Oberhausen. Beim politischen Nachtgebet berichtet ein Gynäkologe: „Wir sind sechs Leute, die ein Einzugsgebiet mit zwei Millionen Menschen versorgen.“
Eine Frau, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, hat es nicht leicht. Was wie eine Plattitüde klingt, zeigt seine ganze Tragweite, sobald man etwas genauer hinschaut. Denn nicht nur die Entscheidung, eine Schwangerschaft nicht fortzuführen, verlangt einer Frau viel ab. Sie findet im Internet auch kaum seriöse Informationen dazu, welche Möglichkeiten sie überhaupt hat. Und noch mehr: Es gibt auch kaum Ärztinnen und Ärzte, die einen Abbruch anbieten. In Oberhausen sind es gerade einmal zwei.
Und in den Nachbarstädten sieht es nicht besser aus: Jeweils zwei Mediziner in Essen und Duisburg; in Bottrop gebe es niemanden, sagt der Gynäkologe Dr. Richard Schmeling. „Wir sind sechs Leute, die ein Einzugsgebiet mit zwei Millionen Menschen versorgen“, berichtet er beim politischen Nachtgebet Ende Mai in der evangelischen Lutherkirche in Oberhausen. Thema ist der Paragraf 219a, der es Ärztinnen und Ärzten verbietet, öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren beziehungsweise dafür zu „werben“.
Einer der weltweit häufigsten gynäkologischen Eingriffe
Sogar aus dem Grenzgebiet zu den Niederlanden kämen Patientinnen nach Oberhausen, weil es in ihrer Nähe keine Möglichkeiten für sie gebe, berichtet Schmeling: „Das ist eine große Belastung für uns.“ Der Gynäkologe führt seit 30 Jahren Schwangerschaftsabbrüche durch. Ein großes Problem sieht er etwa darin, dass die Krankenhäuser zu wenig Unterstützung anbieten würden. Denn diese böten nicht nur keine Eingriffe an, sie beteiligten sich auch nicht an der Nachversorgung einer behandelten Frau – zum Beispiel wenn es bei einem Abbruch zu Komplikationen kommt. „Ich bin nur auf mich selbst gestellt.“
Dr. Christine Gathmann von Pro Familia berichtet, im ganzen Ruhrgebiet gebe es lediglich ein Krankenhaus, das Schwangerschaftsabbrüche anbiete – „und das ist in Marl.“ Dabei gehe es um einen der „weltweit häufigsten gynäkologischen Eingriffe“, erklärt Gathmann. 40.000 bis 60.000 Frauen sterben pro Jahr weltweit an einem Schwangerschaftsabbruch. Sie appelliert dafür, die Hürden für den Eingriff abzubauen. Denn hohe Hürden hätten, wie die Erfahrung zeige, nicht weniger Abbrüche zu Folge, „sondern es steigen die Komplikationen und die Sterberate der Frauen“.
Das Thema „Lebensschutz“ aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten
Von den Zahlen zeigt sich Propst André Müller überrascht. „Da ist Luft nach oben, wenn ich die Zahlen so sehe.“ Auch er sehe deutlich den Handlungsbedarf. In einem Punkt widerspricht er Gathmann aber entschieden: Sie sieht die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch eindeutig bei der Frau. Denn „die Natur – oder der Herr – hat es so eingerichtet, dass Frauen mit vollem Körpereinsatz Kinder und damit Leben in die Welt bringen“, argumentiert Gathmann. Die restliche Gesellschaft müsse die Frauen in ihren Entscheidungen unterstützen.
