Oberhausen. In der Notunterkunft Louise-Schroeder-Heim arbeitet ein besonderes Team. Die Schicksale der Geflüchteten erinnern sie an ihre eigene Geschichte.
Die Stadt tut alles dafür, um geflüchtete Menschen aus der Ukraine möglichst würdevoll unterzubringen. Überfüllte Turnhallen sollen dabei die absolute Ausnahme sein, wird immer wieder betont. Nicht nur Privatsphäre, auch eine sozialpädagogische Betreuung soll gewährleistet sein. In den meisten städtischen Unterkünften ist hierfür das Deutsche Rote Kreuz (DRK) zuständig.
„In den letzten sechs Wochen haben wir 22 neue Mitarbeiter eingestellt“, sagt Jörg Fischer, Abteilungsleiter für Wohlfahrt und Sozialarbeit beim DRK Oberhausen. „Es ist wichtig, dass wir geschulte Kräfte haben, die verstehen, um welche Probleme es hier geht. Unsere Dolmetscher sind nicht einfach nur Dolmetscher.“ Es seien schließlich viele Frauen und Kinder zu versorgen, die in großer Sorge um ihre Verwandten sind. Ein zweites großes Thema sei die Arbeitssuche.
Kriegsverletzungen und hungrige Mägen
Auch für den alten Gebäudeteil des Louise-Schroeder-Heims, in welchem derzeit 180 Frauen, 80 Männer und 80 Kinder untergebracht sind, hat DRK-Mann Fischer ein Team zusammengestellt. „Die meisten, die hier ankommen, haben zunächst einfach Hunger“, erklärt Mesude Tavukcu, Leiterin der Notunterkunft. „Dann verteilen wir Kleidung und Hygieneartikel, machen Termine bei Ämtern und suchen nach Ärzten bei gesundheitlichen Problemen.“ Manchmal seien auch Kriegsverletzungen zu versorgen. Tavukcu: „Wir hatten schon Brüche und auch eine Not-OP.“
Als Nächstes geht es darum, eine passende Wohnung zu finden. Dies geschieht in Kooperation mit der Stadt. Marcel Tersteegen, Fachbereichsleiter Wirtschaftliche Hilfen für Flüchtlinge und Asylbewerber, erklärt das Prozedere: „Die Servicebetriebe Oberhausen koordinieren die Wohnungsangebote. Es wird geschaut, was zu wem am besten passt. Dabei gilt: ,First in, First out’. Es sei denn, es liegen Krankheiten, soziale Probleme oder Traumatisierungen vor.“ Dann würden Betroffene bevorzugt.
Nicht nur bei den Fachkräften aus dem eigenen Haus – Mesude Tavukcu ist normalerweise als Ausreise- und Perspektivberaterin beim DRK tätig – sieht Jörg Fischer ein hohes Engagement für Geflüchtete. Auch bei den kurzfristig eingestellten Dolmetschern und anderen Betreuern sei dies zu beobachten. Und genau wie 2015/2016, als viele Syrer vor dem Krieg in ihrem Land nach Deutschland flüchteten, seien es auch heute besonders viele Menschen muslimischen Glaubens, die ganz vorne mit dabei seien. Fischer: „Damals wurde gesagt, die wollen alle nur helfen, weil Syrer auch Muslime sind. Aber jetzt, wo orthodoxe und jüdische Ukrainer kommen, sehe ich das gleiche hohe Engagement.“
Bomben, die Menschen töten und Nachrichten, die Freundschaften zerstören
Im Louise-Schroeder-Heim kann man dabei auf Mitarbeitende treffen, die mit besonders viel Fingerspitzengefühl bei der Sache sind – aufgrund ihrer eigenen Geschichte.
Nicole Kanevskiy (21), Dolmetscherin: „Ich stamme selbst aus der Ukraine, aus Odessa. Eigentlich bin ich Musikerin und Studentin für Business und Administration, aber hier meinem eigenen Volk helfen zu können, ist sehr schön. Es ist das Einzige, was ich im Moment tun kann. Ich könnte eh gerade nichts anderes machen, weil ich im Kopf und mit dem Herzen in der Ukraine bin. Eine Bombe ist in die Wohnung meiner Schulfreundin gefallen. Sie und ihr Mann sind jetzt nicht mehr da. Ich schaue anders aufs Leben, seitdem der Krieg begonnen hat. Man muss jeden Tag genießen. Ich habe viele russische Freunde, doch viele verstehen nicht, was Krieg bedeutet. Ich habe etwas gepostet im Internet, ein Zeichen für den Frieden, und habe dann Nachrichten erhalten, in denen stand: Ihr seid selbst Schuld, ihr macht selbst Krieg. Oder: Ihr habt kein Recht zu existieren. Der Krieg zeigt auch das wahre Gesicht der Menschen, wer sie wirklich sind. Ich habe mehr als die Hälfte meiner Kontakte aus meinem Leben entfernt.“
Mohammad al Abras (25), Betreuer/Übersetzer: „Ich bin vor sechs Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen. Ich habe auch Krieg erlebt. Ich hätte zwei oder drei Mal schon gestorben sein können. Ich lag einen Tag lang unter Leichen. Blut, tote Menschen, ich habe alles erlebt. Es ist sehr schön für mich, hier in der Notunterkunft zu arbeiten.“
Khaled Aljabr (33), Sozialberatung: „Ich bin auch aus Syrien nach Deutschland geflüchtet. Das war 2015. In meiner Heimat habe ich als Sanitäter-Helfer beim syrisch-arabischen Roten Halbmond gearbeitet. Während meiner Flucht-Stationen im Libanon und in der Türkei habe ich das fortgeführt, beim internationalen Komitee vom Roten Kreuz. Die Menschen aus der Ukraine, denen ich bei meiner Arbeit im Louise-Schroeder-Heim begegne, haben genau die gleichen Bedürfnisse, wie wir sie damals auch hatten.“