Oberhausen. Die bestens besuchte Premiere von „Overhausen“ als Audiowalk in Sterkrade und Osterfeld sorgt sogar für literarische Begegnungen am Spielplatz.

Lesen bildet, so heißt es. Hören aber auch, was man seit einer bestens besuchten Premiere am Sonntag künftig am Tackenberg erfahren, nein: erlaufen kann. Wo das einst an der Herner Waldorfschule sozialisierte Kollektiv „Die Spielkinder“ gemeinsam mit dem Literaturhaus Oberhausen literarisch Interessiert gar mächtig eins auf die Ohren gibt.

Und zwar völlig für lau, ganz ohne einen Tacken am Berg, der mit seinen 72 Metern Höhe anderswo bestenfalls als Hügel gölte und seinen Namen nicht etwas dem Ruhri-Ausdruck für einen Groschen, sondern der längst vergessenen Bezeichnung für dürre Äste verdankt. „Overhausen – der Ralf-Rothmann-Audiowalk“ nennt sich das kurzweilige Vergnügen, das einen auf 1200 Meter Wegstrecke mit sechs Stationen durch jene heute beschaulich-bürgerliche Siedlung führt, in dem der gefeierte Oberhausener, freilich längst in Berlin lebende Literat (geboren in Schleswig) aufwuchs und seine ersten Romane spielen lässt.

Schön auffällig in Violett prangen die sechs literarischen QR-Codes an Tackenberg-Häusern: Für Till Beckmann und Jennifer Ewert. ist das seit einem Jahr verfolgte Projekt eine Herzenssache.
Schön auffällig in Violett prangen die sechs literarischen QR-Codes an Tackenberg-Häusern: Für Till Beckmann und Jennifer Ewert. ist das seit einem Jahr verfolgte Projekt eine Herzenssache. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Denen am sonnenheiteren Sonntagnachmittag gut 80 Literatur-Interessierte im wahrsten Sinne des Wortes nachgingen. Nicht etwa mit dem Wanderstock, sondern mit Smartphone samt Kopfhörer, ohne die hier nichts geht. Denn wer zuhören will wie etwa Ursula Toplak („Ich bin ein absoluter Rothmann-Fan“), muss scannen – nämlich die gut sichtbaren QR-Codes an sechs sprechenden Schauplätzen der Romane „Stier“, „Wäldernacht“, „Milch und Kohle“ und „Junges Licht“, verfilmt von Adolf Winkelmann.

Erlebnisse einer Jugend im Arbeitermilieu

„Ich weiß nicht mehr genau, welches Buch ich zuerst las“, so der 1967 am Tackenberg geborene Heinz Hülsken, „da war ich sofort begeistert, der Rothmann ist einfach Klasse!“ Natürlich kenne er vieles aus den Büchern noch aus eigener Erinnerung, die nun von den Spielkindern sprach- und klanggewaltig aufgefrischt wurde.

Konzipiert von Jennifer Ewert und Till Beckmann – die mit Charly Hübner und seiner Ehefrau, der als „Schauspielerin des Jahres“ prämierten Lina Beckmann, die jeweils rund 15-minütigen Hörspiele einsprachen – bringt einem ihr Audio-Walk Schlüsselszenen der in den 1960er Jahren angesiedelten Romane näher. Was Ralf Rothmann dort schildert, sind Erlebnisse einer Jugend in den beengten Verhältnissen des Arbeitermilieus, in dem trinkende Väter und zuschlagende Mütter nichts Ungewöhnliches, um nicht zu sagen: völlig normal waren. Ebenso wie sadistische Lehrer, denen man an der zweiten Station namens „Rechenschwäche“ auf dem Schulhof begegnet.

An jeder Hör-Station, darauf hat das „Spielkinder“-Team geachtet, gibt’s auch Sitzgelegenheiten zum Verweilen – hier genutzt von Marianne Barlage und Ingrid Broermann.
An jeder Hör-Station, darauf hat das „Spielkinder“-Team geachtet, gibt’s auch Sitzgelegenheiten zum Verweilen – hier genutzt von Marianne Barlage und Ingrid Broermann. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Amüsant, dass auf dem präzise definierten Weg („Nach ca. 130 Metern zwischen Hausnummer 27 und 29 kommt ein Spazierweg. An der Metallabsperrung finden Sie Station 3.“) zur „Teppichklopfer“-Station, wo zum Geruch von Maggisuppe heftig gehauen wird, ein rosa Klammerbeutel an einer Wäscheleine baumelt – pures Ruhrgebietsidyll. Und ein grimmiger Kontrast zum auf dem Po des Protagonisten zerbrechenden Kochlöffels, der einem auf die Ohren gegeben wird.

Nicht nur für Ralf-Rothmann-Fans

Nun denn, passenderweise geht es um kirchliche Themen zwei Stationen weiter – an St. Jakobus, vor der bei der Premieren-Wanderung der Essener Jazzschlagzeuger Simon Camatta gelassen sein Minimal-Drumset eben nicht traktierte. Von den Problemen allzu langer Talare bis zum Wunsch einer Beichte, der ein einfühlsamer Priester erfreulich milde begegnet. Aber hören Sie selbst.

Zum Finale fand sich dann die literarische Wandergruppe in der urigen Nachbarschaftskneipe „Siedlerkrug“ ein. Dort rekapitulierten nicht nur die neue Theaterintendantin Kathrin Mädler und bekannte Buchhändler der Region vergnügt einen Spaziergang, den man nicht nur Ralf-Rothmann-Fans ans Herz legen kann. Und dies quasi rund um die Uhr ab der Schule am Siedlerweg 30, wo der Start-QR-Code auf neugierige Smartphones wartet.