Mönchengladbach. Günter Netzer war alles: Genialer Fußballer, Rebell, Diskotheken-Besitzer, Unternehmer. Ein Leben im Erfolg. Zum Geburtstag einer Legende.
Günter Netzer – ein Name, viele Assoziationen. Vom Fußballer Netzer, der leichtfüßig „aus der Tiefe des Raumes“ kam. Von der Stil-Ikone Netzer, dem Revolutionär, der den Fußball mit Elementen zeitgenössischer Mode- und der Kunstwelt zu verbinden wusste. Vom erfolgreichen Manager, Unternehmer, Macher – und vom Menschen Günter Netzer, der an diesem Samstag 75 Jahre alt wird.
Zu Ehren eine Sonderausstellung
Er mag das ja eigentlich nicht, diese Lobhudelei. Er fühle sich dann beschämt, nicht wohl, könne es nur schwer ertragen. Vielleicht auch deshalb ein Grund, warum er am Samstag seinen Geburtstag in seiner Wahlheimat Zürich im kleinen Kreis feiern wird. Vergangene Woche führte jedoch kein Weg an Huldigungen vorbei: Zu Ehren seiner Karriere und des bevorstehenden Geburtstages eröffnete in seiner Heimatstadt Mönchengladbach die Fohlenwelt, das vereinseigene Museum der Borussia, eine Sonderausstellung über den legendären Gladbacher Mittelfeldregisseur. Und auch dieses Mal fühlte sich der Zeremonienmeister der großartigen Europameister-Mannschaft von 1972 beschämt, noch mehr aber überwältigt, wie er sichtlich gerührt zugab. Seine ehemaligen Mannschaftskollegen und Freunde aus seinen zehn Gladbacher Jahren zwischen 1963 und 1973 wussten zuvor gekonnt, das Leben des Ausnahmespielers auf und neben dem Platz anschaulich zusammenzufassen. Und klar, die legendären Geschichten durften nicht fehlen. Wie etwa die tolle Story vom Pokal-Endspiel 1973 gegen Köln.
Ein spektakuläres Ereignis. Fast zwei Dutzend Torchancen, mehr als zwanzig Eckbälle, vier Pfosten- und Lattentreffer, ein verschossener Gladbacher Elfmeter – kurzum, das Finale bot alles: Tempo, Nervenkitzel und besondere Momente. Für den geschichtsträchtigsten sorgte am Ende Günter Netzer höchstpersönlich. Mit den Worten „Ich spiel’ dann jetzt“ kündigte Netzer, der wegen eines Zwists mit Trainer Hennes Weisweiler zuvor 90 Minuten auf der Bank gesessen hatte, vor der Verlängerung seine Selbsteinwechslung an. Weisweiler schaute weg. Er konnte ohnehin nichts machen gegen Netzers Eigenwillen und den des Publikums, das mit Sprechchören den Einsatz ihres Helden forderte. Es folgte einer der legendärsten Momente der Fußballgeschichte: Nach feinem Doppelpass mit Rainer Bonhof drischt Netzer den Ball in den linken Winkel zum 2:1-Endstand und macht seine Borussia zum Pokalsieger. In seinem letzten Spiel vor dem Wechsel zu Real Madrid – welch eine Pointe. Die Floskel „Solche Geschichten schreibt nur der Fußball“, sie scheint in diesem Moment geboren worden zu sein.
Die Welt abseits des Platzes
Neben allem fußballerischen Können machte Günter Netzer aber auch Schlagzeilen abseits des Platzes. Er, der in den bunten Illustrierten ebenso Platz fand wie im „Kicker“. Der langhaarige Rebell, in dessen Streitereien mit Trainer Hennes Weisweiler nicht wenige auch den ewigen – und doch in dieser Zeit besonderen – Kampf zwischen Jung und Alt, zwischen Rebellion und Gehorsam sahen. Er, der Ablenkung und Abstand in den Welten fern des Sportes suchte – und fand.
„Manchmal war er schon etwas müde beim Training – aber er war da“, scherzte Jupp Heynckes, als er an Netzers Leidenschaft für die Film- und Kunstbranche erinnerte. So kam es nicht selten vor, dass Netzer den Abend und die Nacht vor dem Training bei seinen Künstlerfreunden in München verbrachte. In den Morgenstunden kehrte er an den Niederrhein zurück. Doch Netzer fand auch einen Weg, um sich ein Stück der anderen Welt nach Hause zu holen: 1972 eröffnete er in Mönchengladbach seine eigene Diskothek, die Lovers’ Lane, in den Folgejahren der Szenetreff für Berühmtheiten aus allen Bereichen der Gesellschaft. „Das ist das Ende“, soll Hennes Weisweiler geknurrt haben.
Trikot mit dem Anzug getauscht
Tatsächlich wurde Netzer nie schlechter. Nachdem er Gladbach zu zwei Meistertiteln und dem Pokalsieg geführt hatte, glänzte er auch bei Real Madrid. Seine Karriere beendete er in Zürich, seit Jahren seine neue Heimat. Dort tauschte er das Trikot mit dem Anzug. Manager beim Hamburger SV, Unternehmer, TV-Experte – welchen Weg auch immer Günter Netzer einschlug: Es war ein Weg des Erfolgs.
Er nimmt das nicht als selbstverständlich hin. Zum Fünfundsiebzigsten resümiert er: „Ich bin dankbar und demütig, dass es so gegangen ist.“