Oberhausen. Dritte Oberhausener Uraufführung in Serie: Nick Hornbys „State of the Union“ liefert komische Steilvorlagen für bestens aufgelegte Darsteller.
Gut, dass leuchtendes Rot gerade nicht die Trendfarbe des Herbstes zu sein scheint: So hob sich dieses besondere Paar ganz in Rot in jedem Sinne hervorragend aus dem erwartungsvollen Publikum in der Theater-Bar. Wer Nick Hornbys „State of the Union“ nicht als BBC-Stream vom Sofa aus verfolgen will, der erlebt live eine sympathisch-schwungvolle Uraufführung am Will-Quadflieg-Platz – und zwar bereits die dritte unter den ersten drei Premieren dieser Spielzeit.
Louise (Regina Leenders) steht die mutige Hinguckerfarbe ja vorzüglich: Der Hosenanzug und die große Umhängetasche wirken „businesslike“: Louise scheint selbst der unangenehmen Sache einiger Ehetherapiesitzungen gefasst entgegen zu sehen. Ganz anders Tom (Jens Schnarre): Sein Signalrot wirkt verwaschen und außer Form geraten – exakt jene Sorte Kapuzen-Sweatshirt, über deren Träger Karl Lagerfeld einst so eloquent lästerte, sie hätten „die Kontrolle über ihr Leben verloren“. Der nerdige Loser und die ihm überlegene Karrierefrau: diese Konstellation hat der Londoner Hornby schon in einigen Varianten dekliniert.
Ein bestens aufgelegtes Schauspielerpaar und die auf sekundensicheres Timing setzende Regie von Jonas Weber machen daraus allerdings viel mehr als ein blasses „Déjà-vu“: Die leuchtenden Kostüme von Franziska Isensee setzen schon die richtigen Akzente. Vor allem aber wirkt die Bar-Szenerie perfekt dank Hornbys nicht zu unterschätzendem Coup: Er spart sich die eigentlichen Therapiegespräche – und damit jeglichen Therapeutenjargon. Vielmehr gibt er für jede Szene seinen Protagonisten nur wenige Minuten, um sich mit Bier und Sekt etwas Mut anzutrinken, ehe beide in die Praxis eilen.
Ein stets gefühlvoll pariertes Ehe-Duell
Der zweite Hornby-Trick: Er setzt die Überlegene in die Defensive. Schließlich hat Louise, die als Ärztin das Geld ins Haus bringt, einen Seitensprung zu beichten. Tom, dem als Popmusikkritiker derzeit wohl die Aufträge fehlen, eröffnet das einige Chancen. Nein, hier wird weder handgreiflich noch verbal gewütet – vielmehr wahrt man britische Contenance. Den mitunter wie englischer Landregen prasselnden Pointen tut das aber keinen Abbruch.
Etwas heftiger wird’s erst beim Thema Brexit. Sollte man nicht aufs Tapet bringen – „Mann“ erst recht nicht. Schließlich bedeutet ein „Ehe-Brexit“ (welch unglückliche Metapher) nichts anderes als: Scheidung. Und dann gesteht Tom auch noch, aus purem Trotz gegenüber all ihren liberalen Bekannten für Britanniens Scheidung von Europa gestimmt zu haben. Louises hier mit Piepstönen zuzudeckender Fluch ist eigentlich schon der heftigste Satz in diesem stets gefühlvoll parierten Ehe-Duell.
Dabei könnte alles so schön harmonisch sein: Denn zwischen den kurzen Tresen-Gesprächen lässt Jonas Weber zu gedimmtem Licht stets ein Statistenpaar (im Wechsel Karin und Rolf Emmelmann sowie Christiane Schwalm und Guido Horn) suchend zwischen den Tischen umherhuschen – und stumm, aber glücklich davon tanzen, wenn sie einander gefunden haben.
Bei Louise und Tom dagegen scheinen der Schmerz und die Entfremdung zuzunehmen: Selbst die Pointen wollen das nicht mehr überdecken. In der fünften (von zehn) Szenen ist Tom ausgezogen. „Ausziehen ist ein rutschiger Abhang“, warnt Louise, „und es kann sehr mühsam sein, ihn wieder raufzuklettern“.
Man misstraue dem liebevollen Schlusssatz
Kletterkünste zeigt Jens Schnarre allerdings als nur vermeintlich schluffiger Tom, als er sich aus der Hocke auf den Sims (jetzt mit dem Schriftzug „Hoffnung“) stellt. Sie steht auf dem Bartresen – und das so wort- wie wahnwitzige Ringen um ein gemeinsames Leben saust über die Köpfe des Publikums hinweg. Von der kleinen Holztribüne, dem neuen Bar-Mobiliar (ebenfalls eine Kreation Franziska Isensees), gibt diese Szene ein besonders eindrückliches Bild.
Louise beneidet ihren auf trotzige Art ängstlichen Mann sogar um seinen Auszug: „Jeder Erwachsene mit Kindern stellt sich eine leere Wohnung vor“ (effektvolle Pause) „einen Teppich ohne Colaflecken, ein Doppelbett ganz für sich allein, eine Fernbedienung, die nicht mit Klebeband umwickelt ist“ – Familienleben als mittelschweres Hygiene-Problem.
So erscheint’s als eine so jähe, wie schöne Überraschung, dass die beiden in den letzten Szenen wieder miteinander flirten, dass Tom sich ein ordentliches (rotes) Oberhemd anzieht und Louise ihre strenge Frisur freischüttelt. Man darf nur dem liebevollen Schlusssatz dieser Inszenierung nicht ganz trauen: Denn im Roman schickt Hornby seinem „Ich liebe dich“ noch zwei Worte hinterher. – Großer Applaus für strahlende Schauspieler und zwei noch mehr strahlende Statisten.
Bis Ende November noch fünf „Therapie“-Sitzungen
Weitere Vorstellungen der Uraufführung von Nick Hornbys „State of the Union“, untertitelt „Eine Ehe in zehn Sitzungen“, folgen in der Bar des Theaters am Mittwoch, 19., und Sonntag, 30. Oktober, sowie am Sonntag, 6., Freitag, 11., und Sonntag, 13. November. In der Bar gilt Maskenpflicht – Drinks sind dennoch erlaubt.
Karten kosten 15 Euro, ermäßigt 5 Euro, Kartentelefon 0208 8578 184, per Mail an service@theater-oberhausen.de