Oberhausen. In der Zentralen Aufnahmestelle der Stadt Oberhausen wird geflüchteten Ukrainern eine Unterkunft vermittelt. Doch es geht hier um so viel mehr.
„Zentrale Aufnahmestelle“ steht in schwarzen Lettern auf dem weißen Banner geschrieben, das draußen an einem Zaun hängt. Eine denkbar nüchterne Bezeichnung für diesen von der Stadt in Windeseile geschaffenen Ort, der doch eine Art Transitbereich darstellt. Eine Schwelle, über die Menschen nicht nur mit einem Anliegen treten, sondern auch mit einem Herzen voller überquellender Gefühle. Sie, die einem furchtbaren Angriffskrieg in ihrer Heimat entronnen sind, erbitten Hilfe. In der Hoffnung auf Frieden, Sicherheit – und Zuversicht. Jetzt stehen sie hier, in einem kargen Raum auf dem Gelände der ehemaligen Michael-Schule an der Knappenstraße 125. Für Gefühle scheint kein Platz zu sein. Und doch sind sie da, wenn man nur näher hinschaut. Ein Besuch.
Es ist so leise hier. So ordentlich. Auf den Tischen stehen Plastikbecher neben Wasserflaschen, still und sprudelnd. Gummibärchen, Stifte und Ausmalbilder liegen für die Kinder bereit. Sie werden dankbar angenommen, an einer Wand hängen bunte Bilder. Die Mitarbeiterinnen des Roten Kreuzes begrüßen Neuankömmlinge freundlich-professionell. Es werden Daten erfasst, es wird Fieber gemessen, ein Coronatest gemacht. Der Computer spuckt aus, in welcher städtischen Unterkunft noch ein Platz frei ist und dann weist ein QR-Code den Weg zur zugeteilten Adresse. Spasybi, Dankeschön. Schon geht es wieder hinaus, ins Ungewisse, mit ein paar Papieren in der Hand.
Rollentausch: Von der Bittstellerin zu einer, die anderen hilft
Alina Frolova hat dieses Prozedere bereits hinter sich. Sie ist am 21. März 2022 in Oberhausen angekommen, hat sich im Vorläufer der Anlaufstelle, in einem Gebäude der Feuerwehr, gemeldet. Damals war sie diejenige, der ein Getränk angeboten wurde, die Fragen beantwortet und gestellt hat. Sie hat einen Platz zum Schlafen bekommen – und gleich noch eine Aufgabe, mit der die 24-Jährige ihre nun plötzlich gähnend leeren Tage füllen konnte. Weil Alina so gut Deutsch spricht und zudem ein Medizinstudium in der Ukraine abgeschlossen hat, wurde sie vom Fleck weg als Dolmetscherin engagiert. Zunächst ehrenamtlich, nun soll bald auch ein Arbeitsvertrag folgen.
Völlig unaufgeregt erzählt Alina ihre Geschichte. Wie sie nach ihrem Studium zur Kinderärztin gerade eine Fortbildung begonnen hatte, in Kiew, 400 Kilometer von ihrer Heimatstadt entfernt. Wie sie einen Anruf erhielt, um sechs Uhr morgens am 24. Februar: „Meine Cousins waren dran. Sie sagten, der Krieg hat begonnen. Ich war völlig überrascht. Ich hatte noch nichts gehört.“ Gemeinsam mit ihren Verwandten fährt Alina in ein Dorf. „Aber wir wussten nicht, dass es dort noch schrecklicher war als in der Stadt.“ Nach zwei Wochen haben sie nichts mehr zu essen, die Geschäfte sind alle geschlossen. Sie flüchten weiter, nach Lwiw, in den Westen des Landes.
Mit Zukunftsplänen gegen die Angst und die Traurigkeit
Dort sei ihr klar geworden, erzählt die junge Frau, dass sie das Land verlassen muss. Die anderen wollen alle bleiben, auch ihre Eltern und ihre kleine Schwester sind noch in der Ukraine. Alina steigt alleine in den Zug. In Düsseldorf holt sie eine Bekannte der Großmutter ab, nimmt sie erst mit nach Hause in Duisburg und bringt sie später zur Aufnahmestelle in Oberhausen.
