit der Berühmtheit von Casting-Gewinnern? Kein Thema.
TV-Casting: Produzenten klicken sich hinterher durch Karteien
Auch ein alter Bekannter aus Oberhausen mischt sich unter die Bewerber. Christian Wening, der vor zwei Jahren bei der DSDS-Vorauswahl im TV den Song „Egal“ von Schlagersänger Michael Wendler anstimmte und von RTL prompt stumm geschaltet wurde, plant den nächsten Anlauf. „Diesmal gehe ich All-in.“ Der Verschwörungs-Wendler ist bei der Songauswahl aber diesmal tabu. „Vielleicht nehme ich etwas von Wolfgang Petry.“
„Das Interesse ist riesig“, sagt Nitschke zum Casting im Bero-Zentrum. „Wenn der Zuspruch so weiter geht, müssen wir in einer Stunde über einen Annahmestopp nachdenken.“ Dabei wird in Oberhausen noch gar nichts entschieden. TV-Produzenten können vielmehr gezielt in den beim Casting erstellten Karteien mit Videos und Fotos recherchieren. Nitschke: „Dabei geht es längst nicht nur um junge Kandidaten. Es sind immer einige ältere Teilnehmer dabei.“
>>> Casting-Tournee führt quer durch Deutschland
Die Casting-Tour der Produktionsfirma Ufa reist quer durch die Deutschland. In Oberhausen machte die Vorauswahl für Kandidaten, Komparsen, Artisten und Kleindarsteller zum zweiten Mal Station. Im August 2022 schauten die Talent-Scouts erstmals im Bero-Zentrum vorbei.
Die Ufa sucht Talente für etliche RTL-Formate, aber auch für SWR-Shows wie „Sag die Wahrheit“ werden Kandidaten ausgewählt. Neben Kleindarstellern sucht die Produktionsfirma nach Privatwohnungen, die für einige Drehtage angemietet werden.