Oberhausen. Schwangerschaftsabbruch: Für die Premiere im Theater recherchierte die Werkgruppe 2 in Gerichtsakten und sprach mit Oberhausenerinnen.
Es mag makaber klingen, aber die Beraterinnen von „Pro familia“ haben es den Theatermacherinnen bestätigt: Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche spiegelt stets auch die Wirtschaftslage – erst recht nach einem Jahr hoher Inflation und Lebenshaltungskosten. „Paragraf 218“ heißt schlicht die Uraufführung der Werkgruppe 2, seit 15 Jahren eine Instanz des dokumentarischen Theaters, am Freitag, 24. März, um 19.30 Uhr im Großen Haus. Insgesamt acht weitere Aufführungen sollen folgen.
Auch in diese Produktion investierten die vier Frauen der Werkgruppe 2 wieder ein volles Jahr hohen Recherche-Aufwands. Ihr Anspruch: „Soziale Wirklichkeit aus der Perspektive von Menschen zu beschreiben, die zu gesellschaftlichen Minderheiten, Unsichtbaren, Ausgeklammerten zählen“. Für die Ruhrfestspiele und das Essener Schauspiel entstand so vor zwei Jahren der Theaterfilm „Arbeiterinnen / Pracujące kobiety“ über eine Frauen-Generation in Deutschland und Polen.
Verurteilte musste bis Kriegsende um ihr Leben bangen
Beim Thema „Paragraf 218“ ist es die inzwischen 151-jährige Kontinuität eines „rigiden Gesetzes“ aus dem Gründungsjahr des Wilhelminischen Kaiserreiches, das bis heute Bestand hat: Nur die Androhung von „Zuchthausstrafe“ ist inzwischen aufgehoben. Bei ihren Nachforschungen in alten Zeitungsbänden und Prozessakten, erzählt Silke Merzhäuser, die Dramaturgin und Co-Autorin des Teams, stießen sie sogar auf ein Todesurteil, verhängt gegen eine Sterkraderin, die während des Zweiten Weltkriegs illegale Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen hatte. Ein NS-Gesetz von 1943 hatte für „Engelmacherinnen“ die Todesstrafe festgeschrieben. Dazu kam es in Oberhausen zwar nicht, doch die Verurteilte musste bis Kriegsende um ihr Leben bangen.
Noch wichtiger als die Geschichte aus jahrzehntelang unbeachteten Akten ist der Werkgruppe 2 die Zeitzeugenschaft von per Flyer und Sozialen Medien gefundenen Oberhausenerinnen – „aus jedem Jahrzehnt seit den 1950er Jahren“, wie Silke Merzhäuser betont: „Parallel gingen wir an die Hintergrund-Recherche mit Ärzten und Juristinnen.“ – „Über so etwas spricht man nicht“, hörten sie von ihren ältesten Gesprächspartnerinnen. Der Dramaturgin hatte sich eingeprägt, wie jene, die während der Adenauer-Ära junge Frauen waren, stockend um Formulierungen für das „Unsagbare“ rangen.
Komponistin gibt der Sprachlosigkeit einen eigenen Klang
Positiv überrascht war die Theatercrew aus der Umgebung von Göttingen von der „großen, aktivistischen Szene“ während der 1980er, wie sie aus Interviews mit Oberhausens erster Frauen-WG erfahren haben. Insgesamt haben die Dokumentaristinnen über 300 Seiten meist zweistündiger Interviews wortgenau transkribiert – um diese Materialfülle schließlich zu einem rund 100-minütigen Theaterabend zu verdichten.
Und zwar zu einem Abend mit Livemusik, schließlich versteht sich Werkgruppe 2 ausdrücklich als „Musiktheater“. Für die Vier gilt nicht nur der Leitsatz des inzwischen 82-jährigen französischen Philosophen Jacques Rancière: „Das Reale muss Fiktion werden, damit es gedacht werden kann.“ Insa Rudolph, die Komponistin des Teams, sagt: „Schauspiel und Musik fließen zusammen.“ Die Absolventin des Amsterdamer Konservatoriums nutzt Text-Fragmente aus den Interviews für ihre Musik – und gibt so selbst der Sprachlosigkeit der 1950er einen eigenen Klang.
Eine einzige ärztliche Adresse für ungewollt Schwangere
Drei Musikerinnen stellen die Live-Band im Großen Haus. Und von den sängerischen Qualitäten des Oberhausener Ensembles – das schließlich mit einem „Gute Hoffnung“-Liederabend die Spielzeit eröffnet hatte – zeigt sich auch Insa Rudolph, selbst studierte Jazz-Sängerin und Mitglied der Deutschen Filmakademie, vollauf überzeugt.
Und heute, im 21. Jahrhundert der gendersensiblen und antirassistischen „Wokeness“? Dramaturgin Laura Mangels erzählt von den – schon viele Jahre zum Oberhausener Ensemble zählenden – Schauspielerinnen Susanne Burkhard und Anna Polke: Wie betroffen sie waren, dass es selbst hier, inmitten der „Metropolregion“ Ruhrgebiet, nur eine einzige ärztliche Adresse gibt für ungewollt Schwangere.
Schon die Vorab-Matinee in der Theaterbar sorgte für „tolle Gespräche“, sagt Laura Mangels: „Auch die Männer waren engagiert dabei.“ Ihre Dramaturgie-Kollegin Silke Merzhäuser wünscht sich für die Premiere sogar „ein ganz paritätisches Publikum“ – ahnt aber, dass „Paragraf 218“ wohl vor allem ein eindrückliches Erlebnis für Zuschauerinnen sein wird.
Der Premiere folgen zwei Termine am Samstag und Sonntag, 25. und 26 März, sowie drei Abende am 26., 28., und 30. April. Karten gibt’s unter 0208 8578 184, per Mail an service@theater-oberhausen.de