Vermisst sie ihre Familie? Wie fühlt sie sich hier, ganz alleine? Alina Frolova schaut ernst, aber nicht betrübt. Natürlich vermisse sie ihre Familie und wie der Krieg sich in den Tagen nach ihrer Ausreise weiterentwickelt habe, findet sie schrecklich. Doch sie wirkt willensstark und zuversichtlich. Statt über ihr Schicksal möchte sie viel lieber über das reden, was sie daraus machen will: ihr Studium anerkennen lassen, die Weiterbildung fortsetzen, eine Arbeit als Ärztin finden.
Ob es dem Klischee der zupackenden Osteuropäerin entspricht, die ihre Gefühle nicht überschwänglich zur Schau stellt oder die sachliche Atmosphäre der Anlaufstelle ist: Während Alina Frolova noch von ihren Plänen für die Zukunft erzählt, kommt eine weitere Geflüchtete zur weit offen stehenden Türe herein. Ihr folgen zwei Mädchen, ihre Töchter, 13 und fünf Jahre alt. Alina begrüßt sie auf Ukrainisch, fragt, wie sie helfen kann. Die beiden Frauen unterhalten sich kurz, ein Lächeln huscht über ihre Gesichter, als sie feststellen, dass sie aus derselben Stadt, aus Krywyj Rih, stammen. Doch es scheint sich kein großer Gefühlsüberschwang daraus zu ergeben, keine weiteren Nachfragen, keine gegenseitigen Bekundungen von Mitgefühl. Ihren Gesichtern ist kaum etwas abzulesen, nur ein höfliches Lächeln. Eine jede leidet vermutlich für sich. Hier scheint nicht der Ort für Dramen zu sein.
Die Kinder vermissen Freunde, Großeltern und den Papa
Auch wenn sie es sich nicht anmerken lässt, auch sie hat viel mitgemacht, erzählt die gerade neu angekommene Frau. Die 36-Jährige, die an der Universität unterrichtet, wurde brutal aus ihrem Alltag gerissen. Als sie entschied, mit ihren Töchtern das Land zu verlassen, musste sie von ihrem Mann auf ungewisse Zeit Abschied nehmen. Er darf wie alle volljährigen Männer nicht ausreisen. Die Kinder vermissen ihre Kita- und Schulfreunde, die Großeltern, den Papa. „Ich freue mich auf die Schule, habe aber auch etwas Angst“, sagt die 13-jährige Tochter mit einem schüchternen Lächeln. Doch ihre Mutter lässt nicht zu, dass ihre Kinder zu lange über den Verlust nachdenken. Sie wirkt tatkräftig. Es gibt vieles, worum sie sich kümmern muss.
Oberhausen bietet neun zentrale Unterkünfte an
Seit Montag, 21. März, hat die Stadt in einem Verwaltungsgebäude an der Knappenstraße 125 im Oberhausener Knappenviertel die neue Anlaufstelle für Geflüchtete aus der Ukraine eingerichtet. Von 9 bis 18 Uhr nimmt das Deutsche Rote Kreuz (DRK) Oberhausen hier täglich Neuankömmlinge auf.
Das DRK weist sie in Zusammenarbeit mit dem Sozialbereich der Stadt einer von derzeit neun Unterkünften zu: Ruhrorter Straße, Duisburger Straße, Erlenstraße, Bahnstraße, Louise-Schroeder-Heim, Marienhospital, Josef-Hospital, Eschenstraße, Knappenstraße.
Bevor sie geht, mit den negativen Testergebnissen in der Hand, die sie brauchen, um in der Ausländerbehörde vorstellig zu werden, erkundigt sie sich noch, wo genau ihre Geschichte veröffentlicht wird. „Wir sind sehr dankbar, dass wir hier sein dürfen“, sagt sie. Es klingt wie eine Botschaft an die Leserinnen und Leser. Spasybi, Dankeschön. Es muss sehr nützlich sein, in einer solchen Lebenskrise einen derart kühlen Kopf bewahren zu können. Bewundernswert ist es allemal.
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