Der Stadtdechant der Katholischen Kirche hingegen betont: „Das Thema geht uns alle an – auch Männer.“ Ihm ist es wichtig, das Thema „Lebensschutz“ aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Theologisch betrachtet: „Jesus wäre natürlich bei den Frauen, aber er wäre auch bei dem Leben.“ Damit bekräftigt Müller – mit bedacht gewählten Worten – seinen Standpunkt, den er schon mit dem Oberhausener Katholikenratsvorsitzenden Thomas Gäng in einem Brief an den SPD-Bundestagsabgeordneten Dirk Vöpel formuliert hat: Es gehe auf der einen Seite um die Autonomie der Frau und auf der anderen Seite um den Schutz des ungeborenen Lebens. „Das ist ein schmaler Grat.“
Zuhörerin zeigt sich schockiert über die Versorgungslage
Christine Gathmann hält dem entgegen, Mutter und ungeborenes Kind bildeten eine unauflösliche Einheit. „Ich kann das nicht trennen. Das heißt, ich kann die Entscheidung nur der Frau überlassen.“ Das Publikum unterstreicht ihre Aussagen mit Beifall. Es hören an diesem Abend rund 50 Personen zu, viele Frauen, aber auch Männer. Darunter Gäng an einem Tisch mit Linken-Politiker Lühr Koch, die sich allerdings beide aus der Diskussion heraushalten.
Andere mischen sich an diesem Abend ein. Eine Zuhörerin zeigt sich „regelrecht schockiert“ über die medizinische Versorgungslage in Oberhausen. Eine andere richtet sich direkt an den Arzt Richard Schmeling und sagt: „Danke, dass Sie das immer noch machen.“
Paragraf 219a steht im Strafgesetzbuch
Anwältin Dagmar Vogel von „Frauen helfen Frauen“ erklärt, für die Ärztinnen und Ärzte sei es weniger eine Gewissensfrage, ob sie den Eingriff anbieten oder nicht, eine größere Rolle spiele ihrer Einschätzung nach die Tabuisierung und die drohende Strafe bei Informationen zur Abtreibung. Denn der Paragraf 219a steht im Strafgesetzbuch - und dieser verbietet, öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche und Methoden zu informieren. Sonst droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe.
Die Abschaffung des Paragrafen 219a hat die Ampelkoalition im Bund angekündigt. Paragraf 218 bleibt aber bestehen: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Und darum geht es an diesem Abend auch, nicht nur um das Informationsverbot (§219a), sondern auch um die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen generell.
Für Oberhausen wären fünf Einrichtungen wünschenswert
Die „desolate Versorgungslage“ bereitet auch Britta Costecki, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Oberhausen, große Sorgen. Dass es in einer Stadt mit über 200.000 Einwohnerinnen und Einwohner nur zwei Einrichtungen für Schwangerschaftsabbrüche gebe, sei inakzeptabel. Christine Gathmann von Pro Familia verweist darauf, dass das Gesetz recht unkonkret eine „ausreichende Anzahl“ vorschreibe. In ihren Augen wären für Oberhausen fünf Einrichtungen wünschenswert.
Gemeinsam wollen die Sprecherinnen versuchen, die Krankenhäuser ins Boot zu holen. Das Problem: Jeder und jede Mitarbeitende einer Klinik muss grundsätzlich zustimmen, dass das Haus Abbrüche durchführt. Also nicht nur Ärztinnen und Ärzte, sondern zum Beispiel auch das Pflegepersonal. Das erschwere die Situation, erklärt Costecki. Dabei wären Krankenhäuser gute Anlaufstellen.
Mit dem Evangelischen Krankenhaus (EKO) habe es nicht geklappt, als Nächstes wolle man das Thema an den Schweizer Klinikkonzern Ameos herantragen, der das St.-Clemens-Hospital in Sterkrade betreibt. „Auch wenn wir keine Erfolge erzielen, bleiben wir dran“, verspricht die Gleichstellungsbeauftragte.
>>> KIRCHLICHER RAHMEN
Die Diskussion zum Paragrafen 219a wurde eingerahmt von Fürbitten, Gebeten und biblischen Impulsen. So zog Pfarrerin Christiane Wilms etwa das biblische Bildnis heran, „gemeinsam eine Last zu tragen“. Die letzte Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft liege bei der Frau. „Aber wir als Gesellschaft haben die Aufgabe, ihr Beistand zu leisten.“
Durch den Abend führte Pfarrer Andreas Loos. Begleitet wurde die Debatte von der Band „The Green Bows“, deren Liedauswahl sich stark an den Themen Leben und Selbstbestimmung orientierte.